Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 124. Schritt

© Alf Glocker

Natürlich ist der Wahnsinn – auch nicht der alltägliche – nicht einfach eine rein pseudo-soziale Einrichtung. Er will schon vor allem gekonnt sein. Fleiß und Akribie sind nötig, um seine heilsame Wirkung der übrigen Welt angedeihen zu lassen.
Nicht immer erkennen wir seine Grundlagen und Bedürfnisse sofort zweifelsfrei, weshalb es zudem nicht genügt, sich einfach seine ureigensten Gedanken dazu zu machen. Zum Glück gibt es jedoch diverse Hand- und Weißbücher, die uns anschaulich schildern, wie er zu funktionieren habe (man orientiere sich einfach am vorherrschenden Modetrend).

Aber nicht allein die gewissenhafte Gewissenlosigkeit ist dabei ausschlaggebend, man sollte auch dringend die eigenen Absichten und Anlagen unter die Lupe nehmen. Untersuchen wir zuerst einmal, ob wir vertrauenswürdig sind! Können wir uns, nach außen hin, so darstellen, wie man es gerne sieht? Gibt es Menschen, die uns das abnehmen, die uns bereitwillig Glauben schenken? Dann sollten wir uns in acht nehmen, denn dieser Zustand muss unbedingt erhalten bleiben! Er dient uns als Deckmäntelchen, unter dessen Fittichen sich allerhand verbergen lässt. Nicht bloß den anderen, sondern vor allem uns selbst sollte es ein Geheimnis bleiben, wie wir wirklich sind. Nur dann kann es uns gelingen, mit geschickten Äußerungen Wehrlose aus der Fassung und uns selbst in den Genuss eines Vorteils zu bringen.

Ein wichtiger Grundsatz aus den inoffiziellen Anleitungsrichtlinien zum Wahnsinn lautet: „Bringe selbst etwas in Erfahrung, teile dies aber niemandem mit, und mache dich rechtzeitig darüber lustig, wenn einer nicht weiß, was du weißt“. So verunsichert man, bei regelmäßiger Anwendung, Naive oder Schwächere um sich herum tödlich – es dürfen auch ruhig die Gutmütigen sein.
Jetzt brauchen wir nur noch gekonnt zu verbergen, was wir alles nicht wissen (damit keiner über uns lachen kann), und alles wird gut! Bald werden wir – sollten wir nur konsequent und unbarmherzig, Pardon, entschlossen genug und selbstbewusst bleiben –, über die Mittel verfügen, nach denen sich jedermann sehnt.

Wer nun inzwischen auf ehrliche Zusammenarbeit und offene Karten gesetzt hat, der wird uns beneiden. Selbstverständlich haben wir das auch – aber eben nur vorder-gründig. Im Hintergrund haben wir uns unseren Teil gedacht und gehandelt, wo „Dümmere“ noch gezögert haben. Unser mittlerweile ehrlich erworbenes Ansehen verhilft uns zur nötigen Glaubwürdigkeit, um nicht aus der Bahn zu geraten.

Das überlassen wir anderen! Und wir werden das zusätzlich gleich als ein „Auf-die-Schiefe-Bahn-Kommen“ bezeichnen, wenn uns ein Vorteil dabei winkt. Man bedenke: Auch die Darstellung der eigenen Persönlichkeit als absolut integer ist ein Zugewinn! Ein Zugewinn, der andere Gewinne automatisch nach sich zieht, denn mit wem schließlich wollte man lieber Geschäfte machen, als mit einer integeren Persönlichkeit?!

Selbstverständlich dürfen wir uns, während wir derart „rational“ vorgehen, niemals fragen, was unser Handeln mit dem Wahnsinn zu tun hat! Wir dürfen einzig darauf achten, wie weit wir damit kommen – nicht in Zukunft, nicht im Interesse späterer Generationen, nein, ausschließlich in unserem Interesse, von genau hier bis zum Tellerrand. Denn die Grenzen des Wahnsinns dürfen niemals überschritten werden … von innen versteht sich!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 124. Schritt"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 124. Schritt

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 10.11.2021 10:01 Uhr

Kommentar: Lieber Alf,
deine Wahnsinns Schritte regen mich immer wieder zum Nachdenken an. Diesmal aber beschäftigt mich mehr dein Bild. So stelle ich mir unser Gehirn im Augenblick einer Ratlosigkeit vor. Auf jeden Fall alles wieder gelungen.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 124. Schritt

Autor: Sonja Soller   Datum: 10.11.2021 12:39 Uhr

Kommentar: Lieber Alf,
das Bild habe ich mir sehr genau angesehen, ich möchte es nun ganz vorsichtig ausdrücken: Mein Gehirn kann es nicht sein!!!!!! :-)
Du bist ein Wortakrobat - , ein Künstler, der einen zum Lachen, zum Weinen und zum Nachdenken bringt!!! Kompliment!!!!

Herzliche Grüße aus dem herzigen Norden, Sonja

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten / 124. Schritt

Autor: Alf Glocker   Datum: 10.11.2021 14:03 Uhr

Kommentar: Vielen Dank liebe Freunde!

LG Alf

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