Ferien. Endlich sind Ferien. Ich habe rein gar keine Lust mehr auf die Schule und will endlich mal nur entspannen können. Und genau das hatte ich auch vor. Gleich heute Nachmittag trifft sich fast meine gesamte Schulstufe am See. Einfach feiern, dass wir endlich Ferien haben, die Klausuren vorerst wieder alle geschrieben sind und wir in einem Jahr ganz fertig sind mit der Schule. Dann geht’s erst los mit dem Leben. Aber das ist noch ein ganzes Jahr hin, heute soll erst einmal nur ein entspannter Tag zum runterkommen werden. Mehr wollte ich heute gar nicht.
Um zwei Uhr fuhr ich mit ein paar Freunden los zum See, die Sonne schien und es war für April bereits sehr warm, auch wenn vielen das Wasser wohl noch zu kalt war. Obwohl ich wusste, dass es eine Art Stufentreffen werden würde, war ich überrascht wie viele bereits da waren als ich ankam. Viele hatten sogar noch mehr Freunde mitgebracht die auf andere Schulen gehen, doch was machte das schon, wir hatten tolles Wetter und einen ganzen See nur für uns, denn trotz des tollen Wetters war niemand anders zu sehen.
Nach und nach kamen immer mehr Leute hinzu, es wurde geschwommen, Strandspiele gespielt, Musik gehört und geredet und gesonnt. Alles so wie es sein sollte.




Wir waren gerade am grillen, als ein paar Mädchen dazukamen. Sie wissen sicher jetzt schon was kommt, stimmt's? Was soll ich sagen, das eine Mädchen das mein Herz erobert hatte war auch dabei. Wenn das alles nur viel einfacher wäre. Sie weiß was ich fühle, doch wir reden kaum mehr miteinander. Das war nämlich so:
Wir waren gut befreundet als ich gemerkt habe was ich für sie empfinde. Zu dem Zeitpunkt war sie jedoch in einer Beziehung. Ich kannte ihren Freund nicht und möchte ihn ja auch gar nicht schlecht reden oder etwas in der Art. Es hätte ja sein können, dass die beiden gut zusammenpassen. Also habe ich ihr nichts von dem erzählt was ich empfinde, ich wollte ihr nicht wehtun und ihre Beziehung vermasseln solange sie glücklich damit ist.
Dann haben sich die beiden jedoch getrennt, warum weiß ich leider nicht und ich habe auch nicht nachgefragt. Nachdem ungefähr zwei Wochen vergangen waren habe ich mich mit ihr unterhalten. Ich habe ihr alles über meine Gefühle erzählt, auch wenn das im Nachhinein nicht sonderlich klug von mir gewesen war. Ich hätte ihr noch mehr Zeit geben können, das Gespräch anders angehen können, oder aber auch einfach mit der bloßen Faust durch eine Sperrholztür schlagen können. Damit hätte ich dann wenigstens nur allein zu kämpfen gehabt.
Nachdem das Gespräch beendet war hatten wir uns nicht mehr so unterhalten wie früher. Sie ging mir aus dem Weg, mied meinen Blick und zeigte mir die kalte Schulter. Es war als hätte unser Gespräch nie stattgefunden und sie konnte mich auf einmal nur nicht mehr leiden. Ich verstand es wenn sie diese ganze Problematik anders sah, aber an meinen Gefühlen konnte ich nun einmal nichts ändern und das wollte ich auch gar nicht. Deswegen war ich auch nicht wütend auf sie gewesen, weil sie so reagiert hat, wenn es für sie der beste Weg war damit umzugehen, dann akzeptierte ich das so und versuchte es ihr gleichzutun.
Doch das konnte ich nicht. Das bekam ich nicht hin. Ich liebte sie noch immer. Sie wusste das, da war ich mir sicher. Nur brachte es nichts.


Und nun standen wir wieder da in einer kleinen Gruppe und ich bemerkte trotzdem noch wie sie meinem Blick auswich. Aber das konnte ich auch nicht ändern, also drehte ich mich einfach weg und ging noch eine Runde schwimmen. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihr, aber bevor ich mir wie so oft zuvor bereits stundenlang Kopfschmerzen bereitete, tauchte ich lieber ab und behielt einen kühlen Kopf. Welch treffenden Worte.



