Haben die Wüstenlöwen eine Chance?

Im kalten Morgenwind schreitet der Löwe dem Dünenkamm entgegen, langsam, gemächlich, wie es ein König eben tut. Oben angekommen, verharrt er; die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fallen auf seine goldene Mähne, in seinen Augen spiegelt sich die unendliche Weite der Namibwüste…
So könnte eine Legende beginnen und vielleicht ist das auch alles, was in ein paar Jahrzehnten von den Wüstenlöwen der Namib noch übrig ist.
Im Moment aber gibt es die Löwen noch. Wenn man Glück hat, kann man das beschriebene Bild mit den eigenen Augen einfangen.
Was selten ist, wird von uns Menschen als wertvoll eingeschätzt; es bilden sich Interessengruppen, sogenannte Stakeholders, die diesen Wert in Geld umwandeln und damit ihren Lebensunterhalt finanzieren. Unter ihnen gibt es „Main Players“, die bestrebt sind, die Fäden in der Hand zu halten. Sie wollen Macht gewinnen, Einfluss ausüben und natürlich auch selbst gut leben können. Daran ist grundsätzlich auch nichts verkehrt, analog zu dem Aphorismus: „Gott hilft denen, die sich selbst helfen.“
Auch in Bezug auf die Wüstenlöwen gibt es Stakeholders. Angefangen bei der lokalen Bevölkerung, dem zuständigen Ministerium, den Tourismusunternehmen und natürlich den NGOs, die sich immer dort tummeln, wo es Spendengelder gibt.
Inmitten dieser Gruppierungen gibt es einen Menschen, der ohne viel Aufhebens seine Arbeit verrichtet und sich durch seinen Einsatz, aber auch durch seine fundierte Arbeitsweise einen beachtlichen Ruf und Respekt erworben hat. Sein Name ist Dr. Philip Stander, auch als Flip bekannt.
Wer aber ist dieser enigmatische Mensch, um den sich viele Legenden ranken? Zum Beispiel wird erzählt, dass ein potenzieller Sponsor ihm Quellwasser in Flaschen zukommen lassen wollte. Dem Sponsor wurde gesagt: „Das braucht Flip nicht, der trinkt lieber von denselben Quellen und Pfützen wie die Löwen!"
Geboren in Namibia, hat Flip seit frühster Kindheit eine enge Bindung zur afrikanischen Natur, zum Busch, wo er sich zu Hause fühlt. Doch das haben viele Namibier, trotzdem schleichen sie nicht alle barfuß unberechenbaren Löwen hinterher.
Als junger Mann wurde Flip vom Ministerium für Naturschutz angeheuert und so begann seine einmalige Laufbahn im Naturschutz. Flip zeigte großes Interesse an den Methoden wissenschaftlicher Untersuchungen. Mit Hilfe von Kollegen und durch aufmerksames Zuhören brachte er sich selbst bei, wissenschaftlich zu arbeiten, und konnte schon bald fundierte wissenschaftliche Forschungsarbeiten vorlegen und veröffentlichen. Der Wunsch nach einen formellen Studium wurde vom MET unterstützt.
Flips Weg führte an die Cornell-Universität in den Vereinigten Staaten, später nach Cambridge in England, wo er seinen PhD erlangte. Für seine Doktorarbeit wurde Flip mit dem T.H. Huxley-Preis ausgezeichnet.
Wieder in Namibia, setzte Flip seine Arbeit beim MET fort und stieg die Karriereleiter bis zum Leitenden Wissenschaftler hinauf. Leider bedeutete das viel Büroarbeit und wenig Feldforschung. Flip fühlte sich nicht ausgefüllt und verließ 2004 das MET, um selbstständig als Forscher zu arbeiten.
Im Laufe der Jahre hat Flip eine Liebe zu den großen Raubkatzen entwickelt und so ist es nicht verwunderlich, dass heutzutage seine Hauptarbeit den Wüstenlöwen der Namib gewidmet ist. Ziele des „Desert Lion Conservation Project“ sind unter anderem das Erstellen von Daten rund um die Löwen, um Lösungen für den Konflikt zwischen Mensch und Löwe zu finden, denn dieser bedroht das Überleben der Löwen-Population. Wie hat man sich nun Flips tägliche Arbeit vorzustellen?
