Die Geister! Seit einiger Zeit weiß ich, daß es sie gibt. Sie existieren nicht allein im Jenseits – oder hier – als Astralleiber. Nein! Sie verfolgen mich sogar in ihren verfleischlichten Spuren, als kleine boshafte Fältchen in den Gesichtern der Menschen, in den ungläubig bestialischen Augenausdrücken der Tiere, in der Sanftmut von Hunden; Pferden und Katzen, die gerade einmal nicht ihren Instinkten folgen, in der Liebe des Seins, meiner Seele gegenüber. Ich brenne!
Meine schütteren Fühler spüren sie auf, hinter den Eisentüren der Tabus, wo es in Irrgärten geht, die noch nie zuvor ein Mensch übersehen hat und deshalb nicht hineingegangen ist. Dorthin werfe ich meine Fäden voraus, damit sich die Wege Gottes auftun, für mich und mein Garn, das ich zu spinnen gedenke, denn ebenfalls ich bin ein Gott! Der Gott der Hilflosigkeit und des Vergessenwerdens, in diesem Augenblick der Reue mir selbst gegenüber – da ich zu weit gegangen bin!

Ich muss bleiben! Zurück würde ich nur stürzen, alles überstürzen, denn es ist mir nicht möglich, sie zu beurteilen, die Geister, oder auch bloß mich, wenn es drauf ankommt. Ich schwimme lediglich in ihrer Flut und in meiner, deren Bedeutung einerseits unermesslich, andrerseits aber unerwünscht ist. Nur die Geister wissen, wohin. Nur das Tabu verhindert, daß wir ihnen folgen. Aber ich habe beides durchschaut, nur mich nicht, auf den ich mich verlassen muss.

Verlassen! Alles ist verlassen, die Geister, ich bin verlassen, mir und den Geistern ausgeliefert, die vergeblich versuchen, sich vor mir und allem, was mein ist, zu verbergen, auf daß ein Bild entstehe, das wie ein Irrgarten aussieht. Doch ich kenne alle Tabus und ich reiße die Mäntel weg, von ihnen und von den Geistern – dann sind sie nackt! Ihren Ausdruck geben sie mir preis und ich schäme mich für sie, doch ebenso für mich, weil ich weiß, daß ich klammheimlich einer von ihnen bin!
Unkeusch wie sie sind, fürchten sie sich nicht, erkannt zu werden. Wer würde denn auch hinter einem Lachfältchen vermuten, wie sehr sich der Schmunzelnde über einen Beinbruch amüsiert, den sich ein als Clown verkleideter Lebensteilnehmer gerade zugezogen hat? Wer würde hinter dem reinen Glauben Gefahren vermuten? Oder, wer würde einem Tier übelnehmen, daß es sich holt, was es braucht?! Nicht der Weise, und der Einfältige schon gar nicht. Geister sind eben einzigartig!

Jeder für sich allein, wie auch in der großen Masse, wo sie erdrückend und beängstigend wirken, wenn sie uns entgegenschleiern wie Novembernebel, ist unheimlich – alles ist unheimlich! Denn sie sind Kräfte, die, wie hinter Eisentüren verborgen, im Geheimen auf und in uns wirken, in uns, die wir besessen sind, ohne es wahrhaben zu wollen. Als Astralleiber sind sie tabu! Sie zu erwähnen, macht Realisten verrückt! Und sie in einem Lächeln zu entdecken, oder in einem Instinkt, ist schlichtweg verboten, da sie in keine Lehrsätze passen!

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 290. Schritt

© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 290. Schritt"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 290. Schritt

Autor: Sonja Soller   Datum: 25.07.2022 10:55 Uhr

Kommentar: Großer Text lieber Alf!! Kompliment!

Herzliche Morgengrüße aus dem verbotenen Norden, Sonja

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 290. Schritt

Autor: Kathleen   Datum: 25.07.2022 11:40 Uhr

Kommentar: Sehr geistreich lieber Alf,

liebe Grüße

Kathleen

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 290. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 25.07.2022 16:53 Uhr

Kommentar: ;-)) Danke liebe Kathleen!

Liebe Grüße
Alf

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 290. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 25.07.2022 16:55 Uhr

Kommentar: Danke dir liebe Sonja!

LieGrü
Alf

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