31.01.2013
Was ich nicht will
Manchmal wachen wir auf fragen uns, was wir geträumt haben und manchmal kennen wir den Traum und wünschten, ihn zu vergessen. Manchmal zählen wir unsere Wünsche und machen Kristalle daraus, die nun in den Zimmern hängen, vor dem Fenster, und das Licht spiegeln, wenn die Sonne scheint, und die Geister fangen, wenn der Mond am Himmel steht. Denn nachts besuchen uns Geister.
Manche sind leise und hinterlassen nichts als Schatten in den Ecken, manche sind laut und rücksichtslos und stolpern durch unsere Zimmer, erschrecken, wenn sie sich im Spiegel sehen. Manche sind gar nicht da, in unseren Zimmern, sondern nur hinter unseren Augen, wenn wir träumen, sie huschen in unsere Herzen, wenn wir aufwachen.
Manche schließlich klopfen an unsere Türen, wenn wir noch schlafen, und rufen uns, mitzuspielen; ihr Spiel, ihre Welt.
ICH WILL NICHT SPIELEN!
Diese letzten Geister sind keine. Sie sind Seelen.
Ich treffe sie manchmal, selten zwar, aber doch manchmal unter einem günstigen Stern, im spiegelnden Wasser, im Licht der Sonne, hinter den Augen mancher Menschen, sehr selten. Sie werden verdrängt. Eine Seele kann man vertreiben; sie flieht, wenn sie keinen Platz findet oder keinen Glauben. Wenn ihre Gefäße voll sind mit Problemen und den falschen Wünschen, jemand anderes zu sein, mit Trug und Selbsthass; mit Taten, die man vergessen, Schritten, die man nie machen will. Wenn ich Seelen sehe, sehen sie mich – und wir lächeln uns an, traurig, denn wir sind allein.
Die Gefäße, die leer sind, gehen zur Schule, um etwas zu finden, womit sie sich füllen können; sie wissen nicht, dass man, wo Phantasie fehlt, nicht Wissen platzieren kann. Und ich gehe auch dort hin, denn ich habe Regeln, an die ich mich halten muss, weil ich ein Mensch dieser Welt bin und sie nicht verstehen, dass das nichts ist, worauf man stolz sein kann; es ist keine Tugend, und es ist kein Verdienst.
ICH WILL KEIN MENSCH SEIN!
Dem Wissen der Schule Beachtung zu schenken ist, wie mit schwarzer Tinte auf Ebenholz zu schreiben – man tut es, weil man es muss und man hat es getan und hat nichts davon. Die anderen wissen das, aber sie wollen nicht verstehen. Sie verdrängen, dass nichts wahr ist, weil sie denken, dann wäre alles eine Lüge. Irrtum. Nicht wahr heißt nicht, gelogen.
Sie sind laut und sie sind so kalt. Sie verletzen und lechzen nach Blut, sie machen sich Worte untertan und machen sie zu Waffen; sie kämpfen. Sie lachen über die Verlierer. Sie machen sich das Lachen untertan und kämpfen auf ein Neues. Wieder und wieder. Jeden Tag. Jede Woche. Jahrelang.
Manchmal schreien sie und dann schweigen sie, dann tickt die Uhr und sie hören sie – und dann beginnt es von vorne, weil die Zeit nicht auf ihrer Seite kämpft.
Manchmal sprechen sie andere Sprachen, fremde Worte; ohne zu verstehen, ohne zu versuchen, zu verstehen; ohne Einsicht, warum sie verstehen sollten.
Manchmal sind sie stumm, dann schaue ich auf und hoffe, dass etwas geschehen ist – und lasse die Augen zufallen und meine Gedanken schweifen, erneut, weil nur wieder Feuer durch die Reihen geht oder Eis oder Dolche oder Namen. Und das Feuer springt über und die Schule brennt; die Asche gefriert, weil auch die Zeit sich erbarmt, Augen wie Dolche sind längst unter Eis – wie hinter Glas – und schlussendlich hört man nur noch die Namen, die, Echos geworden, körperlos, Zeugen des Geschehenen, Vergessenen, noch über unserem Schlachtfeld hallen.
Der nächste Tag, und es beginnt von vorne. So sinnlos. So langweilig. So vorhersehbar. So verhängnisvoll – sie werden ihre Seele nie wiederfinden.
Stein auf Stein auf Stein, Mauern neben Mauern zu Zimmern, Zimmer zu Zimmern zu Flur und Gang, Stein auf Stein zu Stufen, Stufen an Stufen zu Treppen, Treppen und Gänge zum Gebäude; mit Fenstern: Atem zu Scheiben, Tränen zu Regen, Vergessene Träume; Blickdichte Fenster.
Wort und Wort und Zahl und Zahl, Ecken und Längen, Namen und Daten, Satz um Satz Verschwendung und unnütze Reden.
Schließt man die Augen, hört man nichts mehr – Nichts ist wirklich, nichts ist wichtig. Sich Gedanken zu machen, die über den Plan hinausgehen, ist nicht erwünscht; ihnen Fragen zu stellen, ist verpönt; sich selbst Fragen zu stellen macht ihnen Angst – Wir könnten merken, dass wir sie nicht brauchen.
ICH BRAUCHE EUCH NICHT!
Was lehrt man uns schon? Wie man lebt? Wer kann das denn lehren? Dinge für's Leben? Was wollen sie uns beibringen über das Leben, wenn wir nicht wissen, was und wie man lebt? Was lehrt ihr? Ihr lehrt, wie man sich anpasst, um nicht unterzugehen. Ihr lehrt, wie wir uns selbst verleugnen können, um nicht verleugnet zu werden; von Anderen. Ihr lehrt, dass die Anderen unser Leben bestimmen! Ihr lehrt, es hinzunehmen!

