„Wisst ihr“, sage ich zur Nacht, „ich bin sooo müde geworden“ und dann fange ich an, noch verrückter zu fanatsiesieren, denn mir steht auf einmal Manitu gegenüber. „Verstehst du mich, großer Häuptling?“ Ich nenne ihn „Großer Häuptling“, weil ich die Natur achte. Er sieht mich nur an und erwidert lakonisch „ich weiß nicht, wovon du sprichst, Kleiner Fisch (er nennt mich 'Kleiner Fisch' und ich verstehe)“. Ich deute auf die Blätter des Indian-Summer und eine Träne fällt mir zu Boden. Ich werde sie nicht wieder aufheben...

Dort, wo sie hingefallen ist, stirbt ein Wurm in der Erde, aber der Fluss am Horizont leuchtet, gefärbt von der untergehenden Sonne, blutrot. Die Bäume trauern mit mir um mein Volk, das sich nicht anpassen konnte, denn die Waffen der anderen waren stärker. Sie waren entschlossen uns zu vertreiben und ihre Squaws schleppten unentwegt Schwangerschaftsbäuche zu uns herein. Wir konnten ihnen das nicht verbieten, denn bei uns gelten alle Kinder als Kinder der Sonne. Aber sie sind unser Tod!

Niemand unter uns hat es gewagt an den Entschlüssen zu zweifeln, die aus den ewigen Jagdgründen zu uns kommen, um uns heimzuholen. Die monotonen Gesänge der Mörderbanden haben uns zudem irritiert. Wir hielten sie für einen Regentanz, der die Fruchtbarkeit der Geisterwelt zu uns bringt. Doch bald werden unsere Behausungen brennen! Wer von uns noch bleiben will, im Land unserer Väter, der muss die Augen hinter sich haben, um zu erkennen von welcher Seite ihm die Gefahr droht.

Die großen Pawwows unserer Ältesten haben nichts gebracht! Einige Schamanen haben uns zwar, in Trance von dem Unheil berichtet, das wie ein gewaltiges Unwetter über uns hereinbrechen wird, aber die Krieger wollten nicht hören. Sie hielten sich für unbesiegbar, doch von ihren täglichen Streifzügen durch die Welt brachten sie immer mehr schlechte Nachrichten mit und immer seltener erzählten sie abends am Feuer von den Erfolgen einer glücklichen Jagd. Bald wird ihnen das Glück verboten werden.

Ich selbst sitze abseits der Feuer. Ich möchte nicht mehr von den Niederlagen der einst fleißigen Stammesmitglieder hören, ja, ich möchte sie sogar nicht einmal mehr sehen! Wie oft habe ich ihnen die Situation geschildert, in der sich unser Volk befindet und wie oft habe ich ihnen erklärt, daß wir uns ändern müssen?! Wir dürfen einfach nicht mehr die Ereignisse der Vergangenheit mit denen aus der Gegenwart durcheinanderbringen...

Alle Bedeutungen haben sich ins Gegenteil verkehrt und die Lebensbedingungen müssen heute anders beurteilt werden. Was da auf uns zukommt ist nicht mehr ehrenvoll. Wir können nicht mehr aufrecht vor unseren Wigwams stehen und nur deshalb stolz auf uns sein, weil wir das Kriegsbeil nicht ausgegraben, sondern die Pfeife mit denen geraucht haben, die nichts weiter wollen als den Untergang unserer Nation.

Die Nacht scheint mich zu verstehen, denn sie hellt sich ein wenig auf, als Schwester Mond sichtbar wird. Riesig steht sie über dem Wald. Damit macht sie mir meinen Entschluss leichter, den Weg voraus in die Verdammnis zu gehen, der uns allen bevorsteht. „Du weißt auch nicht immer was du tust, Großer Häuptling“, sage ich zu Manitu. Doch der lässt Schwester Mond lächeln, so als gäbe es uns schon lange nicht mehr – als wären wir nur noch eine Erzählung aus dieser einen und tausend anderen Nächten!

*

Ausdruck der Wehmut


Heyah, heyah, heyah, heyah,
tanzen wir den Totentanz -
heyah, heyah, heyah, heyah,
hier im letzten Sonnenglanz.

Hinter Wolken schläft das Licht,
Trauer macht sich endlos breit
und das große Weltgericht
beendet unsere Lebenszeit!

Großer Häuptling Manitu,
gib uns noch einmal das Glück!
Schau nicht einfach immer zu!
Das Ende sitzt uns im Genick!

Überall sind nur noch Feuer!
Unser Volk flieht nirgends hin,
wo man hinschaut Ungeheuer!
Sagt mir wo ich sicher bin!


© Alf Glocker


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