Es war an einem frühen Morgen im Mai, vielleicht war es auch schon Juni. Wer kann das schon so genau unterscheiden. Jedenfalls war es schon warm und die Sonne krabbelte gerade über den Dächern herauf, so als bereite es ihr einige Mühe, sich an den Schindeln festzuhalten. Irgendwie muss sie aber doch einige Strahlen hineingeschlagen haben, jedenfalls fiel sie nicht wieder über die Regenrinne zurück, obwohl ich zwischenzeitlich keinen Euro darauf gesetzt hätte.

Nun, mir war das eigentlich egal. Sollte sie doch machen was sie wollte. Meine Küche lag auf der Nordseite und da hatte ich Ruhe vor ihr. Nachdem ich also mit Spannung beobachtete, ob sie es wieder einmal schaffen würde, schlurfte ich hinüber und setzte mir einen Kaffee auf. Das Zubereiten eines guten Kaffees ist eine Kunst. Das lernt man nicht so einfach und ich war froh, einer derjenigen Ausgewählten zu sein, denen es wirklich gelang. Natürlich kochte ich so eine Spezialität nur für Kenner und da meine Bekannten in dieser Beziehung alle Barbaren waren, bekamen sie Instant Kaffee – falls sie mich einmal besuchten.

Also, wie gesagt, die Sonne zog sich mühsam über die Giebel und mein fabelhafter Kaffee blubberte durch den Filter vor sich hin. Normaler weise ist der Morgen damit bereits gerettet. Eine Zeitung wäre dabei natürlich noch schön, aber dafür hätte ich drei Etagen zu dem Kiosk hinuntersteigen müssen und das ist doch wirklich eine Zumutung. Aus welchem Grunde solche Kioske für die eifrigen Leser nicht direkt an die Tür liefern, ist mir einfach schleierhaft. Aber wahrscheinlich haben sie es nicht nötig. Nun, wenn das so ist, muss ich auch nicht den Weg auf mich nehmen, um sie mir zu holen. Dann bin ich eben kein eifriger Leser, an mir liegt das bestimmt nicht!

Aber ich schweife ab und das ist nicht meine Art. Ich bin ein eher ernsthafter Typ. Verständnisvoll, gedankenerfüllt verstehe ich die Welt. Da stört das ständige Geplapper der anderen. Sie reden und reden und nichts kommt dabei heraus. So einer bin ich absolut nicht! Ich sage nur dann etwas, wenn es sich auch wirklich lohnt. Das war schon meiner Frau ein Dorn im Auge, aber es kann ja nicht jeder so in den Tag hineinleben wie sie. Das wollte sie einfach nicht verstehen, nun, da musste sie eben letztes Jahr ausziehen. Tat mir ja wirklich leid, aber wir verstanden uns einfach nicht und dabei habe ich mir alle Mühe gegeben. Gott ist mein Zeuge, naja, wenigstens, wenn man an Gott glaubt. Ich für meinen Teil denke, dass er sowieso korrupt ist, falls es ihn wirklich gibt.

Sehen sie sich mal die Kirchengeschichte mit all den Oberhäuptern doch einmal an! Die Borgias und dieses Gesindel. Aber denen ist es ja wohl nicht anzukreiden. Der Fisch fängt an am Kopf zu stinken, sagt man doch. Na, und wer ist der Kopf? Ja? Begriffen? Ich hoffe, ich habe sie damit nicht überfordert. Gebe mir wirklich Mühe, die Sprache des Volkes zu sprechen, aber es ist nicht so einfach, wie man vielleicht glauben mag. Das habe ich auch versucht, den Jungs beim Arbeitsamt zu erklären. Wichtig ist nicht der Abschluss, sondern die Geisteshaltung. Der Typ dort meinte, er sehe es genauso und bot mir einen Job in der Pizzeria an. Können sie sich das vorstellen? Ich soll andere bedienen? Irgendwelche Typen, die bei mir nicht einmal richtig bestellen können?

Naja, das hab ich dem Kerl beim Arbeitsamt auch klar gemacht, aber irgendwie hat der mich nicht verstanden. Meinte, ich müsste unbedingt dorthin gehen. Bin ich auch – fast. Da wurde ich leider krank. Sensible Menschen wie ich werden das nun einmal. Er meinte, das wäre eine Ausrede und ich bin sicher, dass der auch keinen vernünftigen Kaffee kochen kann.

