Zersetzung



In diesem Diskussionsbeitrag stelle ich einige mir wichtig erscheinende Veröffentlichungen über die „Zersetzung“ genannte Methode
der Machtausübung des Miniteriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor. Mein Interesse an diesem Thema wuchs aus den Erfahrungen mit diesen Machtmethoden im Familien- und Freundeskreis und in meinem Leben.
Einen Anspruch auf Vollständigkeit der hier vorgestellten Veröffentlichungen in Bezug auf die qualitative und quantitative
Gesamtmenge der zum Thema veröffentlichten Literatur kann ich ,
vor allem aus zeitlichen Gründen , nicht befriedigen.
Der Artikel stellt Autoren und ihre dokumentarischen, untersuchenden
oder schriftstellerischen Arbeiten vor, die mir wichtige Nachrichten
zu dem gewählten Thema vermittelten. Die vorgestellten Arbeiten
beschäftigen sich mit der zeitlichen Anfängen der zu besprechenden Methode, den Leidtragenden und mit den gesundheitlichen Folgen dieser Art der Machtausübung für die Betroffenen. Es handelt sich also um eine Darstellung der Leiden der Betroffenen und nicht um eine gründliche Darlegung der Motive und Theorien der ausführenden Damen und Herren vom MfS oder aus dessen Umfeld.
Diesen Überblick ermöglichen u.a. Wanitschke ( 1 )und Richter(2 ).
Eine ausführliche Bibliographie zum Thema Zersetzung bieten Pingel-Schliemann (3) , Behnke und Fuchs(4) . Fricke (5) stellt seit 1982 ausführliche Untersuchungen über das Wirken des MfS dar. Sandra Pingel-Schliemann veröffentlichte im Jahre 2002 ihre Arbeit über die Zersetzungs-Maneuver gegen Bürgerrechtsvertreter in der DDR seit ca. 1975 .
Sie entwickelte ihre Darstellung aus Zeugengesprächen und aus dem Studium der vorhandenen persönlichen Akten von Betroffenen und kann die bedrückende Praxis der heimlichen Zersetzung dadurch beleuchten.
Der durch Taten des MfS verletzte Literaturkritiker Hans-Georg Soldat
des „Tagesspiegel“ (6) beurteilte eine umfassende, aktenbelegte, Darstellung von Zersetzungshandlungen gegen Schriftsteller von Joachim Walter ( 8) mit folgenden Sätzen: „Fast vierzig Jahre habe ich mich als Literaturredakteur in Berlin an nicht unwichtiger Stelle von westlicher Seite aus mit der Literatur der DDR und ihren Autoren beschäftigt, vieles war wegen dieser lebenslangen Beschäftigung zu ahnen, einiges wurde nur allmählich bekannt- doch was in diesem Kapitel über die von der Stasi organisierte Menschenzerstörung berichtet wird, ist so unglaublich, widerspricht so sehr jedem Humanismus, jeder Menschenwürde, daß das vielfach scharf attackierte Wort von Jürgen Fuchs vom „ Auschwitz der Seelen“ für mich jetzt neue gespenstische Realität erhält.“
Einschränkend ist die potentielle Umkehrbarkeit des Zersetzungsprozesses
für Überlebende zu bedenken(11). Viele Betroffene arbeiten heute, beschädigt, mit Kraft an selbstgestellten Aufgaben (3).
Vielleicht ist das Bild eines Konzentrationslagers der Seelen das zutreffendere.

