Diese Frage lässt sich nicht einfach beantworten. Zunächst einmal sollte man versuchen, das Substantiv »Niveau« von der Bedeutung her zu ergründen, bevor man untersucht, wofür es im übertragenen Sinn eigentlich steht. »Niveau« ist, wie sich unschwer erkennen lässt, ein französisches Wort und bedeutet so viel wie »eine auf konstanter Höhe liegende Fläche«. Anscheinend kommt es dabei mehr auf die Höhe als denn auf die Fläche an. Zwei zu vergleichende Niveaus unterscheiden sich durch ihre Höhe; nicht umsonst spricht man von hohem und niedrigem Niveau.
Ich glaube, es gibt, was das Niveau anbelangt, viele Missverständnisse, auch wenn es sich dabei um einen eigentlich höchst anschaulichen Begriff handelt. Wer von Niveau spricht, meint selten Hebebühnen oder Gebirgsplateaus; meistens wird »Niveau« in übertragenem Sinn verwendet. Niveau scheint dabei ein in seiner Ausprägung dem Menschen zuweisbares Attribut zu sein. Man bemüht hierbei die Eigenschaftswörter »niveauvoll« und eben »niveaulos«. Was meinen wir also, wenn wir jemanden als niveauvoll bezeichnen? Und kann jemand zu 100 % niveauvoll sein? Kann man niveauvoll aufs Klo gehen? Was also ist (hohes) Niveau? Es ist sicherlich sinnvoll, ein hohes Niveau in Zusammenhang mit intellektuellen Fähigkeiten zu betrachten, wobei man sofort zwangsläufig mit dem Begriff der (Schul-)Bildung konfrontiert ist. Jemand, der mit Abitur über eine hohe Schulbildung und vielleicht sogar über einen Universitätsabschluss verfügt, dürfte in einer ersten oberflächlichen Betrachtung niveauvoll sein. Akademiker gelten als niveauvoll, denn sie haben im Leben viel gelernt und können bei der Ausübung ihres Berufes Dinge vollbringen, die ein Ungelernter niemals zustande bringen könnte. Akademiker genießen in unserer Gesellschaft ein hohes Ansehen und es ist auch nicht verwunderlich, dass unser Land fast ausschließlich von Akademikern geführt und regiert wird. Ohne eine ausreichende Anzahl von Akademikern ist eine (demokratische) Nation nicht überlebensfähig. Eine Gesellschaft wie unsere benötigt Akademiker. Aber ist jeder Akademiker niveauvoll, weil er Akademiker ist? Ist ein dünkelhafter, arroganter Akademiker, der denselben heraushängen lässt, niveauvoll? Sicherlich nicht. Sind Akademiker nicht auch nur »Fachidioten« und Spezialisten auf ihrem Gebiet? Sind manche Akademiker niveauvoller als andere? Wäre man nicht geneigt zu sagen, dass der Akademiker mit Philosophieabschluss mehr Niveau besitzt als der Elektroingenieur? Ist es nicht so, dass humanistische Studienabschlüsse in Hinsicht auf Intellekt nicht Respekt einflößender sind als naturwissenschaftliche, medizinische oder technische? Keine Frage – Leute wie Professor Hellmuth Karasek wirken wahnsinnig intellektuell und sind somit wohl auch als außerordentlich niveauvoll zu bezeichnen. Aber: Niemand kann und weiß alles. Auch er geriet in einer Quizshow im deutschen Fernsehen vor ein paar Jahren bei einer sich um Primzahlen drehenden Frage gehörig ins Schleudern. Das muss nicht unbedingt überraschend anmuten, denn Mathematik ist nun mal nicht sein Fachgebiet. Daraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass selbst unglaublich intellektuell und niveauvoll wirkende Menschen in manchen Fragen der Wissenschaft und des Lebens auch durchaus wenig Niveau aufweisen können. Niemand verfügt über ein absolutes, ja geradezu göttliches Niveau. Wer also meint, Niveau zu besitzen, sollte wissen, es gibt immer irgendjemanden, der vielleicht noch mehr davon hat.
Niveau bedeutet anscheinend, etwas zu können oder gut bei etwas zu sein. Niveau bedeutet, viel zu wissen und viel zu verstehen. Niveau bedeutet vor allem, das Gehirn zu verwenden. Niveau bedeutet (für mich), keine voreiligen Schlüsse zu ziehen, keine Klischees zu verbreiten und die Dinge immer vorurteilsfrei von allen Seiten zu betrachten. Niveau zeigt sich nicht nur darin, ob man denn nun fähig ist, eine Differenzialgleichung zu lösen, sondern auch darin, wie man mit Menschen umgeht und ob man ihnen genügend Respekt erweist. Niveau ist auch eine Frage der Moral, denn letztendlich ist auch diese ein (akademisches) Wissensgebiet, auf dem man versagen kann oder auch nicht. Wer hinsichtlich der Moral niveaulos ist, dem nützt das Niveau in anderen Bereichen letztendlich nichts. Auch gibt es in unserer Gesellschaft »Niveau-Vortäuscher«. Niveau ist eine Sache des Inneren und nicht des Äußeren; nach außen lässt sich Niveau wohl kaum darstellen. Eine gut und elegant gekleidete Frau, die mit ihrem auf Hochglanz polierten 100000-€-Mercedes durch die Straßen kurvt, ist noch lange nicht niveauvoll, auch wenn manche das vielleicht glauben mögen. Geld hat nichts mit Niveau zu tun, auch wenn gut ausgebildete Menschen häufig mehr verdienen als weniger gut ausgebildete. Auch arme Menschen können niveauvoll sein, auch hässliche Menschen können niveauvoll sein wie auch Leute, die noch nie eine Universität von innen gesehen haben. Oberflächliche Menschen aber, deren Gedanken eben nur um ihre äußere Attraktivität kreisen, kann man kaum als niveauvoll bezeichnen. Eine augenscheinlich schöne Oberfläche hat nichts mit Niveau zu tun.
Leider scheint es gesellschaftliche Kreise zu geben, in denen Niveau anscheinend verpönt ist. Wer in einen Schmuddelchatraum geht und dort niveauvolle Gespräche einfordert, wird verbal angegriffen, verspottet und gegebenenfalls sogar rausgeschmissen. Das niedrige Niveau ist schon längst als Zielgruppe ausgemacht worden und es wird von den Medien beim Buhlen um Einschaltquoten fleißig bedient. Das niedrige Niveau ist natürlich nur auf niedrigem Niveau zu erreichen. Es wird ein verfälschtes Bild unserer Gesellschaft projiziert, was man in unrealistischen Nachmittags-Gerichtsshows oder bei inhaltsleeren Sinnlostalkshows sieht, was sich bei irgendwelchen Castingshows zeigt oder bei solchen Formaten wie »Germany’s Next Top Model« oder beim »Dschungelcamp«. Häufig wird die trügerische Botschaft vermittelt, man könne ja auch alles ohne Niveau, Wissen und Bildung erreichen. Das ist aber ein Irrtum. Es darf nicht sein, dass das niedrige Niveau verherrlicht und auch noch Werbung für Niveaulosigkeit (und möglicherweise sogar für Verderbtheit) gemacht wird.
In sozialen Netzwerken wie »Jappy« oder »Wer kennt wen?« begegnet man nicht selten Menschen, die sich zum einen in gewisser Weise mit Niveaulosigkeit brüsten und zum anderen auch solchen, denen gar nicht bewusst ist, wie unglaublich niveaulos sie sich eigentlich präsentieren. Wer in aller Öffentlichkeit sich als jemand darstellt, der auf der Suche nach Schmuddelkram ist und sich Sinnlosgruppen wie »Ich bin zu jung für mein Alter« oder »Ich spreche fließend Ironisch« angeschlossen hat, kann wohl kaum als niveauvoll bezeichnet werden, auch wenn solche Leute das gerne so hinstellen wollen. Niveau ist nicht nur eine Frage des IQs, sondern vor allem auch eine des EQs, ja letztendlich des Charakters. Wer nicht über Einfühlungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein verfügt, kann auch nicht niveauvoll sein. Da kann man aussehen, wie man will, da kann man Geld haben, wie man will, da kann man studiert haben, was man will. Das nützt dann auch alles auch nichts mehr. Niveau könnte man als das Bestreben bezeichnen, unter Berücksichtigung moralischer, emotionaler, vernünftiger und logischer Kriterien zu denken und entsprechend zu handeln.


