In meinen ganz frühen Jahren träumte ich viel – aber nicht immer besonders human. Wie Junge halt so sind. Aber, ich dachte damals, meine Träume hätten so eine Art bestechende Logik. Ich träumte mich in die große weite Welt hinaus und ich warf Anker, wo es mir gefiel!

Dann betrachtete ich was machbar wäre und kam zu – wie ich annahm – gereiften Entschlüssen. Ich gedachte überall dort Fuß zu fassen, wo es schön ist und die anderen unfähig waren das Land zu bestellen. Dann wartete ich ab. Oft war dort die Säuglingssterblichkeit hoch, oder/und die Organisation schlecht.

Dann schritt ich ein! Ich ließ meine Kinder das Land bestellen! Überall, wo die anderen keine Kraft und nur ungeeignete Methoden hatten zu überleben, da ersetzte ich sie durch mein Fleisch. Ich schickte meine Arbeiter hin, meine Techniker, meine Ingenieure und Architekten. Arbeiten an die Unfähigen vergab ich nicht!

Bald waren sie überall vor Ort, meine Abgesandten des künftigen Himmels auf Erden. Auf allen Erdteilen wurde ich schnell fündig, denn entweder man räumte mir freundlich die Verwaltung neuer Gebiete ein, oder ich nahm sie einfach für uns in Besitz.

Stets fing ich an mit der magischen Zahl von 300 000! Genau so viele fleißige Menschen, aus meinen früheren Grenzen erweiterten diese nun Zug um Zug. Zuerst kamen die schaffenden Brigaden, dann zogen die Familien nach und mit der Zeit wuchs mein Einfluss überall.

Millionenstädte entstanden in Windeseile – ich brauchte nur dafür zu sorgen, daß die ursprüngliche Heimat genug Nachwuchs produzierte und daß keiner meiner „Soldaten“ auf die Idee kam, Sklaven zu halten. Alles sollte ausschließlich uns gehören und sonst niemandem!

Das Spiel meiner Jugendtage zeitigte, in der Fantasie prächtige Erfolge und bald hatte ich, ohne „Risiko“, die ganze Welt erobert. Mein Einfluss war nirgends mehr wegzudenken. Ich baute eine gewaltige Flotte auf – selbstverständlich nur zum Schutz meiner weit verstreuten Anbefohlenen.

Und schließlich sahen alle anderen Mächte ein, daß ich, daß wir unaufhaltsam auf dem Vormarsch waren, einem Vormarsch, der die Auslöschung von allem was anders war, als ich und mein Fleisch, zielstrebig verdrängte. Mein Traum gipfelte schließlich im Frieden unter meinem Diktat – ich hatte mich selbst verwirklicht!

Heute bin ich längst zur Besinnung gekommen! Ich denke weit moderater als früher, ich bin freundlich und besonnen, aber irgendetwas beunruhigt mich aufs Äußerste: ich kann das Gefühl nicht loswerden, daß mir jemand meine Ideen geklaut hat!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Die Seele des Staates 9"

Re: Die Seele des Staates 9

Autor: axel c. englert   Datum: 17.11.2015 16:22 Uhr

Kommentar: Mit manchem Staat ist (also doch)
Kein Staat zu machen! (Immer noch...)

LG Axel

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