Über die in der Datenbank „med-line“ vorgestellten Veröffentlichungen zum inneren Reden



Hartmut Holz
Vivantes GmbH
ö.B. Humboldt-Klinikum
privat:
[email protected]




Zusammenfassung:

Anliegen:
Zusammenhänge zwischen innerem Reden und kognitiver Selbstkontrolle wurden untersucht.
Methode:
Die Datenbank „med-line“ wurde mit dem Stichwort „inner speech“ befragt.
Arbeiten v.a. mit experimentellem Untersuchungen aus den Gebieten Hirnphysiologie,
Selbstbewusstsein, Gedächtniss, Psychotherapie und Schizophrenie wurden dargestellt.
Ergebnisse:
U.a. die Praecortex-Regionen kontrollieren hypothetisch das willentliche innere Sprechen. Hypothetisch entspricht dieser Region die „Zentrale Exekutive“ des working-memory- Modelles von Baddeley. Bei Schizophrenie geht die willentliche Kontrolle, i.d.R. physiologisch verursacht, des inneren Sprechens verloren. Depressionen werden nach Beck von „automatischem“ innerem Sprechen begleitet.
Schlussfolgerung:
Das innere Sprechen ist eng verbunden mit Entscheidungssituationen. Es unter kritische Kontrolle des Selbstbewusstseins zu setzen ist eine wichtige Voraussetzung für selbstkontrolliertes Verhalten.




Schlüsselworte:
Inneres Sprechen, Selbstbewusstsein, Gedächtnis, Psychotherapie, Schizophrenie


Summary:

Papers about inner speech in the data-files of „med-line”

Objective:
The connections between inner speech and cognitive self-control were investigated.
Methods:
The data-file “med-line” was used with the keyword “inner speech”. Experimental papers About brain-physiology, self-conciousness, memory, psychotherapy, schizophrenia and inner speech are discussed.

Results:
Hypothetically the praecortex- regions take part at the conscious control of inner speech and execute the functions of the “central executive” in the model of “working Memory” by Baddeley. The patients with schizophrenia loose usually the control over inner speech, which is often accompanied by physiologic changes. While depression are caused by automatic inner speech (Beck).
Conclusions:
The inner speech is closely linked with conscious decisions. To take it under critical control of self-conciousness is usefull for self-controlled behavior.
Keywords:
Inner speech, self-conciousness, memory, psychotherapy, schizophrenia








Einleitung:
Bei der Lektüre von Darstellungen der Methoden der psychischen „Zersetzung“ politischer Gegner
(u.a. durch den Staatssicherheitsdienst der einstigen DDR (1,2,3)) wurde mir die Bedeutung der
kognitiven Selbstkontrolle(4) deutlich. Denn viele Zersetzungsmassnahmen zielten auf die Störung
oder Zerstörung der kognitiven Selbstbestimmung der Betroffenen, meistens mit dem
Ziel einer Depression (2) oder sogar u.U. einer sogenannten „Gehirnwäsche“ wie McGuigan (5)
hypothetisch feststellt. McGuigan meint damit eine potientielle Möglichkeit die innere Sprache von
Menschen durch technische Mittel mittels der beteiligten Muskelbewegungen zu erfassen und sie
gegen die betreffenden Menschen anzuwenden (5).
Nun wird die Kognitive Selbstkontrolle von Beck als eng gekoppelt mit dem inneren Reden gedacht (4).
Diese Erfahrungen waren für mich ein Anlass einen Überblick über die wissenschaftlichen
Veröffentlichungen bezüglich der innere Rede (theoretisches Konzept) bzw. des inneren Redens
(Tätigkeit) zu suchen, um den Stand der Kenntnisse über deren Funktionen besser kennen zu lernen.
Schilling schrieb 1929 in seiner Arbeit über „ inneres Sprechen” (6), das innere Sprechen sei
eine Teilfunktion der inneren Sprache, ein die Denkfunktion begleitender und unterstützender oder
auch hemmender sprechmotorischer Akt.
Eine Darstellung der inneren Sprache dagegen sollte nach Schilling eine Theorie bereitstellen für
Ursachen, Vorgänge und Formen dieses inneren Sprechens. Dies ist von mir auf der Basis
experimenteller Daten nicht zu leisten.
Die Wortwahl inneres Reden betont den tätigen Charakter dieses Sprechvorganges (7)und bezieht
sich in dieser Arbeit auf die vermittelnde Tätigkeit des inneren Redens zwischen äusseren oder
inneren Reizen und reaktiven Handlungen. Eine dieser reaktiven Handlungen ist das innere Sprechen
als Form des verbalen Denkens (5).
Die philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema „Denken und Sprache“ kann ich hier nicht
darstellen, jedoch begleitet dieses Thema die philosophische Bemühungen seit Platon, der das
Denken ein Gespräch der Seele mit sich selbst nannte(8).
Aus behavioristischer Sicht lässt sich die Entwicklung der intellektuellen und
experimentellen Auseinandersetzungen mit dem inneren Reden m.E. folgendermassen zusammen-
fassen(5):Bain (9) betrachtete introspektiv seine Denkvorgänge und assoziierte mit ihnen
zurückgehaltenes Sprechen oder Handeln. Die Sprachmuskulatur sei aktiv während des Lesens.
Sechenov, (10) der russische Gründer der Reflexologie, meinte allen äusseren Manifestationen der
Hirnaktivität könnten Muskelbewegungen zugeordnet werden.
Auch für die Behavioristen waren alle geistigen Hirnaktivitäten korreliert mit muskulären Aktivitäten
(5). Denken war für J.B. Watson z.T. eine verdeckte Sprachgewohnheit (11).
Seine Theorie besagt, „dass die durch äussere Sprache erlernten Muskelgewohnheiten
für die implizierte oder innere Sprache (Gedanken) verantwortlich sind.“
Im Anschluss an die Untersuchungen von Jacobson 1932 (12),der elektromyographische Aktivitäten
bei Denkaufgaben in Sprachmuskeln nachwies, gibt es eine grosse Anzahl von experimentellen
Befunden, die minimale motorische Aktivitäten während kognitiver Leistungen zeigen (5,13,14).
1980 veröffentlichte Wahmhoff(7) eine der wenigen deutschen, kritischen Untersuchungen der
sowjetischen Sprachpsychologie bezüglich des inneren Sprechens. Sie unterschied zwischen dem
Konzept innere Rede und der Aktivität des inneren Redens. Diese Aktivität sah sie experimentell gut
gesichert, während ein Konzept der inneren Rede bisher hypothetisch bleibt. Dabei fand sie das
einzigartig ausführliche Konzept der inneren Rede von Wygotsky (15) funktional durch
die experimentellen Untersuchungen der kinästhetischen Sprachbewegungen bei vielen bewussten
inneren verbalen Aktivitäten bestätigt, konnte jedoch den wichtigen Teil der Hypothesen von
Wygotsky über die genetische Entwicklung der inneren Sprache aus der egozentrischen Sprache
theoretisch nicht nachvollziehen. Es gelang ihr auch nicht Wygotskys (15) und Lurias(16)Hypothesen
über den prädikativen Stil der inneren Sprache bei sprachlichen Tests mit aphasischen Patienten zu
verifizieren, sie falsifizierte diese Hypothesen mit ihren psycholinguistischen Untersuchungen an
aphasischen Patienten.
Baddeley stellte 1986 (17) sein hypothetisches Modell der verbalen und bildlichen „working memory“ vor, in der eine willentlich gesteuerte „zentrale Exekutive“ den Gebrauch der inneren
Sprache beim Nutzen des verbalen und bildlichen Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnisses steuert.
Kinsbourne (18) skizzierte im Jahr 2000 die Erforschung der inneren Rede im 20. Jahrhundert
De Bleser und Marshall (19) stellten 2005 In den Mittelpunkt ihres Übersichtsartikels über die
gegenwärtig genutzten Konzepte und Experimente zur inneren Sprache die Übersetzung einer
Arbeit von E. Weigl aus dem Jahr 1964.
Ich stelle hier Arbeiten, ausgewählt aus 99 medizinischen und psychologischen Publikationen aus
den Jahren 1964 -2005 vor und fasse sie in Gruppen zusammen.
Die ausgewählten Arbeiten haben sich meines Erachtens relativ ausführlich v.a. mit dem inneren
Sprechen beschäftigt.