Dann waren wieder ein paar Stunden vergangen. Die gesamte Menschenmenge hatte sich inzwischen geteilt. Die Mädchen blieben unter sich und unterhielten sich über was weiß ich für möglichen Quatsch und Tratsch, sie kennen das ja vielleicht. Also lassen wir sie einfach reden und kichern. Und die Jungen hatten insgesamt vier Teams gebildet und spielten Rugby gegeneinander. Ich mochte das Spiel, es ist sehr gut geeignet zum abreagieren. Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, List, alles ist gefordert und der Körper wird bis zum Äußersten strapaziert. Eine angenehme körperliche Anstrengung um nun mal den Kopf frei zu bekommen, auch wenn es manchmal brutal werden konnte, aber da wir eigentlich alle mehr oder minder gut miteinander befreundet waren war es bei uns nicht ganz so schlimm. Da wir sehr viele Jungen waren haben wir ein sehr großes Feld abgegrenzt und Teams von jeweils fünfzehn Spielern zusammengestellt. Da es bei dem Wetter sowieso viel zu warm war, spielte ein Team ohne Oberteil und das andere trug Cape's aus Handtüchern. Es wäre sicherlich ein tolles Bild gewesen. Superman gegen den ausgeblichenen Hulk oder so etwas in der Art. Es war einfach ein guter Tag und alle hatten viel Spaß.




Wir unterbrachen das Spiel. Der Ball fiel einfach zu Boden. Niemand beachtete ihn. Ein Mädchen hatte geschrien. Und zwar so laut das es nicht aus Spaß sein konnte. Keiner von uns konnte den Schrei einer gewissen Person zuweisen, doch wir sahen alle samt zu ihnen rüber.
Da waren Kerle. Ungefähr 30 recht große, muskulöse Jungs von neunzehn bis zwanzig Jahren würde ich schätzen, also in bis zwei Jahre älter als ich und meine Freunde. Sie drängten sich an die Mädchen und ich hörte bis hier hinten ihr Lachen. Sie hatten uns wohl noch nicht bemerkt, oder wussten überhaupt nicht das wir eigentlich zusammen mit den Mädchen hier ein Treffen hatten. Ich verließ das Spielfeld und ging auf die Fremden zu, erleichtert hörte ich Schritte hinter mir und war froh den Kerlen nicht allein gegenüber treten zu müssen. Noch auf dem Weg fasste ich mir kurz an meine Schulter die ich mir eben beim Spiel ein wenig verrenkt hatte. Als ich jedoch sah wen die Typen da unter anderem bedrängten beschleunigte ich meine Schritte.
Als die Kerle uns bemerkten schoben sie die Mädchen von sich weg die sich sofort weiter zurückzogen und das Geschehen mit großen Augen beobachteten. Ich sah ihr kurz in die Augen und für einen kurzen Moment erwiderte sie meinen Blick. Ich sah Angst in ihren Augen. Einer von ihnen trat vor. Da ich voraus gelaufen war stand ich ganz vorne und er sprach mich an.
„Was wollt ihr hier? Das sind unsere Weiber verschwindet gefälligst! Am besten sofort sonst passiert noch ein Unglück. Für euch zumindest!“
Für einen kurzen Moment hatte ich meine Stimme verloren, doch zum Glück konnte ich mich dann recht schnell wieder zusammenreißen.
„Da irrst du dich, wir sind mit ihnen hier. Ihr habt hier nichts verloren verschwindet bitte einfach.“
Er lachte mich einfach aus. Meine Knie wurden etwas weich. Einer meiner Freunde trat an meine Seite.
„Er hat es doch gesagt. Verschwindet einfach!“, unterstützte er mich.
Der Kerl klappte den Mund zu. Ein kurzer Moment des Schweigens. Man hörte nicht einmal jemanden atmen. Dann beugte er sich zu mir vor und hielt mir drohend die Faust vor das Gesicht.
„Duuu klein....“, setzte er gerade an, dann bemerkte er den Rest von uns der noch auf dem Spielfeld stand. Einer seiner Kumpels trat neben ihn und ergriff das Wort.