Scharff (8) schreibt, gefoltert wurde in Prozessen auf legaler Grundlage von der Antike bis zum 18.Jahrhundert. Die Folter erlebte in den europäischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts eine furchtbare Wiedergeburt.
Im Gegensatz zu geschichtlichen Erfahrungen der Staatsgewalt beruht der Schrecken der „Zersetzung“ auf der Anonymität der angewendeten Gewalt. Weder für den Betroffenen, noch für seine Mitmenschen sollten die Urheber der Gewalttaten erkenntlich sein. Noch nicht einmal die Repressionsmaßnahmen sollten als erkannt werden. Nur Beunruhigungen , Verängstigungen sollten wahrgenommen werden. Das MfS ging es bei dieser Methode um die heimliche weitgehende Störung oder, gegebenenfalls Zerstörung der Persönlichkeit selbständiger Menschen. Angestrebt wurde ihre Einreihung in die von der SED geforderten Lebensführung (3), oder ihre
Anderweitige Ausschließung aus dem öffentlichen Leben in der DDR..
Eine solche, auf den einzelnen Menschen gerichtete, heimliche Gewaltausübung ist ein Unterschied zur Gewaltausübung eines Adolf Hitler
und seiner Leute. Hitler ließ sehr viele europäische Bürger wegen ethnischer und rassischer Vorurteile ermorden . Das MfS und seine politischen Auftraggeber bekämpften mit den eigensinnigen Persönlichkeiten tatsächliche Gefährdende ihres Machtanspruches.
Die Methode der heimlichen Zersetzung entfaltete sich u.a. aus folgenden Gründen: Seit der Kuba-Krise bemühten sich die Atommächte um eine Milderung des kalten Krieges. Im Jahr 1975 unterschrieb auch die Regierung der DDR das Abkommen von Helsinki. Dieser Vertrag enthielt folgenden Satz:
„Die Teilnehmerstaaten werden die Menschenrechte und Grundfreiheiten,
einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit für alle , ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion achten.“ Auf Grund der politischen Gegebenheiten im ummauerten Staat DDR war die tatsächliche Verwirklichung der Abmachungen nicht vorstellbar. Die Mächtigen der DDR
nutzten seit 1975 verstärkt die schmutzigen Tricks der heimlichen, psychischen
Bearbeitung ihrer widerständigen Bürger(3,4). So konnten nach Außen pro forma die Verabredungen über die Einhaltung der Menschenrechte nicht
häufiger als gewohnt seit 1949 verletzt werden und zugleich nach Innen
eine heimliche Praxis der Einschüchterung von politisch selbstbestimmten Bürgern angewandt und weiterentwickelt werden (9). Eine möglichst unauffällige mediale Berichterstattung entsprach den damaligen Interessen der DDR-Regierung.


Die Benennung des Tatbestandes der Zerstörung von Persöhnlichkeiten
Mit Hilfe psychologischer Kenntnisse als „Zersetzung“ ist eine sprachliche Neuschöpfung des MfS. Zuvor werden und wurden u.a. der Abbau chemischer Verbindungen und öffentliche Zweifel am deutschen Endsieg als Zersetzung bezeichnet. Die Wortwahl der Staatssicherheit übertrug eine Objektbenennung auf die Beschreibung der gezielten Kränkung einer Persönlichkeit. Damit wurde der Mensch bereits durch die Sprache wie eine Sache behandelt. Diese Verobjektivierung von Menschen (z.B. in herausbrechen ,bearbeiten, aufklären, abschöpfen, rückgewinnen von Einzelnen) ist ein Charakteristikum der Sprache des Staatssicherheitsdienstes (10).