© Arne Arotnow


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Kommentare zu "Was ist Niveau?"

Re: Was ist Niveau?

Autor: pepe   Datum: 23.03.2014 21:46 Uhr

Kommentar: Sehr gut auf den Punkt gebracht!

LG Pepe

Re: Was ist Niveau?

Autor: Jan Böe   Datum: 23.03.2014 21:49 Uhr

Kommentar: Ui langer Text :)
Ich denke auch, dass Niveau nicht durch Bildung, einen hohen IQ oder einfach Geld, sondern durch den EQ, bzw. soziale Kompetenzen definiert wird.

Re: Was ist Niveau?

Autor: Arne Arotnow   Datum: 24.03.2014 21:59 Uhr

Kommentar: Hallo, liebe Schreiber- und Lesergemeinde,

ursprünglich waren diese Ausführungen gar nicht geplant. Da ich aber im Internet immer wieder mit dem Substantiv »Niveau« konfrontiert wurde und ich eigentlich keine zufriedenstellende Antwort erhielt, beschloss ich, mir selber Gedanken darüber zu machen. Leider war es so, dass mir bei meiner Recherche Vorstellungen begegnet sind, die einen Zusammenhang von Niveau mit Äußerlichkeiten und Geld herstellen. Ich möchte das Geld in keiner Weise als Kriterium für Niveau ansehen. Allerdings möchte ich – wie oben bereits angedeutet – schon darauf hinweisen, dass Intelligenz und Bildung bezüglich des Niveaus nicht kontraproduktiv sind. Oder anders ausgedrückt: Intelligenz und Bildung können zumindest nicht schaden und sind durchaus geeignet, das »Gesamterscheinungsniveau« positiv abzurunden.

Mit freundlichen Grüßen

Arne Arotnow

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