Material und Methoden:
Ich befragte die Datenbank „med-line“ mit dem Stichwort „inner speech“ nach
zugehörigen Originalarbeiten. Sie stellte 99 Antworten aus den Jahren 1953 bis 2007 bereit.
Diese Arbeiten wurden von mir in Gruppen geordnet: Schizophrenie (n=25), Aphasie und andere
Erkrankungen (n=24), Bewusstsein(n=13), Hören, Lärm, Lesen, Lateralisierung, Symbolproduktion,
Algorithmen des Lernens (n=13), Physiologie der inneren Rede (n=11), Psychotherapie (n=6),
Gedächtnis (n=5),Überblicksarbeiten (n=2).
Fünf dieser Gruppen (Physiologie der inneren Rede, willentliche Handlungen und
Selbstbewusstsein, Gedächtnis, Psychotherapie, Schizophrenie) beschreibe ich mit Hilfe einiger
ausgewählter Arbeiten bezüglich der gruppenspezifischen Daten und Hypothesen zur Wirkung des
inneren Redens. Daneben benutze ich auch Standartarbeiten und weitere Veröffentlichungen um
die Arbeiten einordnen zu können.








Ergebnisse:
Physiologie des inneren Redens
Ackermann et al. (20) gaben 1997 einen Überblick über die historischen und gegenwärtigen
Methoden und Ergebnisse der Untersuchungen der cerebralen Sprachleistungen:
Die Darstellungen metabolischer Vorgänge im Hirn in Abhängigkeit vom Gebrauch der offenen wie
inneren Sprache wurden seit ca. 1970 zuerst mit radioaktiven Tracermethoden, dann mit
Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und schließlich auch mit funktionaler Magnet-Resonanz-
Bildgebung (fMRI) erstellt.
Mit PET-Studien ergab die visuelle Darbietung einzelner Worte, nach der Subtraktion eines
visuellen, nichtsprachlichen Stimulus (zur rechnerischen Unterdrückung der nur mit der optischen
Wahrnehmung verbundenen metabolischen Aktivierungen), folgendes Muster: eine bilaterale
Aktivierung des primären auditorischen Cortex und des linken, temporoparitalen Überganges
(Verarbeitung der Lautstruktur) und des vorderen Präcortex Aufmerksamkeitsprozesse) .
Im Jahre 2001 untersuchten Shergill et al. (21) mittels fMRI (und damit ca. 40facher erhöhter
Auflösung der Abbildungen neuronaler Aktivitäten) die neuronalen Stoffwechselaktivitäten
beim inneren Reden von Kontrollpersonen (ständige innere Wiederholung des Wortes „the“
zur willentlicher Unterdrückung anderen inneren Redens) . Die Entstehung dieses inneren Redens
des Wortes „the“ ist verbunden mit der Aktivierung der linken, inferioren frontalen Region der
Cortex(Brocasches Sprachzentrum) ,der Inselcortex, des rechten Cerebellums ( weitere
Sprachentstehungsregionen) und der sensorisch-motorischen Region (SMA-Region) (Steuerung der
Sprachmuskulatur).
Hoppe beschrieb 1988 (22) die Wirkung von commissurotomischen Eingriffen auf die Sprache
der betroffenen Patienten mittels Sprach- und EEG-Untersuchungen vs. Kontrollpersonen nach der
Betrachtung eines traurigen, symbolreichen Stummfilmes. Die Unterbrechung der Kommunikation
zwischen den Hirnhälften reduziert die Beladung der inneren Sprache mit Affekten , sowie die
innere Sprache insgesamt, angezeigt durch ungewöhnliche Potientialverteilungen zwischen den
Hemisphären .
Im Jahre 2000 veröffentlichten Pihan et al. (23)eine Untersuchung der Funktionen der Hirn-
Hemisphären bezüglich ihrer Zuständigkeit für die Verarbeitung affektiver Informationen und
verbaler Reaktionen mittels zweier Ereignis bezogener Potientialstudien (ERP).
In einem akustischem Beurteilungsexperiment (mit manipulierter Grundfrequenz) wurde bei der
Beurteilung dreier unterschiedlicher affektiver verbaler Ausdrücke eine deutliche Aktivierung der
rechten, frontalen Region gefunden.
Bei der Untersuchung der sprachlichen Verarbeitung des mit diesen affektiven Ausdrücken
verbundenen inneren Redens ergab sich eine bilaterale Aktivierung mit linker Dominanz. Die
Autoren schlossen aus diesen Ergebnissen, dass die Verschiebung der Hirnrindenaktivität von der
rechten in die linke Hemisphäre durch die Sprachentstehung in der linken Hemisphäre hervorgerufen
wird.
Im Jahre 2004 veröffentlichten Ackermann und Riecker (24) eine Untersuchung über die
Teilhabe der Insulacortex an der Bewegungssteuerung der Sprachproduktion mittels der fMRI-
Methode bei offener und innerer Rede. Bei beiden Sprechweisen wurden spezifische
Stoffwechselaktivitäten im Cerebellum und im Bewegungscortex gefunden. In der Insulacortex
wurde nur bei offener Sprache eine solche Aktivität nachgewiesen, die dabei wahrscheinlich an der
Kontrolle der ca. 100 Muskeln der Artikulation und Lautbildung beteiligt ist. Das Singen einer Melodie
