Grundsätzlich bin ich jemand, der gern unter Leuten ist. In der Mittagspause sitze ich mit Kolleginnen und Kollegen zusammen, abends gehe ich zum Sport oder treffe mich mit Freunden und samstags besuche ich in schöner Regelmäßigkeit den Wochenmarkt, der – wenn Sie mich fragen – nur deshalb ins Leben gerufen wurde, um einen Raum für Menschen zu schaffen, die verzweifelt auf der Suche nach mehr oder weniger bekannten Gesichtern in der Menge sind, die sie gründlich mit ihrem alltäglichen Gewäsch belagern können. Ich muss aber gestehen, dass mich gerade die alltäglichen Belanglosigkeiten, die zum Beispiel auf eben diesen Wochenmarkt ausgetauscht werden, besonders faszinieren – allerdings nur, wenn ich nicht selbst in einem der nie enden wollenden Gespräche festgehalten werde. Hin und wieder misslingt es mir, mich aus der Affäre zu ziehen und ich stehe da mit einem mir in der Regel relativ unbekanntem Herrn oder einer Dame, die sich Augenscheins kaum etwas schöneres vorstellen können, als arme Wochenmarkteinkäufer wie mich in quälende Dialoge zu verwickeln die meistens so oder sehr ähnlich ablaufen:
Der entfernt bekannte Herr: Ach, wie nett Sie hier zu treffen, wir haben ja tatsächlich seit Ewigkeiten nichts mehr voneinander gehört.
Ich: grummle etwas, dass sich, wie ich hoffe, bedauernd und gleichzeitig so anhört, als wäre ich zu sehr in Eile, um mich nun in ein längeres Gespräch verwickeln zu lassen.
Der entfernt bekannte Herr: Wie das Leben so spielt, nicht wahr? Aber heute bietet das Wetter ja auch wirklich an, seine Einkäufe an der frischen Luft zu tätigen. Finden Sie nicht auch?
Ich: hmmhmm
Der entfernt bekannte Herr: Ja, wirklich gestern dachte ich noch, die Sonne würde in diesem Sommer gar nicht mehr zu Vorschein kommen, aber ein Segen, nun ist sie da. Wissen Sie, ich plane demnächst einen kleinen Aufenthalt an der Nordsee mit meiner Frau und den Kindern und da ist es ja wirklich immer netter, wenn das Wetter da mitspielt. Aber wem sag ich das? Ich habe gehört, dass auch Sie kürzlich verreist waren?
Ich, erstaunt und deshalb kurz aus meiner Trance erwachend: Achso? Woher haben Sie das denn?
Der entfernt bekannte Herr: Na, Sie wissen schon, Frau (ein Name, den ich nie zuvor gehört habe) hat neulich zufällig Ihre Großmutter getroffen und mir beim letzten Kaffeetrinken davon berichtet. Das hörte sich ja wirklich nach eine fabelhaften Urlaub an! Südfrankreich, herrlich! Hatten Sie denn gutes Wetter und war die Unterkunft ansprechend?
Ich (war in letzter Zeit weder im Urlaub, geschweige denn in Südfrankreich): Nein, da müssen Sie mich wohl verwechseln. Ich..
Der entfernt bekannte Herr unterbricht mich mit triumphierenden Blick: Wie? Dann waren Sie gar nicht in Nizza und Cannes in den letzten drei Wochen? Dann sollten Sie dringend hinfahren! Ich selbst bin erst kürzlich von einem längeren Aufenthalt dort zurückgekehrt und ich kann Ihnen sagen….
Während der entfernt bekannte Herr nun alle Vorzüge einer Frankreichreise aufzählt, inklusive Tipps für den besten Autoverleih und den sichersten Sonnenschutz, wird mir so langsam klar, dass er mich wohl nur angehalten hat, um diese Geschichte los zu werde. Wahrscheinlich, weil sie zuhause keiner mehr hören wollte…
Ich nicke also freundliche an Stelle, an denen es mir sinnvoll erscheint oder er aus großen Augen auf eine Reaktion hofft und winke seine Erzählungen durch, bis es mir endlich und wie mir scheint nach Stunden gelingt, das Gespräch mit der Begründung zu beenden, dass ich einen wichtigen Termin hätte. Ob der entfernt bekannte Herr nun rätselt, was für einen wichtigen Termin ich an einem Samstagmittag haben könnte, ist mir relativ egal und ich verlasse schnellen Schrittes den Marktplatz. Er hingegen stürzt direkt auf die ihm am nächsten stehende Dame zu und ich höre gerade noch wie er ihr leicht verzweifelt zu ruft: „Ach, wie nett Sie hier zu treffen, wir haben ja tatsächlich seit Ewigkeiten nichts mehr voneinander gehört.“

