Zisch! Die Kohlensäure, wie ein Warnsignal! Oder eher ein Lockruf.
Gut konditioniert wandert man Blick zur offenen Balkontür. Gegenüber, nur wenige Meter über den Hof, einen Stock höher, ein Stück nach rechts: der Weg hat sich über den Sommer in mein Gehirn gebrannt. Die Zunge fuhr über die Lippen. Feucht schmatzen sie an einander. Ein leichtes Seufzen ertönt. Dort stand er, wie frisch aus der Werbung, vielleicht nicht ganz so muskulös, vielleicht mit nicht ganz so scheinenden Haaren. Aber die Fantasie ersetzt die letzten Prozente zu perfekt. Mein ganz persönlicher Colamann direkt von nebenan.
Das Essen bleibt vergessen am Tisch liegen, während die Füße sich heimlich ihren Weg durch die kleine Küche bahnen bis hinweg zur Tür. Ich verstecke mich hinter dem bodenlangen Vorhang, spähe hinaus. Heute steht er wieder mit engem Shirt, die letzten Wochen in der Hitze waren mit nacktem Oberkörper: trotzdem nur eine kleine Enttäuschung. Jetzt hebt er seine Dose an die Lippen. Er schluckt Cola. Ich schlucke Speichel. Niemand trank so sinnlich wie er, ein Anblick, der mich in die Tagträume schwüler Nachmittage verfolgte. Ich hing an seinen Lippen beim nächsten Schluck, fieberte, als er sich an seinem Laptop setzte, einer Verlängerung der 33mL-Show entgegen. Er wusste ganz genau, wie man sein Publikum erfreute. Tatsächlich, eine Pause, während die Finger über die Tasten flogen, in akribischer Arbeit an was auch immer, ein Rätsel, was einen einsamen Abend füllen konnte, während man verrückte und weniger verrückte Biografien mit und ohne weißen Pferd zu dem anonymen Traum erfand.
Der steile Winkel der Dose verkündete das nahende Ende der Vorführung. Ich nahm einen gewagten Schritt nach draußen auf den Balkon in die Sonne. Ein Knacken beschloss das Schicksal des Colas in seiner männlichen Hand. Kollektives Aufseufzen folgte. Die Nachbarin, Mutter von zwei Kindern, gerade in Karenz, weil das Jüngste erst ein halbes Jahr alt, goss wie zufällig den angetrockneten Basilikum. Wasser tropfte aus dem übervollen Untersetzer. Unsere Blicke kreuzten sich: sie wusste, ich wusste. Ertappt! Schnell zurück in die Wohnung, die kühlen Handballen auf heiße Wangen, die nicht von Überhitzung in der Sonne kamen. Und dann der Trotz: was fällt ihr ein, diesem voyeuristischen Weibsbild! Schließlich ist er mein ganz persönlichen Colamann von nebenan.


© lerche


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