Berlin. Endlich bin ich da. Nun wird alles besser, sagen sie. Jetzt kann ich wieder leben.
Meine Augen brennen von der kalten Luft. Die Haut auf meinen Lippen ist durch die Kälte aufgesprungen. Es ist Dezember und meine schwarze Haut ist fast so hell wie die von Jamil, der neben mir läuft. Wir haben uns auf dem Marsch kennengelernt. Er spricht nicht, selten stottert er ein paar Wörter auf Arabisch, die ich obwohl ich Muttersprachler bin, nicht verstehen kann.
Er kommt aus Libyen, ich aus dem Sudan. Wir alle haben die gleiche und trotzdem so andere Lebensgeschichten. Zuerst war die Flucht, dann die Ankunft in Italien und jetzt Deutschland.
Warum wir geflüchtet sind ist irrelevant, dass wir gezwungen worden sind unsere Heimat zu verlassen macht mich unfassbar wütend. Ich will die Welt anschreien, fragen warum sie so ungerecht ist. Trotzdem lächele ich die Bürger Berlins an. Sie betrachten uns abschätzig. Versuchen zu helfen, aber nicht weil wir ihnen leidtun, sondern um sich besser zu fühlen. Die Berliner, ach was sage ich, die Europäer wissen, dass sie mehr wert sind als wir. Wissen, dass sie überall besser behandelt werden. Sie lächeln uns an mit ihrem kalten „solidarischen“ Lächeln an.
Auch die, die so sein wollen wie wir, sind im Grunde genommen auch nicht besser. Sie leben mit uns, haben Dread-Locks bis zum Boden und glauben sie wären kein Teil des Systems. Denken sie wären unsere Brüder und Schwestern. Würde es darauf ankommen würden sie jedoch auch nicht zu uns stehen. Auf der einen Seite verurteile ich die so genannten „Supporter“, aber auf der anderen Seite sind wir erstens auf ihre Hilfe angewiesen und zweitens würde ich wahrscheinlich genauso sein wenn Menschen in mein Land flüchten würden. Rassismus ist keine westliche Erfindung. Überall auf der ganzen Welt wollen sich Menschen besser fühlen und dieses geht am einfachsten indem man andere abwertet. Hier gehöre ich zum letzten Teil der Nahrungskette. Das ist ein Fakt. Deutschland hasst uns. Vielleicht nicht jeder Deutsche, aber der Staat auf jeden Fall.
Ich verabscheue den Platz auf dem wir wohnen. Zelte, Dreck, Lärm und Kälte. Ich bin obdachlos und dass nur weil ich besser leben will. Ist das nicht paradox? Ich habe keine Wahl sonst müsste ich in einem Heim leben. Egal was ich tue mein Leben erliegt dem Zwang.
Manchmal will ich einfach nur in den Armen meiner Mutter liegen. Ihren Geruch aufsaugen und ihre Hand halten. Versuche zu verdrängen, dass ich immer mehr aus meiner Heimat vergesse.
Skype macht alles einfacher, aber auch schwieriger. Ich kann meine Familie sehen, kurz vergessen wo und wer ich bin (ein Nichts). Aber sie stellen Fragen, so viele Fragen. „Warum hast du noch kein Geld geschickt? Willst du uns nichts abgeben? Liebst du deine Familie nicht mehr oder warum besuchst du uns nicht?“ Sie haben keine Ahnung. Denken in Europa liegt das Geld auf den Straßen. Ich muss es doch nur aufheben. Ich kann ihnen nicht die Wahrheit sagen, sie würden mir nicht glauben. Verstricke mich immer mehr in Lügen.
Jamil hat eine Frau kennengelernt. Eine Supporterin. Sie ist hässlich, rotes krauses Haar, dick und sie ist meistens die lauteste auf unseren Demonstrationen. Sie widert mich an und ich weiß, dass es Jamil genauso geht. Er wohnt jetzt bei ihr. Neuer Haarschnitt, warme Jacke, bald wird geheiratet.
Wenn ich ihm in die Augen sehe, sehe ich nur Leere. Die war aber schon davor da. Der einzige Unterschied ist, dass er jetzt nur noch innerlich friert.
Ich verstehe nicht wie Leute ihn verurteilen können. Er versucht am Leben zu bleiben.
Es einfacher zu haben. Ist das nicht logisch? Als ob die Frau im innersten das nicht auch weiß. Jeder zieht aus der Beziehung seine eigenen Vorteile. Ich werde auch versuchen eine Frau zu finden.
Aufenthalt ist in meiner Situation die einzige Sache, die man erstreben kann. Ich habe mir auch schon eine ausgesucht. Sie heißt Mareike, hat kurze braune Haare und trägt immer schwarze, stabil aussehende Stiefel. Ich lächele sie immer und immer wieder an, täusche Probleme vor und irgendwann gehen wir zusammen spazieren. Mareike erzählt mir von Nichtigkeiten, die sie als Probleme bezeichnet Ich höre ihr aufmerksam zu. Zeige ihr meine beste Seite, welche noch aus früheren Zeiten stammte. Sie verliebte sich in mich und zwei Monate später zog ich zu ihr.
In ihre kleine, unordentliche Wohnung, in der eigentlich kein Platz mehr für mich war. Ich habe mich mit der Situation arrangiert. Meine neuen Sachen liegen auf einem Stuhl. Ich lüge meine Familie weiter hin an (sie fangen an wütend zu werden).Glücklich bin ich nicht.
Wer wäre das schon? Meine Grundbedürfnisse sind gedeckt. Ich träume nicht mehr von Winterjacken, aber alles andere wird jetzt eigentlich noch deutlicher. Ich bin dumm geworden, habe seit fünf Jahren kein Buch mehr gelesen. Weiß nicht was in der Welt passiert. Ich war noch nie in einem Museum. Früher, als ich noch im Sudan lebte, habe ich mir Listen gemacht, was ich alles mal gesehen haben möchte. Unter anderem wollte ich ins Theater und in ein Museum, wo Dinos sind. Und jetzt nach all der Zeit, jetzt wo ich in Berlin lebe, will ich nicht mehr. Berlin ist voll mit Kultur, aber ich bin zu leer um mich dafür zu interessieren. Ich sollte Deutsch lernen, oh diese schreckliche Sprache, aber ich kann nicht. Ich fühle mich als ob ich einem Grab liege und es wird immer mehr Erde über mich geschüttet. Wenn ich ehrlich bin kann ich es gar nicht abwarten bis das Loch voll ist.