Ca. 1960 begann unter Chruschtschow in der Sowjetunion eine
Ausweitung der Politik der Psychiatrisierung von politisch widerständigen Menschen. Der damals als antistalinistischer Reformer auftretende
Parteichef wollte mit dieser Politik die Anzahl politischer Prozesse im Lande reduzieren und die Widerständigen zugleich isolieren (11).
Mit dieser Praxis war die Sowjetunion Anreger und Helfer der psychischen
Bearbeitung von Widerständigen in der DDR, vermutlich. Denn nicht jede vom MfS genutzte Technik konnte in der DDR bis zur praktischen Anwendung entwickelt werden. Man brauchte sowjetische Hilfe, nehme ich an. Die DDR folgte allerdings nicht dem Weg der psychiatrisierten, politischen Meinung (11)sondern ging ihren eigenen Weg der politisierten Zersetzung , die möglicherweise zur Psychiatrisierung führte.
Eine öffentliche Diskussion der psychischen Mißhandlungs-Methoden in Ostdeutschland begann nach der Besetzung der Archive des Staatssicherheitsdienstes durch Bürgerrechtler im Jahre 1990 (12).
Karl Wilhelm Fricke berichtete jedoch schon 1982 vom systematischen psychischen Druck , der anstelle von Haftstrafen, verstärkt seit ca. 1970 gegen Gegner der SED – Politik eingesetzt wurde. Das Ziel, Menschen psychisch zu zerbrechen, setzte sich der Staatssicherheitsdienst auch bei widerständigen Häftlingen in seinen Untersuchungshaftanstalten(5) .
Joachim Walter (9) beschreibt in seinem Buch „Sicherungsbereich Literatur“ die Beziehungen des Staatssicherheitsdienstes zu den Schriftstellern in der DDR. Die Zersetzungsmethoden waren ein Mittel zur Unterwerfung
widerständiger Schriftsteller seit ca. 1970.
In dieser Situation haben wichtige Schriftsteller in veröffentlichten Texten von den Auswirkungen der politischen Gewalt in der DDR berichtet. Diese Schriftsteller zahlten für ihre Texte mit jahrelanger, u.U. mit jahrzehntelanger psychischer Bedrängung (9,).
Im Jahr 1990 veröffentlichte der Schriftsteller Reiner Kunze Auszüge aus den Akten, die der Staatssicherheitsdienst über ihn angelegt hatte (13). Sie beschreiben Einschränkungen und Verstörungen des öffentlichen und privaten Lebens der Familie Kunze in den Jahren 1968 bis 1977.
Während die Veröffentlichung seiner Arbeiten in Ostdeutschland für Kunze fast unmöglich wurde, begründet er in Westdeutschland mit seinen Gedichtbänden „sensible wege“ (14) , „zimmerlautstärke“(15) und mit seinem Prosaband „Die wunderbaren Jahre“ (16) seinen schriftstellerischen Namen. Nach der Veröffentlichung von 1976 erklärte ihn die SED zum „Staatsfeind“ (17). Das MfS isolierte und bedrohte auf Anordnung der SED die Familie Kunze und schließlich, als diese bedrohlichen Annäherungen an die Existenzen nicht die angestrebte Ergebung erbrachten, trieben die Mitarbeiter des Ministeriums sie außer Landes.

