1.Szene
Nacht, der Straßenzug liegt in völliger Dunkelheit. Nur einige fahle Lichter der Straßenbeleuchtung fallen auf den regennassen Asphalt, auf dem sich durch den tagelangen Regen bereits riesige Pfützen gebildet haben. Einige Küchenfenster im obersten Stockwerk stehen auf Kippe und eine Radiostimme klingt daraus hervor.

Radiosprecher: …durch die starken Regenfälle kommt es überall zu Überschwemmungen. Besonders die Pazifikregion ist davon betroffen…

Leise nieselt der Regen weiter durch das gelbmatte Licht der Straßenlaternen.

Früher Morgen in der Redaktion eines Fernsehsenders. Drei Männer sitzen am Tisch zusammen. Kulp, der Chefredakteur, Stamm, der Journalist, Meinert, der Koordinator.
Kulp schenkt sich eine Tasse Kaffee ein.

Kulp: Schreckliche Sache.
Die anderen: Sehr.
Kulp: Einige Inseln im Pazifik sind bereits überschwemmt.
Meinert: Wie Atlantis.
Stamm: Und bald wird Australien folgen.
Kulp: Was macht Neuseeland?
Meinert: Geht unter.
Kulp: Und Neuguinea?
Meinert: Gibt es nicht mehr.
Kulp: Also Australien.
Meinert: Ja
Kulp (zu Stamm gewandt): Haben wir dort Kontakt?
Stamm: Reichel ist in Sydney.
Kulp: Kann er uns was bringen?
Stamm: Sicher.
Kulp: Gut. Wir gehen auf Sondersendung. Von zwölf Uhr an.
Meinert: Die Zuschauer wollen das nicht sehen.
Kulp: So?
Stamm: Wir haben nicht genug Stoff.
Kulp: Besorge es. An die Arbeit, meine Herren!

Einen Tag später. Gleicher Raum. Kulp, Meinert und Stamm sitzen am Tisch und trinken Kaffee. Durch das Fenster sieht man im Hintergrund den Regen wie an Bindfäden gezogen.

Kulp: Gratuliere, meine Herren!

Stamm und Meinert lächeln.

Kulp: Zwanzig Prozent Einschaltquote, ist ein hervorragendes Ergebnis.
Meinert: Guter Journalismus.
Stamm: Gute Konzeptionierung.
Kulp: Nun müssen wir die Gunst der Stunde nutzen!
Stamm: Australien ist abgenutzt.
Meinert: Fast ertrunken.
Kulp: Wie steht es in Japan?
Stamm: Starke Regenfälle.
Kulp: Wie lange noch?
Stamm: In diesem Tempo? Einige Tage.
Kulp: Schrecklich.
Die anderen: Sehr.
Kulp: Unser Mann dort?
Stamm: Reichel kann rüber fliegen.
Kulp: Dauert zu lange. Was machen wir heute?
Meinert: Vielleicht Australien zu Ende und Vorschau auf Japan. Wir haben noch Archivbilder von der letzten Katastrophe.
Kulp: Gut. Wir verlängern die Sendung bis in den Abend hinein. Außerdem wünsche ich Statements aus London, Moskau und Washington.
Stamm: Werden wir bekommen. Haben unsere Leute dort.
Kulp (grübelt): Warte mit Washington noch ein wenig. Wie lange macht Hawaii noch?
Stamm: Wohl nur bis morgen.
Kulp: Dann bringen wir Washington auch erst morgen.

Nächster Tag, gleicher Raum, gleiche Personen, anderer Kaffee.

Kulp (ausgelassen): Wunderbare Sendung. Wieder fünf Prozent mehr Zuschauer.
Stamm: Herrlich.
Kulp: Die Großindustrie ist an unseren Werbeblöcken interessiert.
Meinert: Schwierig, wir sind bereits voll.
Kulp: Dann werden wir eben verlängern.
Meinert: Gute Idee.
Kulp: Schade, dass es ein solches Unglück bedurfte.
Die anderen: Wirklich schrecklich.
Meinert: Wir sollten das Konzept überdenken.
Kulp: Warum?
Meinert: Zu viel Tragik, zu wenig Unterhaltung. Wir müssen das Publikum binden.
Kulp: Woran denkst du?
Meinert: Ein Gewinnspiel. Vier Personen im Katastrophengebiet. Wer am längsten aushält, gewinnt.
Stamm: Das klappt nie.
Meinert: Bestimmt.
Kulp: Lasst es uns versuchen. Was macht Australien?
Stamm: Weg.
Kulp: Hawaii?
Stamm: Weg.
Kulp: Japan?
Stamm: Hält sich noch.
Kulp: Was ist sonst noch betroffen?
Stamm: Indonesien, Indien, Südafrika, Mauritius, Chile und natürlich Mittelamerika.
Kulp: Schrecklich.
Die anderen: Sehr.
Kulp: Los, an die Arbeit. Wir sind Journalisten und müssen durchhalten!