war mit Stoffwechselleistungen der rechten Insula verbunden.
Frings et al. ((25)1) (1: Die Autoren fanden beim Vergleich der Entstehung und
des Lesens von Tätigkeitsworten aus visuell vorgestellten Dingworten eine Stoffwechselaktivität
im Cerebellum, bei der Verberschaffung nur in der rechten Cerebellumhemisphäre und beim
Lesen in beiden.
Bewusstsein, Willentliche Handlungen, Selbstbewusstsein und inneres Reden
Eine Eigenschaft scheint bewusste Vorgänge von anderen Ereignissen zu unterscheiden: sie sind in
einer einzigartigen Weise nur der ersten Person zugänglich. Wenn derartige Bewusstseinsvorgänge
jedoch mit physischen Prozessen identisch sind, (z. B. als neuronale Vorgänge mit begleitenden
sprachlichen und viszeralen Muskelbewegungen), und dies ist eine Arbeitshypothese des
Reduktionismus (26), verlieren Bewusstseinsvorgänge potientiell diese einzigartige Ich-Bezüglichkeit
und können aus der Perspektive einer dritten Person beschrieben werden.
Ingvar (28) betrachtet das Bewusstsein als Vorausetzung willentlicher Handlungen. Der Inhalt
des Bewusstseins wird als Folge zeitlich geordneter Informationen betrachtet.
Informationen vergangener verbaler Ereignisse werden vom Schläfenlappen bereitgestellt, die der Gegenwart
von sensorischen Projektionsfächen und die Aktionspläne und Verhaltensprogramme ,die in
der Zukunft verwendet werden können, von den frontalen und präfrontalen Cortexbereichen.
Ingvar (27) berichtet von PET-Messungen um cerebrale Metabolismusmuster willentlicher
Handlungen aufzuzeichnen. Willentliche Handlungen schwächen die metabolischen Aktivitäten in
anderen cerebralen Regionen, diese Stoffwechselmuster könnten mit der Unterdrückung
konkurrierender Handlungspläne gekoppelt sein.
Vogeley( 28 ) schlägt ein kognitives Modell des Selbstbewusstseins vor, dass auf intern generierte
Signale zugreifen kann und bei bestimmten, subjektiven Erfahrungen aktiviert wird. Dieses Modell
benötigt drei Kerneigenschaften: es soll die Erfahrungen von Ich-heit, körperzentrierter
Wahrnehmungsperspektive und eine transtemporale Speichereinheit mit der Verfügbarkeit von alten
und neuen Informationen bereitstellen. Dazu müssen Teileigenschaften, die hirnphysiologisch
hypothetisch verortet und funktional verbunden sind, postuliert werden. Dazu gehört die
Bereitstellung eines Weltmodelles, das die Zusammenfügung der Sinneseindrücke, eines
Körperschemas, das die Ich-zentriertheit der Wahrnehmungen erklärt , eines Arbeits- und
autobiographischen Gedächtnisses und eine Funktionseinheit, die das soziale Schliessen beschreibt.
Der Autor benennt die hirnanatomischen Orte und deren Funktionen seines Modelles.
Es wurde (mit den das innere Reden z.T.
protokollierenden Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie) gezeigt (29), dass die innere Rede
bei Bewusstseinsvorgängen beteiligt Ist, z.B. an der verbalen Selbstanleitung, -Selbstregulation, - Problemlösung , -Planung und dem verbalen Gedächtnis.
Morin (30) beschreibt ein Modell des Selbstbewusstseins, dass sich auf drei Quellen der
Selbstwahrnehmung bezieht: 1) das soziale Milieu; 2) Kontakte mit Objekten in der
physikalischen Umwelt und 3) den proprioceptischen Sinn, der die Wahrnehmungen des eigenen Körpers bereitstellt.
In einer weiteren Arbeit (31)betont Morin eine zusätzliche Quelle des Selbstbewusstseins: die
innere Rede. Morin betont u.a., dass eine kritische Distanz des Selbstbewusstseins zur inneren Rede
eine Bewusstseins förderliche Funktion (z.B. das Wissen über sich selbst oder der Orientierung in
der Welt) jener unterstützt.
Die Korrelation zwischen innerer Rede und dem Selbstbewusstsein testete Siegrid (32) als
signifikant positiv und die zwischen Selbst-Betrug und „innerer Rede“ als negativ korreliert.
Die Ergebnisse stimmen mit der Idee überein, dass die innere Sprache u.U.das Selbstbewusstsein zu
fördern vermag. Damit verdienten die Theorie von Morin weitere Aufmerksamkeit.
Mit Hilfe einer Fragebogenauswertung der Selbstgespräche, des Selbstbewusstseins und des
Selbstwissen von 203 Studenten mittels multipler Regressionsanalyse wurden nur funktionale
und reflektive Aspekte des Selbstbewusstseins (im Gegensatz zu dysfunktionalen Aspekten wie
Tagträumereien ,Grübeleien usw.) als signifikanter Begleiter von Selbstwissen (32)(i.S. von
Selbsterkenntnis) (Selbsterkenntnis :Erkenntnis der eigenen Fähigkeiten und Fehler (34)
gefunden. Also nur die funktionalen Anteile des Selbstbewusstseins tragen zum vermehrten Wissen über sich selbst bei.

