Neulich, so wurde berichtet, habe Bruno wieder einmal im Kreise seiner Freunde und Bekannten an einer Diskussion teilgenommen, als es um ein Thema ging, das einer der Umsitzenden, welcher, ist bis heute nicht bekannt, aus dem Nichts heraus angestoßen habe und das er, Bruno, der ansonsten meinungsfreudig, eine geraume Zeit im Hin- und Her des Argumentationsaustausches schweigend zur Kenntnis nahm.

Im Laufe der Diskussion über das Problem, ob es günstiger für jeden Menschen persönlich oder für die Gesellschaft oder gar die Menschheit im allgemeinen sei, viele Freunde oder aber viel Geld zu haben, stellte sich für ihn, Bruno, immer deutlicher heraus, dass die korrekte Anwort, die von den meisten, schließlich von allen erwartet wurde, die sei, dass ein großer und nahestehender Freundeskreis unbezahlbar sei und einem Batzen Geld auf jeden Fall vorzuziehen wäre.

Bruno, der bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort zur Thematik verloren hatte, habe seine Gedanken, wie er später seinem Tagebuch anvertraute, noch eine Weile ordnen wollen, wurde aber schließlich aus dem Kreis der Umsitzenden durch aufmunternde Blicke oder strenges Räuspern genötigt, ebenfalls seine, möglichst richtige Ansicht der Dinge beizusteuern.

Da er, Bruno, aus eigener Sicht der Dinge, aber auch wegen das bislang herbeibesprochenen Diskussionsertrages nicht darauf verzichten wollte, auch weiterhin ein gern gesehenes Mitglied des Kreises seiner Freunde und Bekannten zu bleiben, gab er nach einer längeren Pause zu erkennen, dass bei dieser Problematik eine Entscheidung nicht einfach sei. Er, Bruno aber, wenn er alles richtig abwäge, komme zu dem Schluss, ein großer und verständnisvoller Freundeskreis sei in allen Fällen, was ein glückliches und vollendetes Leben schließlich ausmache, immer einem Haufen Geld vorzuziehen.

Die Umsitzenden atmeten tief ein, einige füllten ihre Gläser nach und schenkten Bruno einen zufriedenen Blick. Dieser aber zog sich wieder aus der weiteren Diskussion über ein ganz anderes, neues Thema zurück und räumte ganz im Stillen, wie er sich selber eingestehen musste, der Überlegung immer mehr Platz ein, dass ein großer Freundeskreis und ein Haufen Geld sich nicht ausschlössen, ja, dass ein Batzen Geld möglicherweise erst einen großen Freundeskreis bewirken könne. Sollten aber Freundeskreis und Geld wirklich einander ausschließende Alternativen sein, dann, so Bruno - und dabei musterte er die Umsitzenden unbemerkt, aber eingehend - dann habe er ein Problem, dass er in diesem Kreis lieber nicht erörtern möchte.


© Rolf Kirsch


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