7:52 Uhr, Mittwochmorgen: eine große Traube von Menschen drückt sich durch die engen Türen der soeben stehengebliebenen U-Bahn am Hauptbahnhof. Wie ein Wassertropfen, der auf den Boden platscht, strömen sie in alle Richtungen, in jede noch so kleine Lücke, bis sich die Masse in Bewegung setzt und jedes Opfer mit sich reißt. Wieder neue Menschen steigen ein, die U-Bahn füllt sich. Im hinteren Wagon drücken sich die ersten Hände gegen die Scheiben. Das Fett der Fingerkuppen legt sich auf das Glas, das die Identität von so vielen haben könnte, wenn es denn nur wollte.
Ein ständiges Gedränge, nur um fünf Minuten eher dort zu sein, wo es die Zeit gerade vorgibt. Wildes Überrennen der nächstbesten Möglichkeit, Momente zu gewinnen, die nach kurzer Zeit nur in Vergessenheit geraten, weil etwas Anderes wichtiger geworden ist. Menschen kommen und gehen, machen Bekanntschaften, lernen sich kennen und binden sich, nur um diese Verbindung mithilfe der nächsten flüchtigen Bekanntschaft schmerzhaft zu durchteilen.
Denen, die sie brauchen, wird keine Beachtung geschenkt, während manch anderer sich in ein unscheinbares Leben sehnt, um ihr zu entfliehen. Unerzählten Geschichten begegnen und diese doch einfach hinnehmen, wie ein augenscheinlich weißes Blatt Papier, das unmöglich beschrieben sein kann, richtig?
Die Zeit wird gelebt, indem sie gejagt wird. Und genau das ist das Problem, was so wunderbar ignoriert wird.


© Daria Goorißen


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Gesellschaftskritik




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