Ich habe keinen Dreck mehr unter meinen Fingernägeln.
Ich muss mir nicht mehr extra mit dem Teil, das bei Nagelzwickern meistens dabei ist, unter den Nagel fahren, um die Erde und anderes von draußen Eingesammelte rauszuholen.
Heißt das, ich wasche mir öfter die Hände? Nein. Wasche ich sie mir gründlicher? Nein. Vielleicht bin ich einfach vorsichtiger? Naja, fast.
Der Grund liegt ganz einfach darin, dass ich nicht mehr in der Erde grabe. Der Maulwurfhügel ist in meinem Kopf nicht mehr eine Festung. Bloß ein Maulwurfhügel. Er ist das, was ich sehe. Meine Fantasie ist geschrumpft. Mein Wille zu spielen. Das machen nur Kinder. Bis 14 darf man das. Die ärmsten haben schon früher damit aufgehört.
Jedenfalls habe ich mich bis zu genanntem Alter zum Spielen getroffen. Man hat sich getroffen, um dreckig zu werden. Und das war der größte Spaß. Wenn die Fingernägel dreckig waren, dann hatte ich eine Bestätigung für den Spaß. Umso mehr Dreck am Körper, umso größer der Spaßfaktor. Direkt proportional.
Aber Schluss mit lustig wars dann. Anderes war wichtiger.
Zuerst war es für mich sehr schwer. Ich kroch mich in die Ecke, wenn andere ihr neuestes Gerät auspackten. Glotzend starrten sie darauf ohne der Umgebung – und damit auch mir – Achtung zu schenken. Gekränkt wäre ich am liebsten wieder nach Hause gefahren. Aber ich habe mich angepasst. Das ist einfacher gewesen.
Jetzt bin ich ein stolzes Mitglied der Glotzstarrer. Was für ein schönes Gefühl, immer sauber zu sein und doch so viel mit anderen zu teilen. Ich kann dir mein Leben idealisieren, das idealisierte Leben anderer zeigen und über deren Fakeheit lästern und dabei bleib ich sauber. Kein Dreck unter den Fingernägeln.
Bin ich ehrlich, ist das dreckiger als spielen. Und zwar im Kopf. Jetzt bin ich dreckig im Kopf. Da möchte ich den Dreck weg und unter die Fingernägel.
Ich will wieder Dreck unter meinen Fingernägeln haben.


© MS12


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Beschreibung des Autors zu "Den Dreck weg"

Ein Text über das nicht-mehr-Kind-Sein.




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