Rationalisiertes Handeln

Treffe ich auf mehr Menschen, welche in die eine Richtung denken, aber in die andere Gehen? Vielleicht mag es mir so vorkommen, weil ich mit mehr Menschen als zuvor über Themen spreche, die ich zuvor nicht so häufig angesprochen habe. Es ist schon fast langweilig, wenn alle in einer gemischten Runde - insbesondere in einem Land wie der Schweiz, in der die überwiegende Mehrheit eine gut bezahlte Arbeit, ein geregelten Alltag und das Geld hat, BIO Lebensmittel zu kaufen – zustimmen, dass sich etwas gewaltig ändern muss, weil wir zuviele Ressourcen verbrauchen und so weiter und so fort.
Ich selbst hänge zwischen diesen Fronten, liege manchmal schlaflos stundenlang im Bett:
Mein Kopf springt von einer Seite, von einer Entscheidung, einem möglichen Leben, auf die andere, auf ein anderes mögliches Leben. Imaginationen, Visionen mischen sich mit Gefühlen, mit Tränen eines Halbschlafes, der wankt zwischen der Welt des Wachseins und der des Traumzustandes.
Doch warum kann ich mich nicht entscheiden?
Denn es ist mir klar, dass wenn man zwischen zwei Zweigungen an der Kreuzung steht, sich jedoch nicht bewegt, ja schwankt, wie ein Betrunkener mal nach links und mal nach rechts pendelt, man nirgends hingelangt -Stillstand ist des Lebens Gegensatz, Leben heißt Bewegung.
Woran ich meine Entscheidung festmache?
Ich frage mich selbst, wie ehrlich ich zu mir bin. Heute habe ich einen so simplen wie bemerkenswert tiefen Satz gelesen, der folgendes besagt: Das Selbstbild, nach dem wir immerzu streben und das zu erreichen uns quält, haben wir uns selbst auferlegt. Wichtig hierbei ist, dass man es sich selbst auferlegt. Fast bin ich über diesen Satz gestolpert und hätte mich wieder gefangen, doch wie ein Stein, der einen straucheln lässt und nach dem man sich verdutzt umsieht, bin ich auf diesen Satz aufmerksam geworden. In diesem Punkt, dass die härteste Bewertung die des eiigenen Selbstbildes ist, war ich wohl immer unehrlich mir gegenüber, habe und mache es wohl noch immer, denn die Gewohnheit ist eine, wenn nicht die stärkste Prägung und sie ist es, die in meinem Denken die Gesellschaft für meine Einschränkungen und gefühlte Zwänge Verantwortlich macht. Doch ich selbst bin es gewesen, der diese Strukturen, diese werte, so lange absorbiert hat, bis sie unbemerkt ein Teil von mir wurden, mich bezwangen, um in meinem Selbstbild eine Person zu erzeugen, welche von dem inneren Selbst, kehre ich in mich, nicht gewollt ist.
Was will mein inneres Selbst?
Es will nicht mehr und weniger, als in Liebe leben. Denn durch sie wird man getragen, sodass man auch sich selbst entwickeln kann. Diese Liebe bezieht sich zum einen auf menschliche Liebe, denn, so gerne ich auch alleine bin, so oft ich auch keine Gesellschaft einer Gesellschaft mit negativer Stimmung vorziehe, so tiefgehend, so unersätzlich ist wirkliche Liebe, so kläglich hänge ich im Nichts, wird sie mir verwehrt. Zum anderen bezieht sich die Liebe auf ein herzliches Miteinander mit der Umwelt, mit der erde, die uns freundlicherweise trägt und alles lebensnotwendige bietet.
So bin ich wieder bei der Kreuzung angelangt, die mir den Schlaf raubt: Natürlich steht auf der einen Seite ein Mann, dessen Liebe mir das Höchste ist, denn sie saugt mich. Um seine Zuwendung zu erlangen, wende ich mich ihm zu, öffne ich meine schützende Schale um meinen Kern, denn ich will die reine Liebe herein lassen. Sie enthebt mich.
Sie enthebt mich? Von der Erde?
Genau an diesem Punkt drehe ich mich auf die andere Seite, denn ich, die ich nun schutzlos, meiner Schale entraubt, dastehe, fühle, dass diese Liebe allgegenwärtig ist, allgegenwärtig wäre, wenn wir sie nur ließen. Doch wir zerstören sie durch unseren Lebensstil – wir zerreißen das Band der Verbundenheit mit der Erde, die uns trägt, mit den Menschen, die wir zusammen auf dieser Erde leben, durch unsere Lebensweise. So will, fokussiere ich mich auf diese Sichtweise, mein Fuß den Schritt zu einer anderen, einer bewussteren Lebensweise gehen, winer in Verbundenheit.
Doch was würde dann passieren?
Mein offengelegtes Herz müsste, um die Blutung zu stoppen, den Mantel wieder auferlegen. So dramatisch sollte diese Szenerie nicht aufgebaut werden, zeigt sie jedoch ei Dilemma unserer Zeit: Das Selbstbild, von gesellschaftlichen Zwängen gebildet, die Suche nach Liebe und danach, bewusst in der Liebe zu leben. Wieviele Menschen sprechen davon, dass unser Lebensstil nicht weiterhin tragbar ist für die Menschen und machen doch von Tag zu Tag weiter wie zuvor? Sie befürchten, wenn sie ihr Verhalten, ihre Lebensweise veränderten, nicht mehr anerkannt zu sein, Liebe einzubüßen, und um diese Furcht vordergründig zu überwinden, haben sie diese Rolle in ihr Selbstbild adaptiert. Und so hüpfen sie zwar von einem Job in den nächsten, von einem Partner zum nächsten, immer auf der Hut, ihrem Selbstbild zu entsprechen, doch betrügen gleichzeitig ihr innerstes Selbst.
Gibt es eine Lösung für dieses Dilemma?
Das Selbstbild wie einen Spiegel zerspringen lassen, sodass einem statt des Selbstbildes nur noch sein Innerstes bleibt, auf das zu hören man nun gezwungen ist? So wäre die theoretische Lösung. Wer diese Fähigkeit erlangt hat, due wohl lange Lernzeit benötigt, denn immerzu wurden wir dazu angehalten reflexiv, also wie von einem Spiegel aus uns zu betrachten, statt intuitiv, aus unserem Inneren heraus beobachtend, der kann Entscheidungen treffen, wirkliche, die einen Weg festlegen und nicht nur ein Arrangement zwischen einen der vorgegebenen Wege darstellt – also keinen weiteren sinnlosen Jobwechsel, wenn der folgende Job nicht ein grundlegend tieferen Sinn verspricht – eine Entscheidungen, die verändern können, einen Selbst und andere, welche erkennen, dass ziwschen dem Handelnden und seiner Handlung kein Gegensatz besteht, dass sie ein und dasselbe, eine Welle dergleichen Energie darstellen. Dies ist das Ziel. Noch sind wir, bin ich, Getriebe unserer eigenen, adaptierten, determinierten Spiegelbilder.