„Was halten ihr von einem Spiel? Der Sieger darf bleiben und die anderen verschwinden. So regeln wir das um zu sehen wer der stärkere ist. Was sagt ihr?“
Ein erneuter Moment des Schweigens. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich sah meine Freunde an. Ich konnte ihre Zweifel erkennen. Die Typen waren fast zwei Jahre älter und um einiges kräftiger. Und sie würden sicher keine Rücksicht nehmen.
Ich sah ein paar von den Mädchen - verschreckt, gespannt und schockiert. Ich sah auf das Wasser, über den See und beobachtete kurz den Horizont. Wir durften nicht nachgeben, wer weiß was diese Drecksäcke dann vorhatten. Dann sah ich sie noch einmal an. Mir wurde warm ums Herz. Sie erwiderte meinen Blick, ihre Augen schimmerten vor Furcht. Jetzt erst verstand ich, der Kerl der uns verjagen wollte war ihr ehemaliger Freund. Ich hatte ihn nur nicht erkannt weil ich ihn zuvor nur ein oder zweimal gesehen hatte. Ich fragte mich nur ob er schon immer so drauf war, oder erst so wurde nach der Trennung von ihr. Andererseits hätte sie sich nie auf ihn eingelassen, wenn er schon immer so gewesen wäre. Aber das war jetzt auch irrelevant. Ich sah sie noch einmal an, dann nickte ich meinen Freunden zu und ging langsam auf das Spielfeld zu. Meine Freunde folgten mir zurück, manche redeten leise auf mich ein, doch ich hörte nicht hin. Die Typen hinter meinem Rücken fingen an zu jubeln und freuten sich in ihrer Siegesgewissheit auf das Spiel, wenn es jetzt noch ein Spiel war. Mein Herz schlug nun um einiges schneller und mein Hals schien auszutrocknen.




Von dem was dann passierte hätte ich niemals zuvor gedacht, dass es mir widerfahren könnte. Aber der Reihe nach. Nachdem wir das Spielfeld erreicht hatten kam der Typ noch einmal zu mir.
„Teams von zehn Spielern, fünf Auswechselspieler, Schiedsrichter brauchen wir nicht und ums spannend zu machen spielen wir bis 60 Punkten, kapiert?“
Ich konnte seinen sarkastischen Unterton nicht überhören. Ich nickte ihm einfach nur zu und ging zu meinen Freunden.
„Ich habe Verständnis wenn ihr nicht wollt, doch wie ihr eben gehört habt brauchen wir insgesamt 15 Spieler, finden sich freiwillige? Ich spiele auf jeden Fall!“
Es dauerte zwar eine Moment, aber zu meiner Erleichterung fanden sich sogar mehr als genug die bereit waren, das Risiko einzugehen. Die Mädchen haben sich am Spielfeldrand versammelt um dem Spielverlauf zu folgen, wo nun auch die Jungs hingingen die nicht mitspielten. Die Auswechselspieler liefen zu unserem Ende des Spielfeldes. Ich sah überall die bekannten Gesichter außerhalb der abgegrenzten Fläche. Ich bemerkte wie sie mich ansah, doch ich wusste nicht was ich machen sollte, also steckte mein Team wie das gegnerische die Köpfe zusammen.
„Haben wir überhaupt irgendeine reale Chance auf einen Sieg wenn ich euch fragen darf?“, sagte einer von ihnen. Ich wusste was er meinte.
„Lasst uns einfach unser bestes geben, sie sind zwar kräftiger, aber das heißt nicht gleich, dass sie besser sind. Das ist unsere Chance allen Jungs und Mädchen da am Spielfeldrand zu zeigen was wir können. Und was wir in Kauf nehmen um eine Schlägerei abzuwenden wenn ihr es so sehen wollt. Gebt alles was ihr habt … und dann am Besten noch etwas mehr, wir dürfen nicht verlieren, tut es für eure Freunde. Wir gingen alle in Ausgangsstellung. Jeder von uns war nervös, dass die Idioten auf der anderen Seite des Feldes uns nur angrinsten machte das Ganze nicht wirklich einfacher.
Dann begann das Spiel.




