Der römische Senat rathschlagte einst mehrere Tage lang im Geheimen über eine Angelegenheit, und da die Sache, weil sie unbekannt blieb, Besorgnisse erregte, so lag ein Weib, das sonst bescheiden, aber immerhin ein Weib war, ihrem Manne mit vielen Bitten an, um von ihm das Geheimniß zu erfahren; sie ließ es selbst an Eidschwüren und Verwünschungen hinsichtlich ihres Schweigens nicht fehlen, und beklagte unter Thränen ihr Schicksal, daß sie so wenig Zutrauen besitze. Der Mann, um sie ihres Unverstandes zu überführen, gab ihr endlich die Antwort: „Ich kann nicht länger widerstehen, Weib. Du sollst eine furchtbare und schreckliche Geschichte hören. Es ist uns von den Priestern gemeldet worden, daß eine Lerche im Flug erblickt worden, mit goldenem Helm und Speer; wir berathschlagen uns nun darüber, und suchen mit den Sehern auszumitteln, ob es ein gutes oder schlimmes Vorzeichen ist. Darum schweige.“ Nach diesen Worten ging er weg auf den Markt; sie aber zog sogleich eine von ihren Mägden, die zuerst herein trat, zu sich, schlug sich auf die Brust und raufte sich die Haare aus mit den Worten: „Ach! wehe meinem Manne und dem Vaterlande! Was wird aus uns werden!“ wodurch sie der Magd Veranlassung geben wollte zu fragen: „Was ist denn geschehen?“ Die Frage erfolgte wirklich, und nun erzählte sie der Magd den Vorfall mit Hinzufügung der bei solcher Schwätzerei üblichen Formel: „Sage es ja niemand, sondern schweige.“ Kaum war die Magd weggegangen, so erzählte diese die Sache einer ihrer Mitsclavinnen, die sie eben unbeschäftigt sah; diese aber entdeckte es ihrem Liebhaber, der eben zu ihr gekommen war. So kam die Nachricht schneller auf den Markt, als Der, welcher die Sage erdichtet hatte. Hier traf ihn einer seiner Bekannten, der ihn mit den Worten anredete: „Du kommst wohl eben von Hause auf den Markt?“ „So eben“, erwiederte Jener. „Du hast also wohl nichts Neues gehört?“ — „Ist denn etwas Neues vorgefallen?“ - „Man hat eine Lerche fliegen sehen, mit goldenem Helm und Speer; es wollen deßhalb die Consuln einen Senat halten.“ Da rief Jener lachend aus: „Blitz, welche Schnelligkeit, Frau! Ist doch mein Wort früher auf den Markt gekommen, als ich selbst.“ Er eilte dann zu den Consuln und benahm ihnen alle Verlegenheit. Zu seinem Weibe aber sprach er bei seiner Rückkehr, um sich zu rächen: „Du hast mich ins Unglück gebracht; denn das Geheimniß ist aus meinem Hause verrathen worden, und unter die Leute gekommen; ich muß daher um deines Plauderns willen ins Exil gehen.“ Sie legte sich aufs Leugnen, und sagte endlich zu ihm: „Haben es nicht mit dir dreihundert Andere gehört?“ — „Was für dreihundert?“ entgegnete Dieser; „Ich habe, auf dein dringendes Anliegen, die ganze Sache erdichtet, um dich auf die Probe zu stellen.“ Auf eine so sichere und vorsichtige Weise wußte er die Verschwiegenheit seiner Frau zu erproben, gleich Einem, der in ein morsches Gefäß keinen Wein oder Oel, sondern Wasser eingießt.


© Plutarch


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Quelle: Moralische Schriften; Über die Geschwätzigkeit

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