Wer lügen kann wie gedruckt, der ist eindeutig im Vorteil (frei nach Ludwig Bechstein)

© Alf Glocker

Es wa(h)r gewiss schon tausend und einmal, daß ein Lügner geboren wurde, der keiner war (das ist wahr), weil er niemals wusste ob er gelogen hatte und wenn ja, dann erinnerte er sich nicht mehr daran, oder er diskutierte es solange aus bis den anderen die Lust verging und sie sich in geschickt angelegten Fallen verstrickten, die sie schließlich selbst scheinbar der Lüge überführten.

Einen echten Lügner erkennt der Laie daran, daß er (und der Laie) sich zuallererst selbst in die eigene Tasche lügt, damit er stets reichlich herausgeben kann. Das darf er aber nicht merken weil ihm sonst rechtschaffen schlecht werden könnte und von der Rechtschaffenheit muss er weiter entfernt sein als die Andromeda-Galaxie von der Milchstraße. Das ist mehr als von hier bis zum Tellerrand.

Stets und immerdar weiß der Lügner alles besser: Er lügt Tag und Nacht, morgens und abends, er lügt sich in das Jahr hinein und aus dem Jahr heraus, wie er sich auch aus allen Schwierigkeiten, die seine Lügen den anderen gebracht haben, geschickt selbst herausredet – so als hätte er damit nichts zu tun gehabt.

Natürlich lügt ein wahrer Lügner nicht nur heimlich, sondern auch (oder besonders) öffentlich und ihr könnt ihn lügen hören, daß eine Treppe hinauf in den Himmel führe und daß ein Mücklein größer als ein Elefant ist. Ein Lügner wird des Lügens nimmer satt. Er behauptet notfalls, daß eine Spinne oder ein Spinner einen See austrinken kann, daß er ein Walross, oder den dicksten Mann der Welt mit seinem Atem über den Haufen blasen kann, aber je mehr er lügt, desto mehr glaubt man ihm ...was aber weder ihm noch der Öffentlichkeit etwas ausmacht.

Je mehr er lügt, desto wohler ist es den Belogenen am Abend, denn der Lügner walkt und verfilzt sich mit anderen Lügnern zu einem großen Klüngel zusammen, der an Macht und Einfluss kaum noch zu überbieten ist. Ein Lügner kann einfach alles erreichen und er macht alles einfach gut. Ihn trügt kein Schein wenn er Wässerchen um Wässerchen trübt – und säße er gleich in einer Nussschale auf dem weiten Meer, er würde behaupten einen Zwölf-Master unter vollen Segeln zu befehligen.

So ist er der Meister der Welt! Er kann zaubern. Er macht euch aus Eis ein warmes Feuerchen, er reitet auf Wolken zu seinen Schlössern und er erzählt jedem der es hören will oder auch nicht hören will, er habe auf einer grünen Wiese eine ganze Heldentat lang mit einem Riesen gefochten, der die sieben Zwerge und das Schneewittchen in einem Sack aus Goldstroh gefangen hielt, um ihnen bei der nächstbesten Gelegenheit einen Bären aufzubinden.

Denn ehe er auf Erden geboren war (aus dem Mutterschoß kam), da hörte man schon im Himmel einen Esel und eine Kuh um den Schlüssel zur Weisheit streiten, in dem die verlogenen Reste der künftig anerkannten Wahrheit enthalten sein würden. Aber ein Schaf wird dann zum Gevatter gebeten, damit es der Ehre zum Wahnsinn gereiche und die Luft erfüllt sei von ekstatischen Hosianna-Gesängen.

Dazu kommen aus dem Niemandsland ein Rudel Mönche in ihren Kutten geeilt, weil sie zuhause wahrscheinlich sonst bald tot über den Gartenzaun hängen – ohne dem Gott der Lüge ihren Tribut geleistet zu haben. Sie werden ausziehen das Fürchten zu lehren! Indessen fürchtet sich leider keiner in Stadt und Land. Im Gegenteil: man reißt sich geradezu weltweit um Lügner und Lügnerinnen, da jedermann befugt ist zu lieben was ihm beliebt...

und nachdem die Schwachen im Geiste das Himmelreich innehaben, bekommen alle des Kaisers neue Kleider, während die Lahmen Hasen fangen, der Igel den Bären sticht, Blinde die Sichtweisen Sehender erklären, Stumme inhaltslose Volksreden halten, Mäuse Katzen fangen und vertilgen und zwar solange bis wir alle gemeinsam mit dem Ofenrohr ins Gebirge schauen! Das ist doch noch schöner als Süßholzgeraspel auf dem Friedhof der Kuschelmenschen.

Und gerade weil es immer schon ganz schön schön war, wenn wir einem Lügner auf den Leim gegangen sind, tanzen von alters her die Deckel auf den Töpfen, oder die Kessel nackt vor den Pfannen, Esel springen vor lauter Freude die Decke hoch, dumme Kälber blasen die Flöte auf dem Eis, wobei die ehrlichen Zuschauer das erfrischende Grausen in vollen Zügen genießen...

Man sollte jetzt vielleicht meinen, daß einer - der gesehen und gehört hat was da vorging und geht, wo sich die Balken biegen und es den Fässern die Böden ausschlägt - sich angeekelt abwenden würde und einen Zustand zu beschwören anfinge, der die Welt der Lügen aus der Fassung und das reale Leben ins rechte Licht rückte. Doch darin hätte man sich absolut geirrt! Denn jene, welche in der Lage sind zu erkennen was die Lügner selbst nicht erkennen, sind spärlich gesät und wenn mal eins dieser Naturphänomene irgendwo auftaucht, dann muss es sich vorsehen nicht zertrampelt zu werden.

Denn die Lüge ist das stärkste Mittel zum Überleben, das man bisher erfunden hat. Niemand muss von daher Angst haben es nicht anwenden zu dürfen. Und wer es versiert einsetzen kann, der darf praktisch alles: Er findet sogar am Ende eines Regenbogens einen Koffer voller Bestechungsgelder, die er getrost für sich in Anspruch nehmen soll. Da wackeln die Wände des Wunschdenkens, das Blaue vom Himmel kommt angeflogen und wir können es sogar schwarz auf weiß überall lesen. Nicht umsonst heißt es denn auch: „Der lügt ja wie gedruckt!“

© Alf Glocker

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