Wie steckten wieder die Köpfe zusammen. Jeder von uns dachte wohl das gleiche. Wir hatten keine Chance. Wir lagen 6 zu 27 zurück. Wir waren alle verdreckt und erschöpft. Zwei von uns wurden schon ausgewechselt. Die Kerle spielten nicht nur etwas aggressiv, sondern schienen einfach alles auf Brutalität zu setzten. Um das Spielfeld hatten sich inzwischen sehr viele Leute versammelt die wir gar nicht kannten, irgendwelche Schaulustige die das Spiel mit ansehen wollten. Sie hielten uns sicher für verrückt gegen so ein Team zu spielen. Das dachten wir aber auch was machte das schon. Jetzt galt es das Team aufzubauen. Wir durften nicht verlieren.
„Jemand einen Vorschlag für eine neue Taktik?“, fragte ich.
Die meisten sahen nur zu Boden, doch einige sahen mich mit glasigen Blicken an. Ich nickte.
„Leute hört mal, wir müssen das Spiel jetzt wenden, wir können das und wir werden das auch schaffen. Will wer von euch aussteigen? Dann wechseln wir denjenigen sofort aus.“
Keiner antwortete.
„Wir werden jetzt so spielen wie sie es tun. Vergesst es um sie herum zu rennen. Das bringt uns nichts. Also spielen wir jetzt genauso aggressiv. Steht nie zu weit weg von einem, was ich damit meine ist wir bilden kleine zweier Gruppen die sich nie zu weit von einander entfernen. Rennt eure Gegner um, tackelt wann immer ihr könnt, zieht ihnen die Beine weg und bringt sie zu Fall, wir müssen erst ihre Teamfähigkeit schwächen, um die Punkte kümmern wir uns danach. Wir sprechen uns einfach mehr ab, verstanden?“
Manche murmelten unverständliche Worte, doch alle schienen noch einen Hoffnungsschimmer zu haben.
„Wer ist dabei?“, fragte ich. Ich hielt meine Hand in die Mitte des Kreises.
Nach und nach schöpfte das Team neue Kraft und immer mehr Hände gelangten in die Mitte.
„Wir sind ein Team!“, sagte einer.
„Wir werden gewinnen.“
„Wir zeigen es ihnen.“
„Dann los, lasst sie uns fertig machen!“, sagte ich und alle fanden neue Motivation. Das Spiel ging weiter.


Ein langer Pass. Der Gegner fing den Ball ab. Als der gegnerische Spieler sich nach einem Mitspieler umsah wurde er von hinten umgeworfen und landete auf der Seite. Mein Team hatte wieder den Ball. Ein Gegner rannte frontal auf ihn zu. Er rief nach einem Mitspieler und ich antwortete. Ohne den Blick von seinem Gegner zu lassen warf er im letzten Moment den Ball zu mir, dann prallte er mit voller Wucht mit seinem Gegner zusammen. Ich hoffte, dass es ihm gut ging, hatte aber keine Zeit mich umzudrehen. Ich rannte nach vorne, bemerkte jedoch zwei Gegner auf mich zu rennen. Ohne nach hinten zu sehen schrie ich: 'Jemand hinter mich' und kurze Zeit später hörte ich das jemand da war. Ich konnte nun die Wut in den Gesichtern der beiden sehen, weil sie nun mindestens genausoviel einstecken mussten wie wir. Kurz vor dem Zusammenstoß warf ich den Ball einfach blind über meine Schulter, hoffte mein Mitspieler würde schnell genug reagieren, rutschte dem einen Gegner unter den Beinen durch und zog sie ihm noch mit dem Fuß weg, sah wie er im vollen Lauf vornüber zu Boden stürzte. Ich stand auf so schnell ich konnte, wich dem zweiten Gegner aus und schubste ihn noch auf seinen gestürzten Mitspieler zu, sodass er stolperte und auf seinen Kameraden fiel. Im selben Moment verdeckte der Ball die Sonne. Ich fing ihn auf und rannte so schnell ich konnte. Ich stolperte als ich über einen hinweg gesprungen war der mich grätschen wollte. Und – Treffer. Obwohl der Treffer schon zählte wurde ich plötzlich von er Seite her umgerissen und viel auf die Seite, spürte meinen Kopf aufschlagen und wie das Gewicht des Gegners auf mir die Luft aus meinen Lungen presste. Und so ging es weiter. Und weiter.