Die Psychologen Klaus Behnke und Jürgen Fuchs gaben 1995 das Buch „Zersetzung der Seele“(4) heraus. In diesem Buch berichten u.a. Psychiater, Psychologen und Historiker über ihre Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit den heimlichen Methoden zur psychischen Schwächung von politisch unabhängigen Menschen.
Klaus Behnke untersucht die „operative Psychologie“ in der Ausbildung, Forschung und Anwendung des Staatssicherheitsdienstes in seinem Beitrag: „Lernziel Zersetzung“. Das Fach „operative Psychologie“ wurde an der Universität des Staatssicherheitsdienstes in Potsdam gelehrt , diese Lehrtätigkeit sollte u.a. das Wissen bereit stellen , mit dessen Hilfe die Hörer verstehen konnten, wie politische Gegner der SED-Herrschaft demoralisiert werden konnten. Dem Studium folgten, aus der Sicht des Staatssicherheitsdienstes häufig erfolgreiche Auseinandersetzungen mit widerständigen Menschen aus der damaligen DDR mit Hilfe verschiedener Psychotechniken . Dabei spielten u.a. behavioristische Lerntheorien, tiefenpsychologische Ansätze, Sozialpsychologie und eine „umgestülpte“ klinische Psychologie und Psychiatrie wichtige Rollen (4,7) . Man nutzte psychologische und psychiatrische, auch klinische, Erfahrungen um Menschen krank zu machen und Gruppen aufzulösen. (2,3,7).
Ein Dozent am Lehrstuhl für operative Psychologie äußerte in einem Interview : „ Es war unser Gedanke , Sozialpsychologie so nahe zu bringen und zu sehen, was es für Erkenntnisse gibt und die dann rumzudrehen.“ (2) Jürgen Fuchs berichtet in diesem Zusammenhang über die Zersetzugsmaßnahmen gegen Robert Havemann:
„Es soll durch operative Maßnahmen erreicht werden, daß sich H. zunehmend
mit sich selbst beschäftigt. Im therapeutischen Geschehen, im Bemühen um psychische Gesundheit, wird gerade der Kontakt zur Umwelt, zum Mitmenschen in den Mittelpunkt gerückt. Beschäftigung mit sich selbst als Abwenden, Zumachen, Isolieren ist eine Gefahr. In diesem Beispiel ist
gerade diese Gefahr für die vitale Ich- Funktion anvisiert“(7).
Klaus Behnke ( 4) berichtet von Mitarbeitern des MfS, die brachen mit Nachschlüsseln ausgerüstet, in eine Wohnung ein, dort stahlen sie nur die einfarbigen Handtücher. Beim zweiten Einbruch stahlen sie nur die bunte Bettwäsche und so weiter. Wer unerfahren und unaufgeklärt mit solchen Zersetzungsmaßnahmen bearbeitet wurde , war nicht nur irritiert , sondern hier begann ein Prozeß der Realitätsdiffusion, der letztendlich eine Psychose auslösen konnte.
Die zerstörerische Anwendung therapeutischen Wissens geschah nicht nur durch psychologisch geschulte Mitarbeiter des MfS, sondern auch sowohl durch zur Mitarbeit gewonnene Psychologen, Psychiater und Therapeuten (informelle Mitarbeiter), als auch durch MfS-Psychologen (1). MfS Psychologen arbeiteten in der Lehre, im zentralen medizinischen Dienst und in der „Arbeitsgruppe Operative Psychologie“ der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), dem Auslandspionagedienst .

