Es fällt mir nicht leicht, anlässlich der heutigen Gedenkfeier ein paar Worte zu sprechen. Nichtsdestotrotz ist es nicht mehr als meine heilige Pflicht und Schuldigkeit, an einen zu erinnern, der nach dem Wahlspruch gelebt hat: Wo sich zwei oder drei in Schmutz und Schlamm versammeln, da bin ich mitten unter ihnen.
Bernd Bordstein ist tot. Ein Wegbereiter im einfachsten Sinne des Wortes muss nun selbst den Weg alles Irdischen gehen. Er, der es wie kein anderer verstanden hat, die Ärmsten der Armen zu vereinen und auf ihrem letzten Gang zu begleiten. Bernd Bordstein hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, das Schicksal der achtlos Weggeworfenen in geordnete Bahnen zu lenken und den Ausgelutschten, Ausgelöffelten und Ausgetrunkenen eine Nische am Straßenrand zu bieten. Den Zerrissenen, Zerknüllten und Zertretenen wies er die Richtung, die Ausgelaufenen, Ausgekippten und Ausgespienen der Menschheit fanden Halt an seiner unerschütterlichen Steinkante.
Niemals scheute er davor zurück, sich die Wände schmutzig zu machen. Sein unnachahmliches Geschick vermischte die Wassermassen kräftiger Regengüsse mit den unappetitlichen Erzeugnissen menschlicher und tierischer Notdurft, jeden Eimer schaumverseuchten Putzwassers nahm er dankbar mit auf seinem Weg bescheidener und stummer Pflichterfüllung. Er geleitete die Opfer unserer Wegwerfgesellschaft zur letzten Ruhe, ein Jeder fand seinen Platz: Kleinere in den unergründlichen Tiefen der Gullis, die Großen im sanften Bürstensog der städtischen Straßenreinigung. Und noch bevor das leuchtend orange Fahrzeug die Tore der kommunalen Müllkippe erreicht hatte, begann Bernd Bordstein sein unermüdliches Werk bereits von vorn.
Am letzten Montag nun geschah das Unfassbare. „Bordsteinfreie Hauptstraße“, welch’ schnöde Bezeichnung für jenes unheilvolle Projekt der Stadtverwaltung! Mit dem ersten Morgengrauen erschienen Barbaren einer hiesigen Baufirma und bereiteten dem Leben und Wirken unseres Bernd Bordstein ein grausames Ende. Er, der so vielen einen würdigen Abgang verschafft hatte, wurde selbst grausam zerstückelt, auf hässlich dröhnende Lastwagen geworfen, schließlich stil- und würdelos abtransportiert. Starr vor Entsetzen kleben seine Freunde seither in Schmutz und Staub.
Doch das darf nicht das Ende sein. Als treue Freundin rufe ich euch zu:
Liebe geknickte Pappbecher und ketchupverschmierte Plastikteller, liebe ausgeleckte Eistüten und ausgespuckte Kaugummis: Verteilt euch in der ganzen Stadt! Lasst uns zu Mahnmalen werden in Parks und Fußgängerzonen! Lasst sie in uns hineintreten auf Spielplätzen und in Freibädern, und die Erinnerung an unseren guten alten Bernd Bordstein wird für immer fortbestehen!

Ein Nachruf von Fabiola Faltschachtel


© Manuela Jäkel


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