Wir steckten ein letztes mal die Köpfe zusammen. Ich sah zu dem anderen Team rüber, die mich nur mit wütenden Blicken ansahen. Sie wirkten inzwischen alles andere als siegessicher. Wir waren nur noch acht Spieler, die anderen habe ich vom Feld geschickt. Auswechselspieler haben wir nicht mehr. Das Spiel war schon lange kein Spaß mehr. Sieben von meiner Mannschaft waren nicht mehr in der Lage weiterzuspielen. Fast jeder von uns blutete, ob aus Nase, Mund oder irgendeiner Platzwunde. Doch die verbliebenen acht waren bereit das Spiel zu beenden. Das andere Team hatte nur noch 6 Spieler. Die anderen waren entweder ebenfalls verwundet oder waren von unserer Gegenwehreinfach so schockiert, dass sie aufgegeben haben. Wir acht gegen die sechs. Wir führten mit 51:42. Wir hatten also tatsächlich inzwischen die Chance auf einen Sieg.
„Könnt ihr noch?“,fragte ich?
Alle sahen mir in die Augen. Die brennenden Flammen in ihren Blicken waren Antwort genug. Keiner von uns verzichtete nun mehr auf den Sieg. Es war unglaublich wie viele Menschen sich um das Spielfeld versammelt hatten. Es war kein leerer Fleck mehr am Spielfeldrand zu sehen. Wie gingen wieder in Ausgangsstellung. Ihr Ex-Freund sah mich an. Ich konnte den Hass fast spüren, dann spuckte er auf den Boden. Das Spiel ging weiter.




Das Spiel läuft noch immer, doch es gab keine richtige Mannschaft mehr. Mein Team war zu fünft, das gegnerische zu viert. 57:45 der Punktestand. Wir hatten so gut wie gewonnen. Noch ein Touchdown. Mein Team hat den Ball. Ein Gegner wollte meinen Mitspieler angreifen, doch ich war schnell genug um ihn vorher zu Boden zu reißen. Kurz darauf hatte ich wieder den Ball, doch bevor ich meine Schritte beschleunigen konnte, schlug mir jemand mit der Faust ins Gesicht.
Ich warf den Ball nur noch irgendwo hinter mich in der Hoffnung irgendjemand aus meinem Team würden ihn fangen. Während ich auf dem Boden lag sah ich nur noch Sterne, doch ich versuchte mich so schnell es ging zu sammeln und stand wieder auf. Es war ihr ex gewesen, und er grinste mich nur dumm an. Er machte mich wütend. Jetzt konnte ich ihn noch viel weniger als überhaupt nicht leiden. Wie er hier aufgetaucht ist, wie er und seine Freunde sich verhalten und aufgespielt haben. Und es musste auch einen Grund geben warum sie Angst vor ihm hatte. Ich war so wütend wie noch nie zuvor. Nachdem ich stand verschaffte ich mir einen kurzen Überblick. Zwei aus meinem Team lagen am Boden und konnten nicht mehr aufstehen, ebenso wie einer von den fremden Typen.
Drei gegen drei. Wir waren alle angeschlagen, doch ich war fest entschlossen noch zu gewinnen. Der Gegner hatte den Ball und lief. Ich versuchte ihm den Weg abzuschneiden, doch ich schwankte noch etwas und als es sich gelegt hatte war ich da. Doch zu spät, genau in dem Moment wo ich mich gegen ihn warf … Treffer. Ich gab einem Mitspieler den Ball. Der Spielzug jetzt musste funktionieren, sonst hätte keiner von uns mehr die Kraft zu irgendwas gehabt.
Wir waren zu dritt, sie waren zu dritt, aber wir hatten den Ball. Ich gab meinem Freund ein Zeichen und er lief mit dem Ball nach vorne. Als der erste Gegner auf ihn zulief, warf ich mich meinem anderen Mitspieler gegen ihn. Die Kraft des Zusammenpralls war überwältigend, doch ich konnte mich hoch kämpfen. Leider als einziger, mein Mitspieler und der Kerl blieben einfach liegen.