Die im Fachbereich ‚Operative Psychologie‘ erarbeiteten juristischen Diplom- und Doktorarbeiten, sind Belege für die Theorie und Praxis der Unterdrückung menschenrechtlich orientierter öffentlicher Bestrebungen durch „Zersetzungsmaßnahmen“ (18).
Bei den Abschußarbeiten der Universität des Staatssicherheitsdienstes war das Vertrauensverhältnis ein häufiges Thema. Die Sichtweise des MfS auf dieses
Thema stellt sich als die Instrumentalisierung menschlicher Verhaltensweisen dar: Vertrauliche Beziehungen in der operativen Arbeit seien ein „Scheinverhältnis“, nur die Zielperson solle zum Informellen Mitarbeiter(IM) Vertrauen aufbauen, der IM täusche dies nur vor. Es gebe 3 Phasen in der Entwicklung von Vertrauen:
Die emotionale Phase: Die Zielperson soll sich in emotionale Beziehungen zum IM einlassen .
verhaltensausrichtende Phase: die Zielperson soll ein „sicheres“ Gefühl
gegenüber dem IM besitzen.
Phase des selbständigen positiven Verhaltens: der IM kann die Zielperson im Sinne des MfS beeinflussen .
Der IM müsse so erzogen werden, daß er kein Vertrauen zur Zielperson habe und andererseits volles Vertrauen zum MfS-Mitarbeiter entwickele.
Dies geschehe am besten über Verhalten und Auftreten des Führungsoffiziers, hilfreiche Zusammenarbeit in kritischen Situationen, Vermittlung tschekistischer Fähigkeiten , Auswertung und Erfahrungsaustausch, ständige Arbeit mit Lob, und über die Erfüllung persönlicher Wünsche.(2, )
Frau Plog (19)sah in diesen Vetrauens-Beziehungen des MfS lebensnotwendige Gefühle von Menschen ausgebeutet. Bei dieser Ausbeutung der Gefühle von Menschen handele es sich um eine ‚Kolonialisierung der inneren Natur‘ des betroffenen Menschen.
Jürgen Fuchs (7) schrieb zum Thema Vertrauen: „Ja, ich habe informelle Mitarbeiter erlebt. Als Menschen, die sich anvertrauten, übrigens schon in der DDR. Also Leute, die sagen, „sie haben mich angeworben“, die
zusammenbrachen,..., die vollkommen dekompensierten.... Die Frage tauchte auf, ist das gespielt, ist das ein Trick.... Die Stasi arbeitete „flächendeckend „ als organisierter Vertrauenskiller. Das ist auch eine sehr, sehr wichtige Seite: Wenn in einer Gesellschaft massenhaft das Vertrauen zusammenbricht. Und
Vertrauen ist das Kernstück der menschlichen Gesellschaft, der Beziehungen
untereinander, der seelischen Gesundheit.“
Jürgen Fuchs berichtet in seinem Beitrag : „Bearbeiten, dirigieren, zuspitzen“ von seinen Erfahrungen mit den Zersetzungstechniken des Staatssicherheitdienstes, die ihm und seiner Frau seit dem Studium in den frühen sechziger Jahren in Jena bis zum Ende des Staates zusetzten (20). Jürgen Fuchs zitiert aus Akten, in denen von einem Gefühl der „Aussichtslosigkeit“ der von aktiven Zersetzungsmaßnahmen Betroffenen aus der Jungen Gemeinde in Jena die Rede ist und als Schlußfolgerung aus diesen Gefühlen von einigen Selbstmorden und Selbstmordversuchen in dieser Gruppe berichtet wird .
Jürgen Fuchs veröffentlichte 1994 einen Auszug aus den Akten, die der Staatssicherheitsdienst über ihn angelegt hatte (21).
Einleitend berichtet der Autor von vertraulichen Erklärungen einiger Begriffe aus der Sprache des Staatssicherheitsdienstes, bevor er von seinen nahezu lebenslangen Erfahrungen und denen seiner Familie mit den aggressiven und werbenden Aktivitäten des Staatssicherheitsdienstes berichtet.
Planvolle Zersetzung (operative Zersetzung):
( teilweise Übersetzungen aus dem Latein und Griechischem in das Deutsche von mir,H.H. )

„Planvolle Arbeitsweise des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zur wirksamen Bekämpfung umstürzlerischer Tätigkeit... Mit der Zersetzung wird durch verschiedene planvolle, Staatsangelegenheiten betreffende Maßnahmen Einfluß auf feindliche, ablehnende Personen , insbesondere auf ihre ablehnenden Einstellungen und Überzeugungen in einer Weise genommen, daß diese erschüttert werden, bzw. Widersprüche sowie Unterschiede zwischen feindlich- ablehnenden Kräften hervorgerufen, verstärkt und ausgenutzt werden.
Ziel der Zersetzung ist die Zersplitterung, Lähmung, Unordentlichkeit und Vereinzelung der feindlich ablehnenden Personen um dadurch feindliche, ablehnende Handlungen, einschließlich deren Auswirkungen vorbeugend zu verhindern, wesentlich einzuschränken oder gänzlich zu unterbinden, bzw. eine unterschiedliche , Staatsangelegenheiten oder Ideen betreffende Rückgewinnung zu ermöglichen.
Hauptkräfte der Durchführung der Zersetzung sind die nicht amtlichen Mitarbeiter (IM).
Die Staatsangelegenheiten betreffende Sprengkraft der Zersetzung stellt hohe Anforderungen hinsichtlich der Wahrung der Heimlichkeit.“

