liebe Schwester

Erinnerst du dich an den Strand unserer Kindheit? In Italien, in Frankreich? Jedes Mal verbunden mit klingenden Namen, die wir schon längst vergessen haben. Für uns Kinder war das Mittelmeer doch immer gleich.

Erinnerst du dich, wie wir durch den Sand auf und ab gelaufen sind? Du immer voraus und ich hinter dir her, in deinen Fußstapfen. Immer hast du darüber geschimpft: „Du machst mir alles nach!“ Aber in Wahrheit warst du doch gern die größere Schwester, die Ältere. Das habe ich erst begriffen als wir erwachsen waren, ich dich endlich eingeholt hatte und wir auf völlig unterschiedlichen Wegen weiterkämpften.

Erinnerst du dich an die Unmengen und mehr Muscheln, die wir gesammelt haben? Ich habe all meine dir geschenkt. Du hast sie gar nicht gewollt. Eigentlich habe ich sie auch behalten wollen. Aber das war nicht Teil unseres Spiels. Am Schluss sind sie wohl im Hotel zurückgeblieben oder sind auf der Heimreise verloren gegangen oder sind sonst wie erst später verschwunden. Unsere Eltern haben über den Sand und das Salz geschimpft. Uns Kindern ist das natürlich egal gewesen. Da waren wir wieder eins.

Erinnerst du dich noch an eine Zeit, in der ich nicht Wochen gebraucht habe, um mich wieder einmal bei dir zu melden, in der wir noch in derselben Welt gelebt haben? Wie lange ist das her?

Erinnerst du dich an den Strand, auf dem ich jetzt stehe? Erinnerst du dich an das Meer, das ich jetzt sehe? Du hast gesagt, ich lebe zu sehr in der Vergangenheit. Vielleicht. Aber willst du nicht auch manchmal zurück in diese scheinbar sorglose Zeit?

© lerche

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agnes29
Horst Bulla

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Kommentare zu "liebe Schwester"

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