Also zwei gegen zwei. Ich lief zu meinem Mitspieler, der immer langsamer wurde. Ihm ging die Kraft aus. 'Wirf mir gleich den Ball zu und ramm den ersten der auf mich zugeht, der Rest ist meine Sache.', keuchte ich ihm im Lauf zu. Er nickte und beschleunigte noch einmal seine Schritte.
Ich entfernte mich ein wenig von ihm, dann warf er. Ich fing den Ball um lief vorerst langsam los. Dann beschleunigte ich. Konnte meinen Mitspieler aus den Augenwinkeln nicht mehr sehen, also vertraute ich darauf der er im passenden Zeitpunkt da sein würde. Der eine Gegner, ihr Ex, war noch zu weit entfernt, doch der andere lief bereits geradewegs auf mich zu. Ich lief ihm entgegen, geradewegs frontal auf ihn zu. Ich rannte noch etwas schneller. Ich würde nicht ausweichen können wenn er mich erreicht hatte, dafür war ich zu schnell. Ich sah wie der Gegner mich fixierte, mich auszuschalten schien sein einziges Ziel zu sein und ich bekam einen gewissen Respekt vor seiner Entschlossenheit. Er kam näher … und näher … und er hatte mich erreicht. Kurz bevor ich mit ihm zusammenstieß, tauchte mein Freund auf und rammte den Gegner aus meiner Laufbahn. Die Wucht mit der die beiden zusammenstießen war schockierend, sie überschlugen sich glaube ich noch ein paar mal, doch ich konnte nicht darauf achten. Ich lief einfach weiter als hätte es nie ein Hindernis gegeben.
Nun nur noch ich und er. Und so kurz vor dem entscheidenden Treffer. Er lief parallel und etwas hinter mir. Ich nehme an er wollte mir von hinten die Beine wegziehen damit ich nicht weiterlaufen konnte. Er lief um einiges schneller als ich und ich wusste nicht was ich tun sollte. Also ließ ich den Ball fallen und drehte mich so schnell es ging um, rannte genau auf ihn zu. Mir war egal wie sehr der Aufprall schmerzen würde. Wäre es mir nicht egal gewesen wäre ich wohl gestorben vor Angst. Ich konnte die Verwirrung in seinem Blick sehen, dann suchte er den Ball, als wir auch schon auf einander trafen. Meine Sinne setzten aus. Ich konnte nichts sehen, nichts hören, konnte nicht atmen. Wenige Augenblicke später erhob er sich und ich zwang mich es ihm gleich zu tun.
Kurz bevor ich stand spürte ich jedoch wieder einen explodierenden Schmerz in meinem Gesicht. Ich sackte wieder zu Boden. Ich hörte wie Leute von Spielfeldrand aus laut schrien, doch ich verstand kein Wort. Ich spuckte Blut, sah meine Freunde die noch immer stöhnend auf dem Spielfeldrand lagen und nicht weiterspielen konnten. Mühsam kam ich auf die Beine.
Lauter Farben tauchten vor meinen Augen auf. Dann sah ich sie. Mein Kopf wurde klarer, ich hörte meine Pulsschlag und meine Beine liefen los. Ich hätte nie gedacht so eine Kraft aufzubringen. Doch ich rannte wie der Teufel, ihm und dem Ball hinterher. Ich glaube nicht, dass er mich bemerkt hat, er ist voll und ganz auf den Trefferbereich konzentriert. Ich grätschte ihn etwas seitlich von hinten, mit soviel Kraft wie ich konnte. Noch während er fiel sprang ich auf die Beine, nahm ihm den Ball ab und rannte. Ich sah nicht nach hinten. Ich rannte einfach so schnell ich konnte. Ich hatte keine Luft mehr in den Lungen und all meine Knochen schmerzten. Doch ich rannte weiter … und weiter … und dann war ich da. Treffer! Ich sah wie Zuschauer auf das Spielfeld rannten. Wir hatten gewonnen. Dann wurde ich plötzlich von hinten erneut zu Boden geworfen. Ich hörte es klar und deutlich:
„Das wirst du bereuen. Wenn ich sie nicht kriege, dann du auch nicht. Merk dir das. Wir sind noch nicht fertig.“
Dann hörte ich nichts mehr und versank in Erschöpfung.