Die gewählten Worte benennen Motive, Vorgehen und Ziel der Aktivitäten
des MfS im Umgang mit widerständigen Bürgern. Das Beschreiben der persönlich erfahrenen Wirklichkeit galt dem MfS als staatspolitisch umstürzlerisch.
Eine Gruppenbildung „vorbeugend“ zu verhindern, bedeutete ein Angreifen von Menschen, die von Eigenwilligkeit z.B. erst schwärmten. Hiervon waren vor allem Jugendgruppen betroffen (3). Rückgewinnen steht, nach meiner Einschätzung, für das Begleiten ehemaliger Widerständler in die widerstandsfreie „Nische“, nachdem man ihnen, mehr oder minder eindringlich, „ die Instrumente gezeigt“ hat.

„Formen, Mittel und Methoden der Zersetzung“:
Bewährte, anzuwendende Formen der Zersetzung sind:
1) Gezielte Verleumdungen des öffentlichen Rufes und des Ansehens auf der Grundlage miteinander verbundener, wahrer, überprüfbarer Angaben, sowie mit Hilfe unwahrer, glaubhafter und nicht widerlegbarer Angaben
2) Gezieltes Herbeiführen beruflicher und gesellschaftlicher Mißerfolge
zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen
3)Untergrabung von Überzeugungen (Ideale, Vorbilder)
4) Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Zukunftsaussicht
5)Erzeugen von Mißtrauen, Verdächtigungen, beschäftigen von Gruppen
mit inneren ungelösten Aufgaben, gegenseitige Beziehungen unterbinden
6) mit geeigneten nicht amtlichen Mitarbeitern arbeiten.
Sandra Pingel-Schliemann und Joachim Walther (3,9) stellen in ihren Büchern Lebensläufe von Betroffenen dar.

Die Zersetzungsbemühungen der Herrschaften des MfS haben , wie geplant, die betroffenen Menschen erschöpft durch andauernden , jahrelangen Streß (Jürgen).
Dauerstreß hat unterschiedliche gesundheitsschädigende Folgen. Dauernder Distress kann krank machen, sogar schwere seelische und körperliche Probleme wie Bluthochdruck und Herzinfarkt auslösen. Man hat herausgefunden, auf welchen Wegen Stress und Ärger das
Herzinfarktrisiko steigern.: bei psychischer Dauerbelastung werden vermehrt entzündungsfördernde Zytokine ausgeschüttet, die Durchblutung wird gestört , die Neigung zur Blutgerinnung nimmt zu
Auch die Immunabwehr ist unter Stress geschwächt. Die Betroffenen werden anfälliger für Krankheiten: Krebszellen entstehen auch bei gesunden Menschen ständig. Üblicherweise werden sie vom Abwehrsystem erkannt und unschädlich gemacht. Doch das Abwehrsystem kann, wenn es durch Dauerstress geschwächt ist, einzelne Krebszellen "übersehen". Aus diesen Zellen können Tumore entstehen.
Bauer und Priebe fanden bei Patienten, die als DDR-Bürgern vor ihrer Flucht oder Ausreise unter langfristigem Stress litten, bald nach der Ankunft in Berlin ein ängstlich-depressives Syndrom. Sechs Monate und 2,5 Jahre später waren die Symptome signifikant zurück gegangen. 90% der Patienten
hatten sich gut an die neuen Lebensumstände angepaßt (Bauer M, Priebe S. Psychopathology and long-term adjustment after crises in refugees from East Germany. Int J Soc Psychiatry. 1994; 40 (3) :165-76. Bei dieser Patientengruppe wurden jedoch signifikant reduzierte Thyroid-Konzentrationen gefunden (Bauer et al. Psychological and endocrine abnormalities In refugees from Germany: Part 1. Prolonged stress, psychopathology , and hypothalamic-pituitary-thyroid axis activity. Psychiatry Res. 1994; 51 (1) :61-73). Zu den Symptomen des Thyroidmangels zählen : Ermüdung, Kränklichkeit, Gewicht-Steigerung, grobes, trockenes Haar, Haarverlust, Kälte-Intoleranz, Muskelkrämpfe, Verstopfungen, Depressionen, Reizbarkeit, Erinnerungsverlust, abnormer monatlicher Zyklus, verringerte Libido.
Viele Menschen verstärken unter Dauerstreß ihren Konsum von Alkohol (Feuerlein).
Alkoholmißbrauch verstärkt die vorhandenen Depressionen und ist mit einer hohen Sterblichkeitsrate belastet. Der Zusammenhang zwischen Alkoholismus und Zersetzungsmethoden ist ein untersuchungswürdiges Thema.