Ähnlich geht es mir übrigens, wenn ich alte Schul- oder Studienfreunde treffe. Denn solche Begegnungen verlaufen aus irgendeinem Grund immer und ich wiederhole wirklich IMMER gleich. Nämlich so: Ich sehe im Bus kurz von meinem Buch auf. Leider tut das auch der mir schräg gegenüber sitzende alte Schul- oder Studienkollege in genau demselben Moment und ich sehe es in seinem Blick, er denkt dasselbe wie ich: Da kommen wir nicht mehr raus. Also entwickelt t sich folgender Dialog:
Der alte Schul- oder Studienfreund: „Hey… Naaa... Wie geht’s?“
Ich: „Ahh, hey… naaa. Du, ach doch, muss! Alles gut. Bei dir?“
Der alte Schul- oder Studienfreund: „Ja, ja. Mal so, mal so. „
Ich: „Jo, nützt ja nix!“
Der alte Schul- oder Studienfreund: „Genau…“
Sehr unangenehme, mind. 30 sekündige Pause, in der wir beide auf unsere Schuhe starren und uns wünschen, das Gespräch möge doch schon vorbei sein.
Ich frage, um die peinliche Stille zu beenden und nicht etwa weil es mich tatsächlich interessiert, etwas wie: „Und? Was machst du jetzt so?“
Der alte Schul- oder Studienfreund (erleichtert): Ja, doch immer noch studieren. Du weißt schon, VWL, BWL, Jura oder Geschichte (gerne auch in Kombination mit Deutsch auf Lehramt). Naja und da ist auch ordentlich was zu tun, ist ja wieder Prüfungszeit aktuell….
Ich: Kann ich mir vorstellen.
Der alte Schul- oder Studienfreund: Ja…
Usw. usw.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin durchaus ein Freund und Verehrer des gesprochenen Wortes, manche meiner Freunde behaupten sogar ich sei geradezu ein Meister der belanglosen Plauderei. Aber mal unter uns: Wer interessiert sich schon ernsthaft für die Urlaubsempfehlungen eines wirklich sehr, sehr entfernten Bekannten oder das Studentenleben eines alten Mitschülers, mit dem man doch während seiner Schulzeit niemals freiwillig ein Wort gewechselt hat. Und das waren immerhin 13 volle Jahre.
Das „Schnacken“ scheint wohl ein tief verwurzeltes Verlangen zu sein. Bei manchen mehr, bei anderen weniger ausgeprägt. Wie essen oder schlafen. Und sicherlich denkt sich so mancher immer wieder geblendet von der eigenen Erzählwut „Hey, was für ein völlig ereignisloser Tag heute. Ich sollte mit jemanden darüber sprechen!“ Und dann macht er sich auf zum Wochenmarkt und findet mich – still leidend in ein belangloses Gespräch mit dem Schwager meiner Cousine vierten Grades vertieft.


© L.Matusek


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Beschreibung des Autors zu "Endlose Gespräche oder warum ich auf der Straße den Blick senke"

Kurze Geschichte über belanglose Gespräche mit wirklich sehr entfernt bekannte Damen und Herren.




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