Zehn Jahre, um zu lernen, dass wir nur Spiegel für die Anderen sind, und Projezierfläche, und Statisten. Statisten für Statisten, damit niemand merkt, dass es keine Hauptrollen gibt! Wir sind nicht mehr einzig, wenn wir ein Stück der Masse sind! Wir werden gleichfarbig. Wir geben unsere Besonderheiten auf, nur um nicht aufzufallen. Warum gebt ihr uns noch Namen? Gebt uns Nummern! Dann ist es geschafft, wir sind austauschbar. Wir sind wie ihr, und irgendwann... werden wir tun, was ihr tut und den Kopf einziehen;
wir werden Fragen mit Autoritäten beantworten und wir werden manche Gedanken falsch nennen – was nicht stimmt! - und verbieten, und wir werden nie verstehen, warum wir das tun; und so werden wir sterben, schließlich, und unser Grab wird in einer Reihe stehen und so sein wie die anderen, um nicht aufzufallen – und schließlich und endlich, nach einiger Zeit, wird man uns vergessen haben, endgültig und unwiederruflich – und nichts wird an uns erinnern, nicht unser Grab, auf dem kein Name stehen wird, nicht diese Welt, auf der wir nie irgendwelche Spuren hinterlassen haben werden. Wir werden ausgelöscht sein, dank uns. Dekaden später wird man nicht mehr wissen, wer wir Menschen waren, weil nichts übrig bleiben wird, wessen wir uns rühmen könnten, nur Sand und Stein und Wort um Wort Erinnerung, unlesbar nach so langer Zeit. Weil wir nachgegeben haben, um nicht aufzufallen, um nicht aus der Reihe zu tanzen, um nicht zu zeigen, das alle Anderen nach Regeln spielen, die man uns nie gesagt hat.
Wir wären ihr.

Ich will nicht so sein wie ihr.


© Stefanie T.


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Beschreibung des Autors zu "Was ich nicht will"

Das ist eigentlich eher Gesellschaftskritisch (oder zumindest Menschenkritisch), aber auch kein Gedicht... Deshalb Tagebucheintrag.

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