© E.Müller


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Beschreibung des Autors zu "Kuckuckstaube"

Ehrliche Meinungen wären entzückend :)

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Kommentare zu "Kuckuckstaube"

Re: Kuckuckstaube

Autor: Uwe   Datum: 15.11.2014 14:31 Uhr

Kommentar: Lieber E. Müller, dein Text gefällt mir zwar, aber ich muss eine Lanze für unser Land brechen: wir tun keineswegs nur etwas, um uns besser zu fühlen. Mach dich kundig, wieviel in welcher Qualität getan wird, und suche Gleiches woanders auf der Welt! Ob du findest?
Herzl. Gruß
Uwe

Re: Kuckuckstaube

Autor: hartmut   Datum: 15.11.2014 22:20 Uhr

Kommentar: sauber eingefühlt in ein hartes leben.

mfg
hartmut

Re: Kuckuckstaube

Autor: castagnabella   Datum: 16.11.2014 11:18 Uhr

Kommentar: Hallo lieber E. Müller, auch mir gefällt Dein Text. Und ich gehe konform mit dem Kommentar von Uwe. Aber bitte, setz Dich nicht hin und denke 'Hier bin ich, macht etwas mit mir'. Steh auf und werde selbst aktiv. In einem Land zu leben, dessen Sprache man nicht spricht, das funktioniert nirgends auf der Welt. Also, fang' an.
Alles Gute für Dich
castagnabella

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