Sie hatte das Lächeln von einem Menschen, der überle-
gen ist. Und dessen Menschlichkeit mit seiner Überleg-
heit wuchs. Sie sah mich an und ich fühlte mich aufge-
hoben. Aufgehoben, in etwas das Kraft ist. Aufgehoben,
in Gedanken die aufrichtig waren. Aufgehoben, in Gefühl-
en, die vor dem Besten im Leben bestehen konnten.

Ich berührte ihre Haare und küßte ihre Stirn. Ihre Augen
ihre Nase, ihren Mund. Ich zog Sie an mich. So nah, daß
ich nur noch ihre Wärme und ihren Atem fühlte. So nah,
daß es nur noch Sie gab. So nah, das jede stelle Ihres
Körpers etwas kostbares war. Und mit jeder Zärtlichkeit
immer wertvoller wurde.

Sie umarmte mich. Sie legte ihren Kopf an meine Seite. Ich
mochte alles was Sie tat.

Ich strich Ihr die Haare zurück. Und jedesmal fielen sie Ihr
wieder in die Stirn. Ich wollte ihr Gesicht sehen! Und legte
mich so neben Sie, das dies möglich war. Ich wollte ihre
Hand halten! Aber all dies war vergeblich und brachte Sie
nur zum Lachen. Und nur um Sie lachen zu hören, wieder-
holte ich dies immer wieder.

Ich wußte nun, das meine Welt des Rollstuhls, nicht nur
Schein ist. Ich konnte noch etwas fühlen. Mir war nicht
alles gleichgültig. Und ich sah nicht nur, die Schattensei-
ten, dieser Sopur Existenz. Und, ich wollte alles von Ihr
wissen. Da alles von Ihr interessant war. Und etwas in mir
berührte, mit dem mein Leben wieder einen Sinn bekam.

Sie fing an mir von ihrer Heimat zu erzählen. Und wie
schlecht es den Menschen dort erging! Und wieviel sich
seit dem Ende den Kommunismus geändert hatte. Und,
das in allen Bereichen, nur langsam eine Verbesserung,
eintrat. Und das Deutschland, die letzte Alternative für
Sie war. Und wie sehr ihr, Ihr Land, ihre Familie und ihre
Freunde fehlten.

Ich dachte an meine Einsamkeit. An die Monate und Jah-
re wo auch ich hier alleine war. An die Vorurteile und
Dummheiten, die auch ich ständig ertragen mußte. An
das Unmögliche, dass mit jedem Tag mehr wurde. Da
niemand mehr über sein Verhalten nachdachte. Und alle
im Glauben waren, das Leben würde nur durch die An-
deren, immer unerträglicher.

Sie war gegangen. Ich setzte mich in den Rollstuhl und
fuhr in die Küche. Ich trank einen Kaffee und schaltete
die Waschmaschine ein. Dann spülte ich Geschirr ab. Ich
wartete bis der Waschvorgang beendet war. Dann ging
ich einkaufen. Ich dachte über meine guten Vorsätze nach!
Und ob ich ihnen diesmal treu blieb. Oder ob ich mir in
ein paar Jahren wieder eine Prostituierte rufen würde!



1998


© Klaus Lutz


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