Prolog


Bevor Sie, lieber Leser, nun zur Lektüre dieses Buches schreiten, das ich als den Katechismus der Vernunft bezeichnen möchte, könnte, so will mir scheinen, eine entsprechende Vorbereitung von Nutzen sein. Sich einfach aus dem Stand auf die Zeilen zu stürzen, in der Annahme, man wäre grundsätzlich locker genug alles auf sich zukommen zu lassen, ist zwar äußerst respektabel, aber womöglich etwas übereilt, sobald man geneigt ist, eigene Stärken gewissenhaft überdenken zu wollen. Lassen Sie sich Zeit – auch der Autor hat Rom nicht in einem Tag erschaffen!

Gehen Sie, mit ihm (mit mir) also bedacht, sämtlich Hürden an, an denen wir auch gemeinsam scheitern können, wenn wir nicht humorvoll zusammenarbeiten. Denn was momentan manchmal fürchterlich surreal aussieht, ist oft hauptsächlich metaphorisch – und, was geradezu ärgerlich wirkt, nichts weiter als philosophisches Kabarett! Seine Ansprüche an das Publikum sind jedoch groß. Aber wir können uns leicht darauf einstellen, wenn wir einige Punkte großzügig nicht außer Acht lassen wollen.

Wie finden wir heraus welche das sind? Dafür stellen wir uns (Sie sich, lieber Leser) praktischerweise vor den Spiegel (ich komme gerade von dort) und entkleiden sie sich! Nein, nein, lassen sie, um Gottes Willen die Wäsche an – entledigen Sie sich aber unbedingt von der, ansonsten bitter notwendigen, Selbstachtung! Das erleichtert das Ganze ungemein, denn schon werden Sie ein-sehen, daß Sie einiges über-sehen haben, was ihnen jetzt im Weg steht, der unser Ziel ist: ein schrittweises Verstehen der Wahrheit!

Nachdem die Wahrheit jedoch in der Regel sehr verschleiert wird, von dem was wir für sie halten, beziehungsweise für sie halten müssen, sobald wir auf das hören, was man uns sagt, dürfen wir höchstens ganz wenige Fehler machen. Angefangen bei der schonungslosen Beurteilung unserer selbst, bis hin zur völlig undogmatischen Betrachtung aller Dinge, werden wir erfahren wie wichtig uns die geistige Nacktheit zur Entschlüsselung fundamentaler Rätsel sein wird, deren Lösung wir uns nun stellen werden! Wünschen wir uns gegenseitig viel Glück dabei!

*

1. Schritt


„Gib dich vertrauensvoll in meine Hände“ sagt der Wahnsinn. Ich zögere, sage aber „Vater“ zu ihm. Er ergänzt: „Vater aller Dinge, mein Sohn! Meine Schwester ist die Mutter aller Schlachten und unsere Kinder sind so zahlreich unter der Sonne, wie Sterne am Nachthimmel stehen. Meine Wünsche sind deine Wege und meine Wege manifestieren sich in deinem Wissen! Sei froh mit dir vereint und erkenne mich an! Deine Pole ruhen in mir und mein Wille geschehe, in Ewigkeit: Samen!“

Panik ergreift mein Herz wie ein Virus. Es sucht nach ärztlicher Hilfe! Ziellos umherirrend liest es Werbeplakate mit Aufschriften wie: „Die Parlamente haben heute geschlossen!“, oder „Eine Lösung ist keine Lösung, es sei denn es handelte sich um keine Lösung!“

Ich taumle und während ich taumle beginnt die Nacht“. Der Himmel ist sternlos und hellblau. Er erinnert mich an die Augen einer schönen Frau von vorgestern. Deshalb fange ich schelmisch zu träumen an. Im Traum singe ich ein Lied:

Heidewitzlos, ich bin ein Held,
und ich möchte tanzen,
weil alles mir gefällt,
drum schnür' ich meinen Ranzen.

Weiberspeck und Honigmilch,
sagen mir sanft „April“ –
ja, ich bin ein armer Knilch,
weiß ich was ich will?

Einen Hundertmeilenstiefel,
Siebene auf einen Streich,
Wissen wie von einem Büffel,
Beutelgelder, viel und reich!

Abendseen, wohlgeboren,
Sonne mittendrin und rot,
den Verstand im Bett verloren –
nimmermehr aus keinem Lot!