Das Gedächtnis und inneres Reden
Baddeley (35) postulierte 1986 ein Arbeitsgedächtnismodell mit zwei Kurzzeitspeichern, einem
verbalen, genannt die „phonologische Schleife“ und einem visuell- räumlichen.
Ein hypothetisches zentrales Aufmerksamkeitssystem, die „zentrale Exekutive“ kontrolliert und
koordiniert diese Arbeitsspeicher. (Aufmerksamkeit ist ein Prozess der Ressourcenzuweisung bei
beschränkter Verarbeitungskapazität des Gehirns. Als Mass für die Aufmerksamkeit gilt die
Konzentration (36). Die Ziele der Aufmerksamkeitszuwendung sind die Wahrnehmung der Umwelt,
der eigenen und fremden Gedanken und Gefühle, sowie des eigenen Verhaltens und Handelns (37).
Die phonologische Schleife besteht aus dem phonologischem Speicher und einem artikulatorischem
Wiederaufrufsystem, welches die innere Rede benutzt, um Informationen im Kurzzeitgedächtnis
zu erhalten. Der phonologische Speicher erhält artikulatorische Reize für ca. zwei Sekunden. Werden
die artikulatorischen Informationen innerhalb dieser Zeit mittels der inneren Rede wieder aufge-
rufen, bleiben sie weiter gespeichert, entweder im phonologischen Speicher oder im
Langzeitgedächtnis (38).
Hitch et al. (39) zeigen, dass 5-jährige für die Nutzung ihrer „artikulatorischen Schleife“
(phonologischer Speicher & Wiederaufruffunktion) auf das offene, artikulatorische Vorsprechen
angewiesen sind. Unter diesen Bedingungen können die Kinder ihre inneres Reden für
Gedächtnissleistungen nutzen, wie ein diesbezüglicher Wortlängentest zeigt ( beim Gebrauch des
inneren Redens ist beim Erinnern die Fehlerrate abhängig von der Wortlänge).
11-jährige sind nicht mehr auf die offene Ansprache angewiesen, sie nutzen aktiv ihre innere
Rede , wenn ihnen eine verbale Aufgabe gestellt wird. Die selbstgesteuerte Anwendung der inneren
Rede ist nach diesen Daten also altersabhängig.
Miyake et al. (40) zeigen, dass beim Entscheidungstest zwischen zwei nicht sofort einsichtigen
Aufgaben die inneren Rede eine Hilfsfunktion bei der bewussten Beschlussfassung einnimmt, wie
der längere Zeitbedarf bei deren Unterdrückung zeigt. Mit diesem Experiment wird die
Annahme einer einflussreichen Rolle der inneren Rede bei der „zentralen Exekutivfunktion“ der
„ working memory“ (41) gestützt.
Die Speicherung der sprachlichen Ausdrucksform der inneren Rede im Langzeitgedächtnis
bei zweisprachigen Immigranten untersuchten Larsen et al. (42) im Jahre 2002. Dabei ergab
sich eine zeitabhängige, kultur- und sprachspezifische Gestaltung des semantischen Langzeit-
gedächtnisses.

