Ein kalter Morgen,
alles schläft noch.
Stille liegt über der Stadt.
Der Nebel dicht wie ein Vorhang,
getrennt von der Außenwelt.

Wellen schwappen an den Steg,
die Bewegung stetig und rhythmisch.
Vom Wind angetrieben,
tragen sie den leblosen Körper,
immer näher an das Ufer.

In einem Meer von Rosen.
Rosen im Wasser,
verfangen in ihrem Haar.
Die Haut weiß wie Porzellan.

Der Fluss trug sie schon lange,
tagelang im wilden Gewässer,
erreicht sie endlich Land.

Der Nebel lichtet sich,
erste Sonnenstrahlen künden den Tag an,
das Grau löst sich langsam auf.

Seine Füße versinken im kalten Sand,
wie an jedem morgen,
führt ihn sein Weg an den Strand.
Er genießt die Stille,
atmet tief ein und wieder aus,
sichtbar in der kalten Luft.

Da sieht er sie,
im weißen Kleid.
Langsame Schritte bringen ihn näher.
Er ist erstarrt, vergisst zu atmen.

Schöneres hat er nie gesehen.
Der Sohn des Fischers berührt sie,
ihre Haut ist kalt wie Stein.
Zärtlich streicht er eine Locke aus ihrem Gesicht.

Ihre Augen geschlossen.
Friedlich, wie in einem schönen Traum,
ihre Lippen deuten ein letztes Lächeln an.
Er zieht sie aus dem Wasser,
befreit sie von Seetang und Rosen.

Ihr kalter Körper in seinen Armen.
Die Nässe dringt durch seine Kleidung,
er vergisst die Zeit,
drückt sie immer fester an sich.

Will ihr seine Wärme geben,
wieder Leben in ihren Körper bringen.
Doch sie bleibt kalt.

Stimmen ereilen ihn,
er vernimmt die Rufe nur verschwommen,
erst als starke Hände seine Schultern umschließen,
blickt er auf in die Augen seines Vaters.

Er befreit sie aus seinem festen Griff,
entzieht sie ihm.
Tränen fließen nun ungehindert,
hinterlassen einen salzigen Geschmack.

Immer mehr Leute erreichen das Ufer.
Eine stille in einem Meer von Stimmen,
Hände vor die Münder gehalten,
die Frauen verdecken die Augen ihrer Kinder.

Sein Vater legt sie in seinen Mantel,
die anderen Männer helfen,
tragen sie fort.

Ihre Ankunft brachte Unruhe in die kleine Stadt.
Eine Traurigkeit legte sich über den gesamten Ort,
dichter und drückender als jeder Nebel.
Noch am selben Tag wurde sie begraben,
die unbekannte aus dem Fluss.

Die ganze Stadt versammelt auf dem Friedhof.
Der Vater hielt schützend seine Arme um ihn,
so viel Schönheit,
in seinen Augen wird sie nie vergehen.

Er kniete nieder,
legte eine Rose neben ihren Stein,
berührte das kalte Material.
Sie hinterließ keinen Namen.
So stand auf ihrem Grab nur,
in geschwungenen Zeilen,
„ Die Rose im Wasser“.


© 2009


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Kommentare zu "Die Rose im Wasser"

Re: Die Rose im Wasser

Autor: Karsten Stapelfeldt   Datum: 29.04.2014 18:48 Uhr

Kommentar: Noch eins von den düsteren Wasserleichengedichten. Ist wohl eines dieser ewig wiederkehrenden Motive. Deine Umsetzung gefällt mir aber auch sehr gut.

lG Karsten

Re: Die Rose im Wasser

Autor: mermaidgrrrl   Datum: 29.04.2014 19:51 Uhr

Kommentar: Dankeschön.

Re: Die Rose im Wasser

Autor: noé   Datum: 30.04.2014 10:40 Uhr

Kommentar: Morbide schön...
noé
(Karsten bezog sich auf meines...;o))

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