Entscheidungen
Eine Entscheidung führt zu einem anderen Leben – sie ist nicht mehr revidierbar, denn durch diese steht man an dem Platz zu dieser Zeit – man kann sie bedauern, doch es ändert nichts an der Situation. Es gibt Menschen, die ihre Entscheidungen ständig überdenken, anzweifeln und selbst immer unsicherer werden, immer öfter sich von anderen bestätigen lassen müssen, dass ihre Entscheidung in Ordnung ist – auf die Spitze getrieben wird ihnen die kleinste Frage zu einem Verhängnis: Ein klassisches Beispiel einer solchen Person ist eine Frau, die sich ein paar Mal umzieht – nicht eines entschiedenen Dates wegen, sondern nur, um in die Stadt zu gehen und schließlich, kaum ist sie in der Stadt angekommen, sich wünscht, dass sie sich für ein anderes Outfit entschieden hätte, ja, sich so unwohl, dass sie sich vorstellt, die anderen Menschen sehen sie verächtlich an. Bald fühlt die Frau, dass sie es nicht lange in der Stadt aushält und bald nach Hause geht. Sie vergisst, was sie einkaufen wollte, verliert die Lust und kommt frustriert zu Hause an. Die beschriebene Dame ist kein Einzelfall. Woher kommt dieser bleibende Zweifel und wohin führt dieser?
Ich erinnere mich noch allzu gut an die Sätze, welche mir Eltern, Lehrer, Bekannte und Verwante mitgegeben haben, wenn ich etwas gemacht hatte, dass nicht ihren Vorstellungen entsprach und dafür Folgen wie eine Strafe hinnehmen musste: Ich müsse lernen, mit den Konsequenzen meiner Entscheidungen zu leben und wenn sie mir nicht passen, besser früher nachdenken. Sehr richtig wird jeder sagen, der ein dreijähriges Kind zu Hause hat, das nicht verstehen will, warum es nicht wieder die Wände bemalen darf und als Strafe die Stifte entzogen bekam. Die Mutter bangt um die Wände, denn die Wohnung ist kein Eigentum, sondern nur gemietet, und das Kind versteht nicht, warum sich die Mutter einmal über die bunten Bilder freut (auf einem Blattpapier) und ein anderes Mal böse wird und die Stifte wegnimmt. Es ist enttäscuht, denn alles, was es nicht wollte, traf ein: Es darf nicht malen, es hat kein Spielzeug mehr und das Wesentliche: die Mama, deren Wertschätzung es wollte, reagiert abschätzig. Sicherlich versteht das Kind einige Jahre später, warum es auf Blätter malen darf, aber nicht auf Wände. Was aber passiert, wenn man immer wieder eine Entscheidung für etwas trifft, dieses oder jenes zu machen, und man im Folgenden merkt, dass genau das nicht richtig war, von anderen nicht geschätzt wird und man womöglich noch nicht einmal den Grund dafür versteht? Der Mensch wird unsicher, er weiß nicht mehr, welche Entscheidungen er treffen soll und nicht. Mehr und mehr blickt er um sich, was die anderen machen und trifft seine Entscheidungen nicht mehr aufgrund seiner Wünsche, Vorstellungen oder Ziele, also um einen positiven Effekt für sein Leben zu erzielen, sondern genau anders herum: So, dass möglichst wenig negative Auswirkung ihn trifft. Er wird sich so verhalten, dass er nicht auffällt, nicht negativ bewertet wird. Es wird eine gewisse Sensibilität geschaffen: Jede Bemerkung wird negativ auf sich reflexiert betrachtet, wodurch der Mensch das Gefühl hat, nicht gut genug zu sein. Dieser Mensch merkt sich nur noch die „falschen Entscheidungen“, ist regelrecht wie mit einem Sensor darauf