Inneres Reden in der Psychotherapie
Beck (43) beschäftigte sich u.a. mit der u.U. neurotischen Wirkung von „automatischen Gedanken“
im inneren Dialog. Diese Art von Gedanken sind nicht das Ergebniss von Überlegungen und
Begründungen über einen Gegenstand und haben keine logische Abfolge. Diese automatischen
Gedanken sind präsent bei gewohnten Umweltreizen und stellen automatisch kognitive Muster
bereit (44).
Beck (45) betrachtet automatische, depressive Gedanken als Verursacher der depressiven
Störungen. Die kognitive Therapie der Depressionen beschäftigt sich v.a. mit der Veränderung
automatischer, depressiver Gedanken hin zu selbst kontrollierten, nicht depressiven Gedanken.
Ostwald (46) berichtet über die introspektiv untersuchten Funktionen des inneren Redens
in einer psychotherapeutischen Behandlung bei Patient und Therapeuten.
Der Autor beschreibt wiederholende (Reverbalisierung einiger Worte und Satzfragmente; das
Verhalten scheint die Sitzung anzuhalten und einen Moment der Kontemplation zu erlauben),
improvisierende(dies ist oft eine aus dem Stehgreif aufsteigende Ahnung, hervorgerufen durch eine
Erwähnung, eine Fantasie oder eine Erinnerung an vergangene Sitzungen. Dies Verhalten scheint
Ideen mit voraussagendem Charakter zu produzieren), schematisierende (hier verändert sich das
innere Reden zum Pläne schmieden. Ein Aspekt klinischer Erfahrung wird identifiziert und zur
weiteren Untersuchung ausgewählt), dialektische (dies ist ein Debatten- ähnlicher Dialog , in dem
Kommentare und Interventionen abgewogen werden auf ihren Nutzen und Schaden für die Therapie)
und mediative (das innere Reden produziert Kommentare und Überschriften mit einem möglichen
Ansinnen der Generalisierung. Der innere Dialog kann sich zu einem vielfältigem Dialog mit
Autoritäten erweitern) Anteile und Funktionen seiner inneren Rede .
In der Darstellung einer verhaltenstherapeutischen
Gruppentherapie essgestörter Patientinnin (Selbst-Lern-Training von Bewältigungsverfahren )
waren exklusive und stundenlange Lese- Übungen von Bewältigungs- Verfahren
(therapiebezogenes inneres Reden) nicht mit besonderen Therapieerfolgen verbunden ( (47).
Kendall (29) betont, dass für das Wirksamwerden innerer Feststellungen (inneres Reden) der
feste Glaube an deren Aufrichtigkeit eine wichtige Voraussetzung ist. Hoffmann (48) unterstreicht
in diesem Zusammenhang, dass Selbstanweisungen keine Leerformeln sein dürfen, sondern
wirksame kognitive Gerüste, wenn sie das Verhalten verlässlich steuern sollen.
Bei der Beschreibung der Rolle von Selbstanweisungen stellte Mckinney (49) fest, dass
Selbstanweisungen die Unterscheidbarkeit von Reizmerkmalen erhöhen, die Aufmerksamkeit
steuern, bei der Hypothesenformulierung helfen und das Speichern von Informationen im
Kurzzeitgedächtniss unterstützen. Auf ähnliche Art wirken auch anerkannte interpersonale
Anweisungen (50).
In einer Literaturübersicht über inneres Reden, Stress,
Atmung und Stressreduktion stellt Chapell (51)die Bedeutung unregelmässiger Atmung als
Begleiterscheinung für inneres Reden und für Stresserlebnisse und die tiefer, gleichmässiger
Atmung für die Stressreduzierung und für die Beendigung des inneren Redens vor(52,53,54).