Nichts ist so speckdackulär wie ich aussehe: pathologisch geschnitzt aus dem falschen Holz – nicht grade Eben! Keiner würde mich erkennen, solange er sich Mühe gibt, nach den Verfahren zu verfahren, die uns prägen mit den Jahren! Nicht einmal ich. Aber das ist auch eine Kunst – in einen Spiegel zu blicken, den uns irgendwer ins Schlaffzimmer gehängt hat. Je nachdem sind darin zu sehen: Gotthold Clooney, Wilfried Einstein, Romy Schwarzer, die Hagia Sophia, usw. Das war zu erwarten! Ein Hoch auf den Messias „Selbstbewusstsein“! Er bringt das Heil, er ist das Licht der Welt, wer an ihn glaubt, der wird selig werden und ginge er gleich durch die kolkrabenfarbene Dunkelheit!

Stimmt das? Ich darf jetzt nicht ausrasten! Nur rasten darf ich, mich ausruhen von den Spuren der Zeit. Und trösten darf ich mich. Zusammen gehen wir vor den Spiegel, der Trost und ich. „Du musst jetzt sehr stark sein“ sagt der Trost und ich nicke. Dann flüstert er: „Hokus, pokus, dreimal Schwarzer Kater! Jetzt darfst du gucken!“ ich gucke, sehe aber nur den Untermann der Bremer Stadtmusikanten. Das bringt mich zum Lachen.

„So ist es recht“, schärft mir der Trost ein, „du kannst dich also aushalten. Nun aber verzeihe den Gewaltigen dieser Erde, die es verstehen sorgenfrei zu überleben, ohne je in den Spiegel geschaut zu haben, wie du gerade in den Spiegel geschaut hast. Sie würden den ungeschminkten Anblick ohne die sinngebende Übermalung mit ihrer frechen Fantasie einfach nicht überleben!“

„Ja, lieben sie sich denn nicht?“ brülle ich vor Lachen. Ich lache solange, bis ich mich in Weinkrämpfen am Boden winde und der Trost verschwunden ist. Halluzinationen fallen mit mir überein und ich über sie her: aus sämtlichen Götzen- und Heldensagen tummeln sich plötzlich die heroischsten Gestalten vor meiner armen Seele, die nun, von so vielen guten Beispielen umringt ist, daß sie sogar die Botschaften aus dem Jenseits, welche von hinter den Weltnachrichten über uns hereinbrechen, versteht.

Ich bin ein Junkie! Aber Wahrheitsdrogen in Überdosis sind auch für mich nicht sehr geeignet, da sie mich in mehr als nur in eine Million Teile aufspalten. Und diese Spaltung diesseitig unbeschadet zu überstehen ist entweder nicht ganz einfach, oder ehrlich gesagt, gar nicht zu bewältigen. Ein fiebriges Wabern nimmt mich gefangen. Verstorbene tauchen – im Nachhinein anerkanntermaßen wahnsinnig geworden – vor meinem geistigen Auge auf, verlieben sich in Witzfiguren aus der gegenwärtigen Weltgeschichte, zeugen mit ihnen Affenkinder und verschwinden dann in einem Dschungel aus Zeichen und Symbolen, der nicht einmal mehr von Tarzan entwirrbar wäre.

„Wasser!“ krächze ich, denn ich habe gehört, daß Lügner gerne trinken, weil man vom Lügen einen trockenen Mund bekommt. Nun scheine ich es endlich zu wissen: ich habe nicht nur lange Ohren und ein graues Fell, sondern auch kurze Beine! Ich schäme mich! Schüchtern entschuldige ich bei den Abermillionen Gotthold Clooneys, den Milliarden Romy Schwarzers, den Weltmeistern im Wasweißich und den Königinnen der Weine, Länder, der Körper- und Erdteile. Dann versinke ich im Boden der Verzweiflung, breite mich dort stimmig aus und falle hyperventilierend ins Koma.

Leider ist es ein Wachkoma! Ich habe keine Kontrolle, aber die Kontrolle hat mich! Ich habe keinen Willen, aber ich bin zu allem gewillt – und ich werde künstlich ernährt: aus deutschen Landen, frisch vergiftet auf den Tisch. Draußen, vor dem großen Tor, wo zwei Schatten wie einer aussehen, wartet die Verliebtheit auf mich, sobald ich aufstehen und fighten kann wie ein Berserker, ein Arbeiter der Stirn und/oder der Faust, mit meiner goldenen Kreditkarte, einem regulären Gebetbuch, sowie der Verlorenheit in einer nicht logisch begründbaren Untiefe. Und ich staune!

Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten /1


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten /1"

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten /1

Autor: axel c. englert   Datum: 13.08.2016 11:06 Uhr

Kommentar: Der Leser staunt hier mit -
Das Wach-Koma hält fit!

LG Axel

Re: Der beginnende Wahnsinn in 365 Schritten /1

Autor: Alf Glocker   Datum: 16.08.2016 6:59 Uhr

Kommentar: Harharr! Fitness ist als Lebenszweck,
manchmal etwas wirr und keck!

LG Alf

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