ausgerichtet und verspürt gleichzeitig bei einer Bestätigung (also einer gedeuteten Abschätzung seiner Person) gleichzeitig den Schmerz des Gefphls, nicht genug oder gar wertlos zu sein und die Genugtuung der Bestätigung, dass sein Sensor wieder einmal richtig lag. So entwickeln sich Menschen, die unauffällig mit dem Schwarm mitschwimmen, immerzu darauf bedacht, nicht aufzufallen, nichts falsch zu machen. Entscheidungen fallen zugunsten der lenkbaren Masse und der Mensch wird Teil dieser.
Wie viele Entscheidungen wir in unserem täglichen Leben treffen und treffen könnten, ist imens und hängt von unserem Bewusstsein für diese ab: Nehmen wir einen Raucher: er hat ein paar Mal aus unterschiedlichen Gründen die bewusste Entscheidung getroffen, eine Zigarette zu rauchen, trifft sie aber nach Jahren des Rauchens nicht mehr bewusst, wenn er, wie jeden Morgen, auf dem Weg zum Zug, sich eine Zigarette ansteckt. Auch die Entscheidung, zum Zug zu gehen, trifft er nicht bewusst, denn er hat sich vor Jahren dazu entschieden, diesen Arbeitsplatz anzutreten, diese Wohnung zu mieten etc, und folglich geht er unbewusst zum Zug. Würden wir jede unserer automatisierten Hanlungen bewusst betrachten und jedes Mal von neuem uns dafür oder dagegen entscheiden, so wäre unser Tag voll von Entscheidungen – wir sind also schneller dadurch, dass wir einmal getroffene Entscheidungen übernehmen und auch für die nächste Zeit als richtig annehmen. Schließlich betrachten wir die Entscheidung als uns übergestellt, als Determination, die uns unter Kontrolle hat, statt eine täglich zu treffende Möglichkeit.
Es gibt lebensverändernde Entscheidungen, an welchen Weichen gestellt werden, doch welche das sind, liegt in unserer Hand. Mehr und mehr Entscheidungen lassen wir uns abnehmen, denn wir fühlen uns unfähig, sie selbst zu treffen, wir haben in unserem System, unserer Schule gelernt, dass es besser ist, andere Entscheiden zu lassen bzw. die Auswirkungen unserer Entscheidungen möglichst gering zu halten, sodass wir nicht von der Norm abweichen.
Die Frage, die ich mir stelle, ist, ob es nicht Sinn macht, wenn wir ab und zu unsere automatisierten Entscheidungen wieder als bewusste Entscheidungen betrachten und somit unserem Leben unsere Energie einhauchen, sodass es in die Richtung gelenkt wird, die unserer Person entspricht? Oder haben wir längst verlernt, was unsere Person ist, aus Angst davor, etwas „falsch“ zu machen?


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Kommentare zu "Rationalisiertes Handeln oder die Kunst, Entscheidungen zu treffen"

Re: Rationalisiertes Handeln oder die Kunst, Entscheidungen zu treffen

Autor: possum   Datum: 04.06.2016 2:07 Uhr

Kommentar: Eigenartig jetzt komm ich vom Thema ab,
aber gerade nun denk ich daran wie die Leute am Tisch schimpften weil ja die Inder mit ihren alten Autos die Luft total verpessten ...
ja was ist mit den Neuen, die schon gleich nach einem Jahr oder so wieder ersetzt werden, sie verschmutzen auf ihrem Weg der Herstellung schon allein für die Rohstoffe ganze Gebiete über Länder usw... aber in der ... heilen...Welt des Wohlstands denkt man oftmals alles zu wissen und weiß nichts ....Sorry , dass ich so ausschweife nun! Tolle Zeilen! LG!

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