Schizophrenie und inneres Reden:
Hemmingsen et al. (55) fassten 1999 Informationen über cortikale Schädigungen bei
Schizophreniepatienten zusammen. Diese stellen sich u.a. als erhöhte neuronale Dichte, reduzierte
Vorderhirnkapazitäten und -Aktivitäten während der Sprachproduktion, defekte Kontrolle
der inneren Sprache und als dysfunktionale Aktivierung der jeweiligen Assoziatonscortices
während hallunizatorischer Erlebnisse dar. In einer Erfassung struktureller Abweichungen bei
schizophrenen Patienten fanden Antonova et al. (56 ), dass fast jede cortikale und subcortikale
Hirnfunktion als unnormal beschrieben wurde.
Wahrscheinlich wegen der Heterogenität der Symptome, der Geschlechterdifferenz und der
nicht statischen Natur der Erkrankungen war die Bestätigung der meisten Befunde widersprüchlich.
Jedoch zwei Hirn-Regionen scheinen häufiger als unnormal beschrieben zu werden: Tempora-
limbische Strukturen und der prä-frontale Cortex (57).
David (58) gab 1999 einen Überblick u.a. über die Phänomenologie und Neuropsychologie
akustischer Halluzinationen. Die Erfahrungen von innere Rede können mit
den Vorstellungen von akustischen , verbalen Halluzinationen (AVH) koexistieren, wenn die
innere Rede definiert wird als ein Phänomen, bei dem phonetische Repräsentationen
(Bedeutungen) im Kurzzeitgedächtnis erhalten bleiben. Schizophrene Patienten zeigen z.B. ein
funktionstüchtiges Arbeitsgedächtnis. Jedoch besteht die innere Rede aus mehreren,
voneinander verschiedenen Vorgängen (z.B. Entstehung, Kontrolle, Verständnis, Speicherung) und
AVHs sind (u.a. wegen der fehlerhaften Kontrolle) nicht gleichbedeutend mit dem normalen,
inneren Reden.
Eine Verbindung von subvocal speech (Synonym für inneres Reden) und AVHs wurde
öfter diskutiert. Frith and Done (59) stellten die Hypothesen auf, dass die negativen Symptome
der Schizophrenie einem Defekt in der Initiierung spontaner Aktionen, die positiven einem Defekt
bei der Kontrolle der spontanen Handlungen folgen.
Ausgehend von diesen Hypothesen erarbeitete die Arbeitsgruppe um McGuire
in den Jahren von 1996 bis 2004 mehrere Publikationen, in denen mit bildgebenden Ver-
fahren die Funktionen neuronaler Strukturen beim inneren Reden von Schizophrenen
und Kontrollpersonen verglichen wurden. 1996 zeigten McGuire et al. (60) mit Hilfe der PET-
Methode, dass das innere Reden von Kontrollpersonen ( gedankliches Wiederholen eines
Wortes) verbunden ist mit erhöhter Stoffwechselaktivität im linken, unteren frontalen Gyrus
(Sprachentstehungszentrum) . Ebenfalls 1996 untersuchten McGuire et al. (61) mit der PET-
Methode die anatomischen Entsprechungen der inneren Sprache bei schizophrenen Patienten.
Die Patienten mit starker Neigung zu AVHs zeigten nur bei der gedanklichen Vorstellung
einer fremden Sprache, abweichend von den Kontrollen, im linken, mittleren temporalen Gyrus
(Sprachwahrnehmungszentrum) und in der supplementary motor region (SMA) eine reduzierte
Aktivierung. Die reduzierte Aktivierung der Sprachwahrnehmungsfunktionen wird als mangelhafte
Kontrolle der inneren Rede bei Patienten und als Bestätigung der Hypothese von Frith und Done (59)
interpretiert.
Shergill et al. prüften 2003 mit Hilfe der fMRI-Technik den Befund, (62), dass
Schizophrene mit AVHs im Vergleich zu Kontrollpersonen eine abgeschwächte Aktivierung
der Kontrollregionen (Sprachwahrnehmungsregionen) der inneren Sprache zeigen(59). Die
Geschwindigkeit der inneren Sprache wurde in diesem Experiment gesteigert und dabei ergab sich
eine Abschwächung der Aktivierung im rechten temporalen, parietalen, parahippocampalen und
cerebellaren Cortex. Auch diese Abschwächungen wurden als Hinweis auf mangelhafte Kontrolle
des inneren Redens bei verändertem Sprachrhytmus interpretiert.
2004 konnten Shergill et al. (63)nachweisen, dass bei Schizophrenen die Stoffwechsel-
aktivierungen im linken, inferioren, frontalen und im rechten, mittleren, temporalen Gyrus
den bewussten Erfahrungen von AVHs um 6-9 Sekunden vorausgingen, während
bilaterale, temporale Gyri hauptsächlich aktiviert wurden, wenn der Patient die AVHs
wahrnahm, im Vergleich zu nicht-halluniziatorischen Ereignissen. Diese Ergebnisse unterstützen
dieHypothese, dass während AVHs die Regionen, die die Entstehung der inneren Sprache steuern,
mit ihrer Aktivität, denen, die die Sprache wahrnehmen, vorausgehen und damit die Kontrolle
der Sprache gestört ist (59).
Bentaleb et al. (64) testete 2002 bei einer Frau, die ständig akustische Halluzinationen erlebte (die
bei lauter Ansprache verschwanden) die Hypothese, dass AVHs wegen irrtümlicher Aktivierung der
primären Gehörbereiche entstehen. Mittels der fMRI-Methode wurden die seitlichen und unteren
frontalen Hirn-Regionen der Frau gegen eine Kontrollperson gemessen und man fand bei AVHs
eine zunehmende metabolische Aktivität im linken primären Gehörcortex und im rechten mittleren
temporalen Gyrus.
Ebenfalls ausgehend von der Hypothese von Frith und Done (59) erarbeitete die Arbeitsgruppe
um Ford EEG-Methoden um u.a. Fehlfunktionen bei der Kontrolle der inneren Sprache
bei Schizophrenen aufzuzeigen. Im Jahr 2002 verglichen Ford et al. (65) die EEG-
Potientiale zwischen Vorder- und Schläfenlappen, um Kontrolle und Kommunikation zwischen
beiden Funktionsarealen zu prüfen. Bei Kontrollpersonen führte das Reden zu größerer Kohärenz in
allen Frequenzbändern als das Hören der eigenen Stimme. Bei Schizophreniepatienten konnte eine
solche gesteigerte Kohärenz nicht nachgewiesen werden. Die Autoren diskutieren die reduzierte
fronto-temporale Verbindung als mögliche Ursache für die Fehlwahrnehmungen des inneren
Redens während akustischer Halluzinationen.
Ford und Mathalon konnten 2005 (66) nachweisen, dass Ereigniss bezogene Potientiale (ERPs),
das Auftreten von „ efference copies“ oder „corallary discharge“ zwischen Vorderhirnlappen und
Schläfenhirn aufzeigen können. Diese „corallary discharge“ Potientiale sind bei
Schizophreniepatienten unnormal.
Hubl et al. nutzten MRDTI (Magnet-Resonanz-Diffusionsdruck-Bildgebung) (67) im Vergleich von
Schizophreniepatienten und Kontrollpersonen und fanden eine höhere Gerichtetheit der weissen
Rinde in den lateralen Teilen der tempoparitalen Sektion des arcuate fasciculus und in Teilen des
anterior corpus callosum bei den Patienten mit AVHs, verglichen mit den Kontrollen.
Diese Daten interpretieren die Autoren folgendermassen: die Veränderungen der weissen Rinde-
nervenstränge führen zu unnormalen Koaktivierungen in Regionen, die sich mit der Verarbeitung
von externen Reizen beschäftigen. Diese Koaktivierungen behindern die Unterscheidung von
inneren und äußeren verbalen Reizen.
2 Arbeiten (68,69) stellen Fälle von Verschmelzungen von AVHs mit visuellen Halluzinationen vor,
eine Arbeit (69) nimmt dafür eine dysfunktionale Sprachwahrnehmung, verbunden mit visuellen
Aktivierungen, als Erklärung in Anspruch.