Zersetzende Maßnahmen wirkten häufig wie eine psychische Folter im Sinne folgender UN-Definition (sandra, jürgen ):
Folter wurde von den Vereinten Nationen (Deklaration vom Dezember 1975) erklärt als
„Jedweder Vorgang bei dem ein amtlicher Funktionsträger , oder eine andere Person auf sein Betreiben hin, bei anderen Menschen absichtlich starke Schmerzen hervorruft, oder sie physisch oder psychisch leiden läßt, mit dem Ziel Informationen zu erlangen oder diese Person zu bestrafen oder einzuschüchtern.“
Die Intensität und die Dauer der Zersetzungsmaßnahmen war jedoch abhängig von den Reaktionen der Betroffenen. Einige wurden zur Mitarbeit angeworben, andere entwichen in eine politisch unauffälligere Haltung als zuvor, andere wurdeZeit ihres Lebens nach Verfolgungsbeginn zugesetzt (Quelle: Walter, sandra). Eisenfeld berichtet (Eisenfeld, Bernd : In: Aktenlage . Zur Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Für die Zeitgeschichtsforschung .Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR; Hrsg: K.D. Henke,R. Engelmann, Berlin ,1995) von pro anno 19 000 weitgehenden Überwachungen oder unmittelbaren Verfolgungen von Menschen in der ehemaligen DDR zwischen 1985 und 1988. Dies entspricht 76 000 intensiven ,politisch bedingten Verfolgungsvorgängen in diesen vier Jahren. Die ehemalige DDR bestand über 40 Jahre lang. Wieviele solcher Repressionsvoränge mögen ein Erbe der DDR sein?
Folter oder Terror führten zu ernsten Bio-Psycho-Sozialen Folgeerkrankungen, welche als Post-traumatische-Stress –Störungen beschriebenn werden (Frey C, Valach L, The Treatment of
Torture and war victims . Schweiz Rundsch Med Prax, 1997 86 (21):899-905).
Peters (Peters UH The Stasi persecution syndrome Fortschr. Neurol Psychiatr. 1991; 59 (7): 251-65 ) schreibt in diesem Zusammenhang von einem Stasi-Verfolgungssyndrom , dem Ca. 50 000 Überlebende zuzuordnen sind. Die Folgeerkrankungen stellen in vielen Aspekten diejenigen dar, die als Psychiatrie der Verfolgten bekannt seien, aber ihnen eignet ein
besonderer Zug. Dazu gehören andauernde und paranoide Ängste, wieder aufsteigend in spezifischen Situationen. Es gibt weiterhin realistische Ängste und Verfolgungsträume,
Gemütsstörungen, Mangel an Vertrauen, versuchte Suizide und Klagen über das mangelnde Verständniss Anderer, über das die Opfer klagen.
Es gibt also eine große Zahl der von Staatssicherheitsmaßnahmen betroffenen Menschen. Diese Menschen sind an vielen aufarbeitenden Aktivitäten seit 1989 beteiligt.
Sie konnten bisher eine eindrucksvolle Bilanz ihrer jeweiligen Arbeitsgebiete vorlegen, von denen ich nur einen sehr kleinen Ausschnitt vorstellte.