Ich brannte. Zumindest fühlte es sich so an. Ich stand auf und bemerkte wie ich beobachtet wurde. Die Kerle waren weit und breit nicht zu sehen. Meine Freunde schienen zwar schwer mitgenommen, aber so weit ich sehen konnte würden sie alle wieder fit werden.
„Wir haben gewonnen!“, schrie plötzlich einer von ihnen.
Die Anspannung löste sich und alle jubelten und schrien wild durcheinander. Die Musik wurde wieder aufgedreht und der Sieg wurde gefeiert. So hatte sich wohl keiner von uns den Start in die Ferien erwartet, aber es gab ja noch ein gutes Ende. Trotz der nicht vorhandenen Aussicht auf einen Sieg haben wir es geschafft. Ein paar von uns fingen an unser Team 'Die fünfzehn Helden' zu nennen, und es setzte sich durch. Ich ging zum See und wischte mich von dem ganzen Schmutz sauber. Als ich zurückkam erzählten mir einige von ihnen, dass sie sogar recht froh waren, dass diese Mistkerle aufgetaucht waren. Nicht weil sie waren wie sie waren, sondern weil das Spiel uns als Gruppe viel näher gebracht hat. Das war wahr. Auch wenn es verrückt klingt, es hat die Freundschaft zwischen vielen von uns verstärkt. Dann trat sie neben mich. Sie sah mich an. Sie lächelte zwar aber sie war nicht ganz so euphorisch wie die anderen.
„Hey, wie geht’s?“, fragte ich sie und lächelte ebenfalls.
„Können wir reden?“, fragte sie.
„Klar.“, sagte ich.
Wir entfernten uns von den anderen und setzten uns in einiger Entfernung an das Ufer des Sees.




So jetzt wissen sie wie es dazu kam. Jetzt sitze ich hier. Mit ihr. Ich genieße den Moment. Die Sonne geht langsam unter und verschwindet hinter dem Horizont. Wir sitzen hier bereits seit ein paar Minuten nebeneinander und bis jetzt hat noch keiner von uns ein Wort gesprochen. Ich bemerke wie sie mich von der Seite ansieht und sehe ihr in die Augen. Mir kommt ein Zitat aus einem Buch in den Sinn: >Deine Augen sind die einzigen Seen in denen ich bereit wäre zu ertrinken< Doch ich spreche meinen Gedanken nicht aus. Sie weiß ja was ich fühle.
„Alles okay mit dir?“, fragt sie mich.
„Ja. Warum nicht?“
„Weil mein Ex und seine Freunde euch 'fünfzehn Helden' ziemlich zugesetzt haben!“, kichert sie.
„Naja schon, aber wir wussten von Anfang an, dass es ein Risiko ist auf das Spiel einzugehen, aber was hätten wir sonst tun sollen?“
„Einfach gehen zum Beispiel?“
„Wir haben doch gemerkt das ein Mädchen geschrien hat. Und wir haben gesehen wie sie mit euch umgegangen sind. Wir mussten darauf eingehen. Irgendwie mussten wir sie loswerden und das war die beste Lösung. Oder die harmloseste. Sie machten nicht den Eindruck als würden sie mit sich reden lassen und wer weiß was in einer offenen Schlägerei passiert wäre.“
„Ja ich verstehe. Wir sind auch froh, dass ihr es getan habt.“
Ich schweige, ich weiß nicht was ich jetzt sagen soll. Schließlich spricht sie weiter.