Übersichtsarbeiten
Kinsbourne (18) skizziert die Erforschung der „inneren Rede“ im 20. Jahrhundert. Innere Rede
begleitete bei W. James den Strom des Bewusstseins und entwickelte sich bei Wygotsky (15) aus
der äusseren Kindersprache. Es entwickelte sich die Beschäftigung mit der inneren Rede von ihrem
offenen Verhalten (z.B. egozentrische Sprache nach Wygotsky; begleitende Muskelbewegungen) zu
den kognitiven Theorien des Spracherwerbes und des Sprachgebrauches (Chomsky) bis hin zu ihrer
steuernden Rolle im menschlichen Bewusstsein. Das neue Jahrhundert wird sich vermutlich u.a. mit
den vorhandenen Hypothesen zu den vorverbalen Ursprüngen des inneren Redens während der
Gedankenbildung auseinandersetzen. Dazu könnte die Aphasieforschung beitragen.
Im Mittelpunkt des Übersichtsartikels von de Bleser und Marschall (19)steht die Übersetzung einer
Arbeit von E. Weigl aus dem Jahr 1964. Weigl betont die nur relative Behinderung der Denk-
leistungen bei Erwachsenen und Aphasikern bei Unterdrückung der inneren Rede und erklärt
dies mit der Annahme automatischer, optischer Verarbeitungsbahnen, die zu kognitiven Lei-
stungen fähig sind. Weigl schlussfolgert einen relativen Bedeutungsverlust der inneren Rede
für kognitive Aufgaben. Die Autoren betrachten abschliessend die Untersuchungsgebiete ,in denen
die innere Sprache als interne Subvocalisierung untersucht wird. Dazu gehören das Konzept der
„working Memory“, die Motor-Theorie der Wahrnehmung und die Untersuchungen neuronaler
Aktivitätsmuster mittels bildgebender Verfahren.

Diskussion:
Physiologie des inneren Redens
Die philosophischen Fragestellungen, die die hier vorgestellten experimentellen Arbeiten
begleiten, werden durch einen logischen Empirismus bzw. einen kritischen Rationalismus
beschrieben, erkenntniskritische Methoden, die zur Sicherung ihrer Aussagen signifikante
bestätigende Experimente oder Statistiken(70) oder Widerlegungen von Hypothesen (71) benötigen.
Die bildgebenden Verfahren gestatten seit ca. 1970 eine in vivo Untersuchung des inneren Redens von Versuchspersonen. Zum einen wurde dabei weiter die
Bedeutung der Lateralisierung des menschlichen Hirnes für das innere Reden erkundet, zum anderen
wurden die Hirnorte identifiziert, die am inneren Reden beteiligt sind.
Auch auf Grund dieser in vivo Messungen von Hirnaktivitäten lassen sich dem inneren Reden v.a.
die linke Hirnhälfte als der normale Ort der Sprachentstehung (bei Rechtshändern) und der
Sprachwahrnehmung zuordnen.
Den Muskelbewegungen, die z.B. die Behavioristen mit Hilfe elektromyographischer Messungen dem
sprachlichen Denken zuordneten und es sogar zeitweisemit ihm identifizierten (11) konnten durch
die bildgebenden Messtechniken in vivo cerebrale Funktionsbereiche und Abläufe zugeordnet
werden, die weitergehende Untersuchungen gestatten.
Die innere Sprache, die bei den bildgebenden Untersuchungen der cerebralen Sprachregionen
genutzt wird, ist i.d.R. eine automatische, auswendig gelernt Sprache (60).
Diese möglichst emotionslose Sprache wurde in den vorgestellten Experimenten abgebildet. Dagegen
wurde die emotionalisierte Sprache von split-brain Patienten mit der von Kontrollpersonen
verglichen um den Zusammenhang zwischen Hirnanatomie, Gefühlen und innerem Reden zu
erkunden (22).
Die Ergebnisse zeigen, dass beide Hirnhälften für die optimale Verarbeitung von Emotionen und
Gedanken verbunden sein müssen. Die Aktivitätsmuster von Sprache und Emotionen scheinen
in einem antagonistischem Verhältniss zueinander zu stehen(23).

inneres Reden und Gedächtniss
Der Gebrauch der inneren Sprache in 5-jährigen unterscheidet sich von dem in 11-jährigen (39).
Es gibt keine zeitliche Differenz zwischen dem offenen Gebrauch der Sprache und der
Gegenwart von phonologischen Repräsentanten im KZG, also dem Vorhandensein innerer Sprache,
wie diesbezügliche Wortlängentests und phonologische Gleichheitstests zeigen.
Diese empirischen Ergebnisse widersprechen einem Teil der allgemeinen Theorie zur Entwicklung
von Sprache und Gedanken von Vygotzky (15) , in der er vorschlug, dass die innere Sprache sich
allmählich aus egozentrischer Sprache entwickelt.
Miyake et al. (40) fanden in einem mit einzelnen Buchstaben als Schlüsselreiz arbeitenden,
zufallsverteilten Aufgabenauswahltest, das innere Reden als die wirksame Hilfe beim
Wiederaufrufen eines Aufgabenzieles.
Darüber hinaus halten die Autoren das regelmässige Abarbeiten einer Aufgabenfolge für eine
kognitive Leistung , an der die innere Sprache potientiell regulierend beteiligt ist. Weiterhin scheint
das innere Reden auch beteiligt zu sein am schnellen Aufbau der Repräsentation eines
Erzählungszusammenhanges aus beliebigen Elementen. Solche Funktionen des inneren Redens
sind nützliche Mittel beim Regulieren von Gedanken und Handlungen.

