Das Ende der uns bekannten Welt liegt in Madeleine Eberts abgedunkeltem Kinderzimmer. Die 5-jährige hatte eigenhändig ihren kleinen blauen Kinderstuhl zum Fenster hinüber getragen um die rosarote Jalousie, die mit weißen Wolken verziert war, herunterzuziehen und somit das Sonnenlicht dieses Frühlingsnachmittags auszusperren. Dieses suchte sich als schmales Leuchten einen Weg um das Hindernis herum und bemalte den Fußboden mit dem langgezogenen Schattenabbild einer Catty Noir Monster High Puppe. Maddie hatte sich zusammen mit Knopflos in ihrer Höhle zurück gezogen. Maddies Kamerad, einen alten abgewetzten Cord Teddy. Der seinen Namen erhalten hatte, da er im Laufe seines Daseins all jene großen gelben Knöpfe, die seine Jacke einst verschlossen hatten eingebüßt hatte. War der treue Begleiter eines aschblonden Mädchens in einer Latzhose auf deren linken Knie ein Loch von einem großen grünen Apfel, aus dem ein augenzwinkernder Wurm herausguckte, verdeckt wurde. Wie immer war sie der Bequemlichkeit wegen aus den Trägern herausgeschlüpft, die nun zwischen ihren Knien, bei jedem Schritt hin und her baumelten. Da sie nun aber mit Knopflos in ihrem weißen Kleiderschrank saß, unterhalb ihrer Kleider in ihre Bettdecke gekuschelt, zusammen mit ihrem besten Freund, störte dieser Umstand nicht im weiter. In Anbetracht der Tatsache, dass der gute alte Knopflos ebenso eines seiner schwarzen Knopfaugen verloren hatte, war es ein durchaus passender Name für Maddies liebsten Spielgefährten.
Den einen Arm um ihren Weggefährten gelegt streichelte Maddie mit ihrer Kinderhand, das Bibermaterial ihrer Bibi Blocksberg Bettwäsche und hing tiefen und sehr ernsten Gedanken nach. In Maddies Brust verbreitete sich ein tiefe Schwermut, der nur von einem Wesen wie Knopflos erfasst werden konnte. Maddie war überzeugt davon, dass noch niemals vor ihr, ein Mensch eine so tiefe Traurigkeit empfunden hatte. Tief in sich zweifelte Maddie sogar daran, dass es auf der Welt noch einen zweiten Menschen geben könnte, der eine so tiefe und ernsthafte Einsamkeit fühlen können würde, wie sie in diesem Moment. Von Gefühlen überwältigt die sie nicht verstand und von denen die Menschen der Welt keine Ahnung hatten, ja mit deren Existenz sie nicht einmal rechneten, war sich Maddie sicher, dass sie in einer engen emotionalen Verbindung, zu dem armen alten Knopflos stand. Er hatte ihr schon viele Abenteuergeschichten aus seinem Teddybären Dasein erzählt, die allesamt ein wirklich trauriges Ende nahmen. Meistens endeten sie damit, dass Knopflos zusammen mit anderen abgelegten Spielsachen, in einer Kiste auf dem Dachboden, deren enge, staubige Dunkelheit, ihn wahnsinnig werden ließ, warten musste, bis sich jemand an ihn erinnerte und ihn an ein Kind weitergab. Auch Maddie hatte ihn so kennen gelernt.
Das Mädchen erinnerte sich noch ganz genau an den vorletzten Sommer. Der Sommer, in dem Oma Ursula so schlimm erkrankt war, dass das alte Sofa mit Blumenmuster aus dem Wohnzimmer der alten Dame verwunden war und ein Krankenbett dort aufgestellt wurde, aus dem die Oma nun nie mehr aufstehen können würde. Maddie erinnerte sich, wie sie jeden Nachmittag zu Oma Ursula hinübergebracht wurde. Sie saß dann stundenlang auf Oma Ursulas Krankenbett und hielt ihre dünne, mit bläulicher Pergament-Haut, auf der sich unzählige dunkle Flecken befanden, überzogene Hand. Oma Ursula, die an den meisten Tagen zu schwach war um zu sprechen. Wenn sie es tat dann war es ein leises Flüstern, und Maddi musste ihr Ohr ganz nahe an Omas Mund halten um die Worte zu verstehen. Wenn Maddie Omas Hand streichelte, die sich unwirklich weich anfühlte, lächelte Ursula ein friedvolles