Es ist ein Leben unter extremen Bedingungen, doch es scheint, als sei Flip wie geschaffen für diese Aufgabe. So bekam er einmal von wohlmeinenden Freunden eine teure Bettrolle geschenkt. Sie endete bald als Unterlage für betäubte Löwen, während Flip selbst weiter auf der gewohnten dünnen Matratze neben dem Feuer schlief.
Wenn man mit Flip unterwegs ist, kann es passieren, dass er plötzlich anhält, aus dem Auto springt, um dann in gebeugter Haltung eine Weile schweigend den Boden zu betrachten. Man selbst sieht eigentlich gar nichts. Wenn man den Mut aufbringt und ihn fragt, was er da tut, erfährt man, dass hier Löwen eine Giraffe gestellt haben. Er zeigt auf etwas im Sand und erklärt, dass das der Abdruck der rechten Vorderpfote eines Löwen ist. Man staunt und denkt, dass man es mit einem Buschmann zu tun hat. Ein bisschen stimmt das auch, denn Flip hat ein paar Jahre mit den Ju/‘Hoansi- Buschmännern im Buschmannland gelebt. Er hat ihre Sprache gelernt und von ihnen sehr viel aus und über die Natur aufgenommen. Deshalb ist er wie sie in der Lage, die tägliche Ausgabe der „Natur-Nachrichten“ zu lesen. Er kennt auch die „Natur-Apotheke“, und sollte er einmal krank werden, könnte er sich schnell mit einem Kräutergebräu kurieren.
Da es in der Namibwüste keine Reparaturwerkstätten gibt, hat Flip gelernt, alles selbst zu reparieren. Auch mit den neusten Technologien kennt er sich aus, so betreibt er zum Beispiel selbst die Webseite für sein „Desert Lion Conversation Project“, wo täglich Neuigkeiten über die Wüstenlöwen zu finden sind.
Sollte man das Glück haben, mitzuerleben, wie Flip einen Löwen betäubt und untersucht, kann es sein, dass nach getaner Arbeit, wenn der Löwe wieder aufgewacht ist und davon schreitet, Flip vor Freude ein paar Kristallgläser herbeizaubert, eine Flasche guten Champagner mit einem Messerschlag öffnet und mit den Anwesenden anstößt. Das, inmitten von Nirgendwo! So schnell wie die Gläser aufgetaucht waren sind sie dann wieder verschwunden und alles kommt einem ein bisschen surreal vor.
Da wissenschaftliche Arbeit in Namibia leider nicht gut bezahlt wird, ist sie hauptsächlich von Spendengeldern abhängig. Vor ein paar Jahren beschloss man, sich primär um lokale Spenden zu bemühen, um das Projekt zu „namibisieren“. Die Idee war, dass Namibier es als ihr eigenes ansehen und damit bewusst den Erhalt der Natur fördern. Wir alle sind Stakeholder. Wenn wir uns nicht als solche sehen, steht dem Verschwinden der Wüstenlöwen kaum was im Wege.
Der Mensch ist bekanntlich der mächtigste Bewohner der Erde. Seit Charles Darwin wissen wir um das Recht des Stärkeren. Wenn ein Löwe an einer Wasserstelle auftaucht, zieht sich das andere Wild zurück. Dem Löwen wird das Recht des Stärkeren zugestanden. Im Gegensatz zu ihm hat sich der Mensch das Recht des Stärkeren herausgenommen. Doch während der Löwe ins Tierreich eingebunden ist und deswegen für sein Tun nicht verantwortlich ist, ist der Mensch über die Natur hinausgewachsen. Leider ist das menschliche Bewusstsein nicht in die Verantwortung hineingewachsen. Es ist an der Zeit, dass jeder Mensch sich seiner Verantwortung bewusst wird und sich dafür einsetzt, dass das Recht des Stärkeren mit einer Verantwortung dem Planeten und seinen schwächeren Lebewesen gegenüber einhergeht. Dazu gehört auch, dass wir uns für den Erhalt natürlicher Lebensräume stark machen. Jeder noch so kleine Beitrag ist nützlich!
Nach kurzem Verharren trottet der Löwe die sonnenbeschienene Seite der Düne hinunter. Er hat seinen „Stake“ in der Wüste abgesteckt. Der menschliche Kampf, der zwischen Natur und Zivilisation ausgetragen wird, ist ihm unbekannt. Er kann ihn nicht beeinflussen, er ist auf unsere Hilfe angewiesen, und es ist zu hoffen, dass die Verantwortung, die der Mensch trägt, bald eine Balance zur seinen Machtgelüsten darstellt…


© Heiko Denker


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