Innere Sprache in der Psychotherapie
Chapell (51) stellt das innere Reden als physiologisch wirksames Verhalten dar, in Bezug auf
Atmung und Stress.
Ostwald (46) betrachtet das innere Reden als ein kognitives Instrument der Verhaltenssteuerung bei
einer psychotherapeutischen Behandlung. In einer verhaltenstherapeutischen Arbeit (47) wird die
Wirksamkeit des inneren Redens als z.T. automatische (auswendig gelernte) Therapiemethode
untersucht und keine herausragende Wirksamkeit im Vergleich mit anderen kognitiven Therapiemethoden beschrieben. Beck (45) beschäftigt sich mit zwei grundsätzlich verschiedenen
Arten des inneren Redens. Die eine bezeichnet er als automatisches Denken, auch als
„gedankenloses Denken“. Diese Art von Denken bindet nach Beck den Depressiven automatisch an
stereotype, negative, kognitive Muster, welche die
depressiven Symptome herbeiführen. Im Fall einer depressiven Erkrankung kann nach Beck das
gewohnte, automatische, gedankenlose innere Reden eine bedeutende, krankhafte Wirksamkeit
entfalten. Dagegen soll das innere Reden eines nicht depressiven Menschen nach einer kognitiven
Therapie eher von verifizierenden Bemühungen und lebensbejahenden Wertungen geprägt sein.
Diese verschiedenen Betrachtungs- und Untersuchungsweisen des inneren Redens machen beispielhaft die Schwierigkeiten einer einheitlichen Theorie des inneren Sprechens deutlich
(7,18,19). Zwar widersprechen sich die hier vorgestellten Ergebnisse zum inneren Sprechen meines Erachtens nicht, sie werden aber je mit eigenen Methoden und Untersuchungsgebieten gewonnen.
Eine einheitliche Theorie müsste die vorliegenden experimentellen Ergebnisse zu einem Konzept
zusammenfügen und sich den offenen Fragen zur sozialen und biologischen Entstehung und Herkunft
der inneren Sprache experimentell zuwenden.

Innere Sprache und Schizophrenie
Die krankhaft veränderte innere Sprache kann Entstehungsvoraussetzungen und Funktionsweisen
einer unbeschädigten Inneren Sprache zeigen. Die häufig beschriebenen anatomischen
Veränderungen der Hirne schizophrener Patienten (besonders präfrontaler Cortex u.
temporalimbische Strukturen) (57)scheinen mit der Dysfunktion der inneren Sprache bei
akustischen Halluzinationen eng verbunden zu sein. Vor allem die Kontrollfunktion der inneren
Sprache scheint, eher anatomisch bedingt , zu versagen.
Gewisse Formen der fronto-temporalen Demenz machen es für die Patienten unmöglich, die innere
Sprache in sich zu artikulieren, sie müssen sie laut aussprechen (72). Diese Steuerung der inneren
Sprache scheint an fronto-temporale hirnteile gebunden zu sein, die bei der Demenz funktional
ausfallen.
Der Verlust der vollständigen inneren Sprache und plötzliche Stummheit
(73) nach einer Beschädigung von Sprachsystemkomponenten konnte von einem Patienten durch
visuelle Fähigkeiten z.T. kompensiert werden (Fähigkeit zum Schreiben, Hören , Lesen, zum Rechnen
und verbales KZG blieben , obwohl verlangsamt, erhalten). Damit zeigt sich die Bedeutung des
optischen Gedächtnisses als kognitives Werkzeug.
Bei depressiven Patienten werden in den vorliegenden Arbeiten keine anatomischen Veränderungen
beschrieben. Hier scheint, nach Auffassung von Beck (45), bei den Patienten eher eine kognitive
Fehlanpassung an ihre Umwelt vorzuliegen. Wegen mangelhafter kognitiver Eigenkontrolle,
werden ihnen unkontrollierte, nicht mit der äusseren Wirklichkeit kritisch überprüfte, Gedanken zur
Gewohnheit- die sie in ihr Leiden führen und ihre depressiven Symptome hervorrufen.
Die Bedeutung der inneren Sprache für bewusste Entscheidungen, also für die kognitive
Problemlösung, wurden experimentell gezeigt (40). Die innere Sprache scheint tatsächlich ein
Werkzeug zur Selbststeuerung des Menschen zu sein. Wenn der Mensch dieses Werkzeug
mit kritischer Distanz begleitet, kann er sein Wissen über sich Selbst (31,33) verbessern.
Auch die in politischen Zersetzungsverfahren (3) versuchte Lähmung, Automatisierung und
Fremdbestimmung(1,2) der Menschen (z.B. mittels Jargon, Sexualisierung, Oralisierung, also
Entsublimierung(Jürgen Fuchs),Frustrationserfahrungen und Stress),in Folge auch ihrer inneren
Stimme(16,31), kann u.a. durch kognitive Selbstkontrolle (45) und Atemtherapie (51) Widerstand
entgegengebracht werden.


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