Literaturliste



1) Matthias Wanitschke Methoden und Menschenbild des MfS der DDR. Köln 2001

2) Holger Richter Die operative Psychologie des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Frankfurt a.M. 2000


3) Sandra Pingel-Schliemann Zersetzen Strategie einer Diktatur, Berlin 2002

4) Klaus Behnke Jürgen Fuchs (Hrg) Zersetzung der Seele Psychologie und Psychiatrie im Dienste der STASI, Hamburg 1995

5) Karl Wilhelm Fricke Die DDR –Staatssicherheit Berlin, 1982

6) Hans-Georg Soldat Die Moral des Autors in der Diktatur, Eßlinger Zeitung
Vom19.& 20. 10. 1996


7) Jürgen Fuchs „und wann kommt der Hammer?“ Psychologie, Opposition
und Staatssicherheit. Berlin 1996

8) Scharff, FAZ, 22.6.2004
9) Joachim Walther Sicherungsbereich Literatur Schriftsteller und
Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1996

10) Christian Bergmann Die Sprache der STASI: ein Beitrag zur Sprachkritik.
Göttingen, 1999


11) Sidney Bloch Peter Reddaway Dissident oder geisteskrank? Mißbrauch der Psychiatrie in der Sowjetunion. München , 1978

12) Jürgen Fuchs Magdalena MfS. Memfisblues. Stasi. Die Firma VEB Horch & Gauck- ein Roman

13) Reiner Kunze Deckname ‚Lyrik‘ Eine Dokumentation. Frankfurt a.M., 1990

14) Reiner Kunze sensible Wege. Reinbeck b. Hamburg, 1976

15) Reiner Kunze Zimmerlautstärke. Frankfurt a.M., 1973

16) Reiner Kunze Die wunderbaren Jahre. Frankfurt a.M., 1976

17) Hans Mayer Aus dem Alltag der Lüge. In: Reiner Kunze Materialien zu

Leben und Werk. Hrg. Heiner Feldkamp, Frankfurt a.M., 1987

18) Förster G. Bibliographie der Diplomarbeiten und Abschlußarbeiten an der
Hochschule des MfS. Reihe A: Nr1. Berlin 1998

19) Ursula Plog Vertrauen ist gut. Über den Mißbrauch der Psychiatrie durch
den Staatssicherheitsdienst der DDR. In: Zersetzung der Seele. Hrg: Behnke K., Fuchs J. Hamburg , 1995

20) Jürgen Fuchs Bearbeiten, dirigieren, zuspitzen. Die leisen Methoden desMfS In: Zersetzung der Seele. Hrg: Behnke K. Fuchs J. Hamburg, 1995



21) Jürgen Fuchs: Unter Nutzung der Angst. Die „leise Form „ des Terrors-
Zersetzungsmaßnahmen des MfS (Ministerium für Staatssicherheit).
BSTU, Abt. Bildung und Forschung, 1994,Berlin


22) Bauer M Priebe S Psychopathology and long –term adjustment after
Crises in refugees from East Germany. Int J Soc Psychiatry 1994; 40 (3):
165-76

23) Bauer et al.: Psychiological and endocrine abnormalities In refugees
From Germany. Part 1. Prolonged Stress, psychopathology and hypo-
Thalamic pitnitany-thyroid axis activity. Psychiatry Res. 1994; 51 (1):61-73


24) Feuerlein,W. Alkoholismus- Mißbrauch und Abhängigkeit Entstehung,
Folgen-Therapie. Stuttgart, 1989

25)Eisenfeld, Bernd: In: Aktenlage. Zur Bedeutung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die Zeitgeschichtsforschung. BSTU Hrg. K.D. Henke Engelmann R., Berlin 1995


26) Frey C., Valach L. The Treatment of Torture and Wae victims. Schweiz RundschMed Prax, 1997; 86 (21): 899-905


27) Peters VH The Stasi persecution Forschr. Neurol Psychiatr 1991; 59 (7): 251-65



Kommentare zu "Zersetzung ( ca. 2003)"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.