„Weißt du er war nicht immer so. Weißt du warum ich ihn verlassen habe?“
„Nein. Du musst es mir auch nicht erzählen wenn du nicht willst, ich verstehe das.“
„Ich weiß. Eigentlich sind es drei Gründe warum ich mich von ihm getrennt habe.“
„So viele? Da muss ja einiges passiert sein...“
„Das ist es auch. Der erste Grund war seine neue Clique, die Leute mit denen er seine Zeit verbracht hat haben ihn irgendwie verändert. Er wurde sehr komisch. Er hat mir nicht mehr richtig zugehört wenn ich was erzählt hab, wurde angriffslustiger und immer mehr zu dem der er heute war. Zweitens habe ich erfahren, dass er auf irgendeiner Party mit einer anderen rumgemacht hat. Ich habe versucht mit ihm zu reden, wie es dazu kam. Aber ich konnte nicht mehr mit ihm reden. Also habe ich ihm gesagt, dass es so nicht weitergehen kann. Der dritte Grund war, dass ich Gefühle für einen anderen empfunden habe und jetzt noch empfinde. Da ist er ausgerastet und hat mir gedroht, dass ich es noch bereuen würde. Deswegen hatte ich heute auch so eine Angst vor ihm. Ich weiß nicht was er bereit ist zu tun um sich in seiner Gruppe seinen Respekt einzuholen. Und ich hatte Angst, weil er weiß das du der Junge bist, für den ich etwas empfinde.“
Mir fehlen die Worte. Ich verstehe das nicht.
„Aber wieso bist du mir aus dem Weg gegangen? Du wusstest doch, dass ich genauso für dich empfinde. Warum bist du mir ausgewichen?“
Sie lächelt traurig. Tränen schimmern in ihren Augen.
„Ja. Das wusste ich. Aber ich wusste nicht was er tun würde wenn er erfährt, dass ich so schnell nach der Trennung mit dir zusammen wäre. Es tut mir Leid, ich hätte mit dir darüber reden sollen.“
„Das wäre mir lieber gewesen, aber es hätte an dem Ereignis von heute wohl nichts geändert. Es brauch dir nicht Leid zu tun, du hattest ja deine Gründe.“, versuche ich ihr zu erklären.
Sie betrachtet wieder den Sonnenuntergang. Ich folge ihrem Blick.
„Ich liebe dich noch immer!“, sagt sie dann.
Wie schon so oft heute beschleunigt sich mein Herzschlag.
„Ich liebe dich schon seit längerem, ich liebe dich jetzt und ich werde dich weiterhin lieben.“
Ich hoffe sie weiß was ich damit sagen möchte. Sie bedeutet mir so viel, und das wollte ich ihr sagen. Sie sieht mich an. Ich erwidere ihren Blick. Sie sieht noch immer traurig aus. Ich streiche ihr durch die Haare. Dann küsse ich sie.
„Ich liebe dich.“, sagt sie leise.
Ich nehme sie in den Arm. Blicke und Gesten sagen manchmal wirklich mehr als Worte. Wir lösen uns aus der Umarmung. Sie wirkt nun glücklicher als vorhin … und das freut mich. Mir wird erneut warm ums Herz. Wir betrachten wieder die Sonne, die nun beinahe ganz untergegangen ist und hinterm Horizont Stück für Stück weiter verschwindet.
„Warum ist es meistens viel komplizierter als es sein müsste?“, fragt sie mich.
„Weißt du, für manche Menschen liegen ihre Träume auf dem Horizont. Sie sehen sie und versuchen sie zu erreichen, doch sie werden es nicht schaffen. Und andere Menschen stehen auf dem Horizont ohne es zu wissen und suchen dort ihre Träume, doch sie finden sie nicht, obwohl sie direkt vor ihnen liegen. Doch wenn du deine Träume kennst und den Horizont gefunden hast, wirst du alles finden was du dir wünschst, denn mit dem Horizont hast du bereits das Ende der Welt gefunden … und das schaffen nicht viele.“
Dieser Gedanke kam mir mal als ich darüber nachdachte, ob die Welt ein Ende hat. Doch es ist so, dass man es nur finden kann, wenn man auch sucht, da jeder seinen eigenen Horizont finden muss. Viele geben jedoch vorher auf.
„Hast du deinen Horizont gefunden?“, fragt sie mich.
„Ja, vor einiger Zeit und nach langer Suche. Und du?“, frage ich sie.
Sie schweigt einen Moment.
„Ich habe ihn auch lange gesucht. Und heute habe ich ihn gefunden.“
Wir küssen uns.
Dann beobachten wir, wie die letzten goldenen Strahlen hinter dem Horizont verschwinden.


© Philipp Gallus


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