2.Szene

Auf der Straße. Ein alter Besserwisser, eine junge Frau und ein Mütterchen stehen zusammen und warten auf den Bus. Es regnet weiter und auf der Straße steht das Wasser knöchelhoch.

Besserwisser: Der kommt nicht.
Junge Frau: Schon eine Stunde überfällig.
Besserwisser: Daran ist der verfluchte Regen schuld. Bringt das ganze System durcheinander!
Mütterchen: Meine Blumenbeete sind hin.
Besserwisser: Das hat es früher nicht gegeben!
Junge Frau (rollt mit den Augen): Alles ist so nass.
Besserwisser: Woanders wären sie froh, wenn sie Wasser hätten!
Mütterchen: Stellen sie sich vor, all meine Blumen!
Junge Frau: Man kann keinen Schritt mehr vor die Tür.
Besserwisser: Da bleibt einen nur noch das Fernsehen.
Junge Frau: Wer, glauben sie, wird gewinnen?
Besserwisser: Der mit dem Bart. Der hat so etwas Stures im Blick.
Junge Frau: Ich glaube, der große Blonde.
Besserwisser: Wohlstandsjüngling! Der hält nicht durch!
Mütterchen: Wenn es wenigstens die Rosen geschafft hätten.
Besserwisser: Der Bärtige, sie werden sehen. Heute geht Peru unter und dann ist Schluss für ihren schönen Blonden!
Junge Frau: Da gibt es doch Berge.
Besserwisser: Der schafft das nie bis in die Anden! Sollte lieber aufgeben.
Mütterchen: Nur von den Veilchen habe ich einige retten können. Sie stehen jetzt im Wohnzimmer.
Besserwisser: Wohin geht es danach?
Junge Frau: Soviel ich weiß nach Afrika.
Besserwisser: Vielleicht nehmen sie dieses Mal richtige Kerle. Nicht so blonde Schönlinge!
Mütterchen (schnieft): Nur ein paar Veilchen.

Der Bus rollt langsam heran. Die drei steigen ein. Der Bus fährt vorsichtig durch das Wasser.

3.Szene

Redaktion. Stamm, Meinert und Kulp sitzen zusammen. Durch das Fenster sieht man weiterhin den Regen.

Kulp: Meine Herren, wir haben es geschafft. Fünfundneunzig Prozent Sehbeteiligung. Damit sind wir konkurrenzlos.
Die anderen: Wunderbar.
Kulp: Nehmen wir das als Ansporn. Was ist noch übrig?
Stamm: Himalaja, Teile der Anden, die Alpen, ein wenig Ural.
Kulp: Schrecklich.
Die anderen: Sehr.
Kulp: Nehmen wir den Himalaja.
Meinert: Gute Idee.
Kulp: Schicken wir Reichel?
Stamm: Ist in China verloren gegangen.
Kulp: Oh!
Stamm: Ja, tragisch.
Kulp: Dann schicken wir den großen Blonden aus Peru. Den mögen die Leute.
Stamm: Er ist kein Journalist.
Kulp: Die Zuschauer lieben ihn. Den Rest lernt er. Wir haben eine Verpflichtung nach diesem Erfolg. Auf meine Herren, packen wir es an!

Die beiden anderen applaudieren.

Nacht, der Vollmond glitzert auf dem Wasser, welches das Bild bis zum Horizont erfüllt. Es regnet leicht. Mitten im Bild ein kleiner Hügel, auf dem ein großer, blonder Mann hockt, die Knie zusammengezogen, das Kinn darauf gelegt.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Quotentreffer"

Re: Quotentreffer

Autor: noé   Datum: 03.06.2014 23:44 Uhr

Kommentar: Schreckliches Szenario...
Man ist versucht zu lachen, und doch bleibt es einem im Halse stecken. Das sind ja fast Insiederinformationen, die Du uns da zuteil werden lässt, Mark.
Schrecklich, wirklich...
(P.S.: Hast Du meine heutige (Dienstag) PN ebenfalls bekommen? Seltsamerweise ist mir meine eigene Mail zugestellt worden - als Antwort auf Deine...?)
noé

Re: Quotentreffer

Autor: Mark Gosdek   Datum: 04.06.2014 4:20 Uhr

Kommentar: Das ist natürlich stark übertrieben, aber trotzdem glaube ich, dass die menschliche Ignoranz auch in solchen Situationen sein Unwesen treibt. Mark
(Habe gerade nachgesehen und Deine PN erhalten, komischer Weise aber keine Benachrichtigung, dass ich eine bekommen habe). Mark

Re: Quotentreffer

Autor: noé   Datum: 04.06.2014 8:15 Uhr

Kommentar: Zu 1) Davon bin ich - leider - auch überzeugt.
Zu 2) Na, denn is ja jut... ;o))
noé

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