Ich laufe durch die Straßen. Es ist dunkel. Weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Mein Kopf ist gesenkt. Ein strikter Blick auf die Steine. Nichts als Steine. Ab und zu blitzt ein Schuh von mir hervor. Ich sehe nicht wo ich hinlaufe, denn meine Füße lenken mich von ganz alleine. Ich weiß nicht wohin die Reise geht und ich möchte es auch nicht wissen. Leben. Das ist kein Leben. Ich werde gelenkt. Ich habe nicht zu bestimmen wohin diese Reise geht. Ich funktioniere. Nicht mehr und nicht weniger. Ich hebe langsam meinen Kopf. Die blauen Augen funkeln im Licht der Sterne. Wie das Meer bei einem Gewitter. Wie ein Wunder der Natur. Und doch sind sie ausdruckslos. Traurig. Leer. Voller Gefühle und doch voller nichts. Diese Augen blicken auf eine Tür. Eine Tür wie jede andere und doch nicht gleich. Sie löst etwas in einem aus, denn hinter ihr stecken tausend Erinnerungen. Und hinter ihr beginnt die neue Reise. Meine Fingerspitzen der linken Hand zucken leicht. Sie wollen das ich diese Tür öffne, doch ich habe das nicht zu bestimmen. Somit wandert die Hand langsam zu der Türklinke. Der kühle Stahl fühlt sich angenehm an. Trotzdem bekomme ich eine Gänsehaut. Ich möchte sehen was sich hinter dieser Tür verbirgt. Meine Hand drückt die Klinke hinunter. Sie schiebt die Tür leicht auf. Licht. Ein grelles Licht.
Ich höre eine Frau weinen und schreien. Umso weiter ich in das Licht laufe umso lauter werden die Geräusche und umso mehr Personen weinen. Ab und zu blitzen Bilder vor meinem Auge auf, aber innerhalb weniger Sekunden sind sie wieder verschwunden. Es sind schreckliche Bilder. Meine Mutter liegt einfach nur da und weint. Ich fühle etwas. Ich fühle wieder etwas. Blut. Da ist eine Pfütze voll mit Blut. Ein Handy. „Sie hat sich umgebracht.“ Das steht da. Mehr nicht. Empfangen von einer unbekannten Nummer. Jetzt sehe ich wer das Handy in der Hand hält. Sie mochte mich nicht mehr. Sie hatte den Kontakt abgebrochen, weil ich zu negativ war. Jetzt fließt auch bei ihr eine Träne. So wollte sie das nicht. Nicht so. Noch ein Bild. Ein Junge. Er wird angerufen. Ich höre nicht was gesagt wird. Er kippt um. Tausend solcher Bilder.
Ich laufe immer weiter. Es kommen immer mehr Bilder in immer kürzeren Abständen. Ich laufe solange, irgendwann renne ich, bis eine weitere Tür kommt. Dieses Mal zögere ich nicht. Ich gehe einfach durch sie hindurch. Ein Friedhof. Der Junge ist dort. Sie auch. Meine Lehrerin. Meine Mutter. Mein Bruder. Mein Vater. Das Mädchen das mich nie getroffen hat und trotzdem geliebt hat. Meine Großeltern. Ich laufe durch die Reihen und sehe die Menschen an. Die Zeit ist gestoppt. Manche weinen. Manche haben die Augen geschlossen. Einer schaut an die Decke. Einer zu Boden. Ich laufe nach vorne zu dem Sarg. Er ist zu. Ein weißer Sarg. Ein Traum. Ich habe mir immer einen weißen Sarg gewünscht. Eine schwarze Rose liegt auf ihm. Ich öffne den Sarg und erstarre. Ich sehe mich. Doch das bin nicht ich. Ich sehe nicht so aus. So darf man mich nicht sehen. Ein roter Tropfen landet auf meinem Gesicht. Ich schüttle den Kopf. Nein. Nein. Nein. Ich drehe mich hastig um. Meine Blicke wandern umher. Alles wird rot. Ein rotes Meer. Ich ertrinke darin.
Als ich komplett unter Wasser bin, unter rotem Wasser, geht die Szene weiter. Die Zeit ist nicht mehr gestoppt. Die Leute weinen wieder oder sind einfach nur still. Sie gehen nach vorne an den Sarg und zünden Kerzen an. Sie verabschieden sich. Sie verabschieden mich.


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