Das Leben verzerrt sich mit zunehmendem Alter in eine Art Surrealität: man sieht Dinge, die es soo nicht geben kann! Elefanten tanzen in Spitzenhöschen auf dem Seil, zarte Jungfrauen tragen Vollbärte, Menschen machen sich zum Affen und Affen werden Staatspräsidenten.

Überall wo früher Thingplätze für Erwachsene waren, stehen jetzt Kindergärten im Barbie-Haus-Stil. Die ganze Welt ist wie in ein grünliches Licht getaucht. Man ist geblendet von zahllosen Skurrilitäten.

Artisten fliegen nicht mehr durch schwindelnde Höhen, wo sie atemberaubende Salti vollführen, sondern sie kriechen auf dem Boden herum, um Direktoren anzupreisen, die ihrerseits wiederum viel zu behäbig sind, um noch irgend etwas darstellen zu können. Man kann sie nur noch an den imaginären Zylindern erkennen, die sie auch dort noch tragen wo ihnen der Morast auf dem Zirkusgelände bis zum Hals steht.

In der Manege beginnen die Chamäleon-Zebras, zuerst halb-und-halb gestreift, den Dressurakt mit einer eingeschirrten Tänzerin, die sich nach der Pfeife nicht zahlender Gästen zu drehen hat. Dann passen sie sich ihrer Umgebung an und werden unsichtbar.

Auf den Straßen finden Schnellgerichtsverfahren für Gutgläubige statt, die, im Namen der Staats-Affen-Präsidenten abgeurteilt werden und am Rand sämtlicher Ereignisse verkaufen, als Heilige verkleidete Wohlstands-Wallfahrer, die in „Wirklichkeit“ Brachial-Nashörner sind, halluzinogene Drogen, an Passanten, die bereits mit ihren Halluzinationen vollbeschäftigt sind.

Sie leiern einen seltsamen Singsang vor sich her, der nur von ebenfalls halluzinierenden Leidensgenossen, die glauben gar keine Leidens-Genossen zu sein, verstanden werden kann.

Die fast schon ausgestorbene Klasse der Nüchternen fiebert in Daseinskrämpfen einem Ende entgegen, das wie ein fadenscheiniges Seidentuch hinter den Himmeln schwebt, wo es nur noch von Überfliegern wahrgenommen werden kann.

Überall stinkt es nach dem Parfüm masochistischer Moorleichen vergangener Superlativistenjahre und der schwarze Storch hat das Zepter der Vernunft ergriffen. Spürbar sind: keine Tränen!

Keine Tränen

© Alf Glocker


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Keine Tränen"

Re: Keine Tränen

Autor: axel c. englert   Datum: 09.05.2016 10:40 Uhr

Kommentar: Ein Text, der starke Bilder schafft:
Voll Phantasie - und Geistes-Kraft!

LG Axel

Re: Keine Tränen

Autor: possum   Datum: 10.05.2016 1:02 Uhr

Kommentar: In der Tat die Daseinskrämpfe ...
tolle Werke hier, danke dir herzig lieber Alf! LG!

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