Hinter den großen Bergen, in einem kleinen Dorf lebte einmal ein Mädchen. Es war hübsch, es war nicht dumm und es hatte auch Freunde. Ihre Eltern machten ihr manchmal das Leben schwer, aber so ging es viele jungen Mädchen.

Das Mädchen hielt sich gerne auf der Wiese beim Dorf auf, denn dort gab es schöne Blumen und auch ein Bach floss dahin. Das Mädchen ging gerne auf der Wiese spazieren und manchmal setzte es sich auf die Wiese, um einfach zu entspannen und den Vögeln zu zuhören. Eines Tages, als es wieder auf der Blumenwiese saß und den gelben Vögeln in den Zweigen zuhörte, flog ein bedrohlicher schwarzer Vogel vorbei. Der Vogel war groß, ein war ein Raubvogel, wie es dem Mädchen schien und es hatte nie einen Vogel von dieser Art gesehen. Der Vogel setzte sich, zu deren Erschrecken, bei dem Mädchen nieder und fing mit einer dunklen, sonoren Stimme an zu sprechen.

„Mädchen, du glaubst, das hier sind schöne Blumen. Du glaubst, der Vogelgesang ist gut. Du meinst, dein Dorf ist ein Zuhause und zu allem Überfluss glaubst du, du kennst die Welt.
Ich sage dir, was die Wahrheit ist: das alles hier interessiert in der wirklichen Welt niemanden. In der wirklichen Welt, in der ich lebe, kann man sich für Feldblumen nichts kaufen. Vogelgesang stört die Menschen dort, Freunde wie die deinen helfen dir nicht weiter und über das, was in deinem Dorf als Wahrheit und Welt gilt, lachen die Menschen in der wirklichen Welt nur. So sieht es auch, Mädchen. Du hast die Welt noch gar nicht gesehen. Hier gelten andere Regeln.“ Nach diesem Satz fing der schwarze Vogel an zu lachen, er lachte selbstzufrieden und freute sich, dass er das Mädchen erschrocken hatte.

Das Mädchen fühlte Angst. Der schwarze Vogel merkte das und goss noch Öl ins Feuer: „Ja. Mädchen, da kann man Angst bekommen, wenn man erst mal ahnt, wie die Welt wirklich ist.
So naiv, wie du bist, musst du wirklich Angst haben.“

Das Mädchen war verwirrt. Warum erzählte ihm der Vogel das alles? Vielleicht meinte er es gar nicht böse und wollte sie nur warnen. Es fragte den Vogel: „Was kann ich tun, um in der normalen Welt zu bestehen? Ich muss in die normale Welt, ich möchte ein normales Leben führen.“ Der Vogel freute sich und sagte dem Mädchen: „Du musst dich uns anpassen. Es geht hier im Leben nicht um schöne Wiesenblumen, Vogelgesang und Freunde. Es geht um Geld, Ansehen, Macht und Einfluss. Darum geht es, Mädchen.“

Damit verabschiedete sich der schwarze Raubvogel von dem Mädchen. Als das Mädchen später zurück ins Dorf ging, hatte sie das Gefühl, ihr fehlte ihr Herz, als hätte es ihr jemand gestohlen.


© Simone Seebeck


1 Lesern gefällt dieser Text.


Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Märchen für Erwachsene: Das Mädchen aus dem Dorf"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Märchen für Erwachsene: Das Mädchen aus dem Dorf"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.