und warmes Lächeln. Das Mädchen hielt stundenlang mit der Oma im Sterbezimmer aus und empfand, zu Verwunderung aller Erwachsenen, keine Langeweile. Auch störte sie die Oma nicht, in dem sie herumtobte oder unartig war. Oma Ursula war nun ein Engel. Dass sie sich in einen verwandelte, hatte Maddie daran erkannt, dass die Haare der alten Frau ganz weiß und fein geworden waren und ihre Augen einen silbernen Glanz erhalten hatten. An einem Nachmittag im Juli war Oma Ursula einmal ganz wach gewesen und Maddie hatte sie danach gefragt, ob sie sich denn nun tatsächlich in einen Engel verwandelte. Die Oma hatte das bejaht und Maddies Hand ganz fest gehalten. Dann hatte Oma Ursula versprochen das sie als ein Sternlein am Himmel zu ihr herunter sehen würde und sich jeden Tag daran erfreuen könnte, dass Maddie ein fröhliches kleines Mädchen sein wird. Dass sie auch auf sie aufpassen würde und wie sehr, sie sich freuen wird, wenn Maddie einmal heiraten würde und eigene kleine Kinder haben, die so lieb sind, wie sie es selbst ist. Und das kleine Mädchen fand, dass Oma Ursula gar nicht mehr so alt und krank aussah, wie die Tage zuvor. Obwohl sie nicht verstehen konnte, dass sich die Augen der sterbenden Frau mit Tränen füllten, als die beiden Pläne für die Zukunft des Kindes schmiedeten. Die kranke alte Ursula wurde jedoch sehr schnell wieder sehr müde und sie berichtete dem Mädchen, bevor sie einschlief, dass sich auf den Dachboden eine große alte Kiste befand. Sie forderte Maddie auf dort hinauf zu klettern und sich aus der Spielzeugkiste etwas auszusuchen. Eine Anweisung, die das Mädchen eiligst zu erfüllen wusste. Sie liebte den Dachboden und die Erlaubnis bekommen zu haben, alleine die gefährliche Treppe hinauf zu steigen, zeigt ganz eindeutig, dass Oma Ursula sie nicht mehr für ein so kleines Kind hielt, dem man eine Hand halten musste, wenn sie die Treppe hinauf oder hinunter ging. Dieser Tag war also der Tag, an dem Maddie die Bekanntschaft mit Knopflos machte und auch der letzte Tag bei Oma Ursula. Diese hatte es wohl kaum mehr erwarten können endlich ein Engel zu sein. Als Maddie am nächsten Tag von ihrer Mutter aus dem Kindergarten abgeholt wurde, erklärte diese ihr, dass sie an diesem Tag nicht zu Oma Ursula gehen konnte, weil diese fortgegangen war. Als Maddie ihrer Mutter berichtete, dass sie das alles schon lange wusste und das die Oma nun ein Engel war, brach diese in lautes Schluchzen aus, das in ein langes bitteres Weinen überging. Die kleine Maddie hatte sich noch nie in ihrem Leben so schlecht gefühlt. Sie wusste nicht warum Mama nun so schlimm weinte, sie wusste nur, dass es im Zusammenhang mit dem stand, dass Maddie soeben gesagt hat. Was sie aber wusste war, dass sie ihre Mama umgehend in den Arm nehmen musste, weil es ihr auch immer gegen das traurig sein half, wenn die Mama sie in den Arm nahm. Aus diesem Grund hatte sie nun auch den armen alten Knopflos im Arm und schaukelte ein wenig mit ihm hin und her. Knopflos erzählte ihr all die traurig endenden Geschichten aus seinem Teddybären leben und wusste genau, dass auch Maddie ihr versprechen, ihn niemals abzulegen, bereits in wenigen Jahren vergessen haben würde und das er niemals ein Engel werden konnte.


© the cute little dead


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Beschreibung des Autors zu "Maddies Teddy"

Die wohl traurigste Geschichte die jemals in einem Kinderzimmer erzählt wurde.

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Kommentare zu "Maddies Teddy"

Re: Maddies Teddy

Autor: noé   Datum: 11.03.2014 21:40 Uhr

Kommentar: Stimmt.
noé

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