Aber das wollte ich eigentlich gar nicht erzählen. Da haben sie mich jetzt einfach verleitet, ich bin eigentlich ein schweigsamer Mensch, wie ich ja schon erwähnte. Mit mir kann man ganz wunderbar auskommen. Ich bin sehr human – wenn man sich natürlich vernünftig aufführt. Aber das ist doch wohl selbstverständlich. Kann ja nicht jeder machen was er will. Das fängt schon mit den Typen unten auf der Straße an, die in zweiter Reihe parken, um kurz zum Bankautomaten reinzuspringen. Die machen sich darüber keine Gedanken, aber halten den Verkehr auf. Tja, so geht das natürlich nicht. Ich notier mir ihre Kennzeichen und mache Bilder mit meinem Handy. Sie glauben ja nicht, wie ignorant die Polizei ist. Meinen Hinweisen sind sie noch nicht einmal nachgegangen. Aber gut, ich will mich nicht beklagen. Ich folge meiner Bürgerpflicht und wenn die sich dieser nicht bedienen wollen, kann ich wohl nichts weiter machen. Wenigstens kamen sie einmal, als die Musik beim Nachbarn ziemlich laut war. Ist ja auch ein Unding, zu einer Zeit, in der vernünftige Leute schlafen wollen. Aber im Grunde stört mich das alles nicht, ich bin ja ein friedfertiger Mensch.

Nun gut, wie dem auch sei, ich hatte also meinen Kaffee fertig gebrüht und ich kann ihnen sagen, er schmeckte wieder einmal ausgezeichnet. Aber das ist ja auch kein Wunder, wenn man sich Mühe gibt. Der Sonne überließ ich die andere Seite der Wohnung und so sah ich zufrieden aus mein Fenster hinüber zur anderen Straßenseite. Da ist vor kurzem eine junge Familie eingezogen. Türken oder so. Also, nichts gegen Ausländer. Das sind wir ja alle irgendwie. Ich stell das nur einmal so fest. Ist eben eine andere Kultur, obwohl ich für so etwas natürlich offen bin. Aber sie wissen ja wie die Leute sind. Irgendwann fängt immer jemand mit Gerüchten an und dann sind sie froh, wenn einer sagen kann: Nein, nein, die sind nicht so. Man hat ja schließlich auch eine soziale Verantwortung. Für die Integration und so. Schließlich brauchen wir ja Arbeitskräfte. In der Pizzeria zum Beispiel. Den Tipp könnte ich ihnen vielleicht mal geben. Der Vater scheint ja arbeitslos zu sein und bevor er dem Sozialamt zur Last fällt, ist das doch viel besser. Der sitzt den ganzen Tag in der Küche rum. Können sie sich das vorstellen? Und dabei ist der noch so jung! Anfang vierzig vielleicht. Manchmal sitzen die Jungs bei ihm. Zwei sind es und eine Frau, aber die sehe ich nie. Hat bei dem bestimmt auch nichts zu sagen. Das ist da wohl so.

Aber er schlägt sie nicht. Wäre ja auch noch schöner. Er traut sich nicht. Vielleicht vermutet er, dass er beobachtet wird. Das ist er bestimmt nicht gewohnt. Aber hier ist das eben auch anders. Hier kann nicht jeder machen, was er will. Mir ist es ja eigentlich egal. Doch gebe ich gerne zu, dass es ein gutes Gefühl vermittelt, gebraucht zu werden.

Jedenfalls waren die da drüben ganz ruhig und saßen am Küchentisch. Also, ich meine den Vater und die Jungs. Nicht die Frau, die musste wahrscheinlich arbeiten. Man weiß ja wie so etwas ist. Aber wahrscheinlich ist sie ja auch nichts anderes gewohnt. Ich schlürfte meinen Kaffee und sah hinüber und ganz demonstrativ sahen die drei mich nicht an. Natürlich haben sie mich gesehen. Ich verstecke mich ja nicht. Sitze nur zufällig da, ich kann ja schließlich nichts dafür, dass beide Küchen genau gegenüber liegen. Da stand einer der Söhne auf und stellte das Radio an.

Ganz leise, so dass nichts nach außen drang. Immerhin hatte ich mein Fenster geöffnet und so laut ist die Straße nun auch wieder nicht. Aber trotzdem konnte ich nichts hören. Ist mir ja auch egal. Aber merkwürdig ist das schon. Warum stellt einer das Radio an, wenn man doch nichts hört. Jedenfalls ich nicht. Die drei da drüben am Küchentisch haben irgendwie ganz gespannt gelauscht. Die haben bestimmt was mitbekommen. Aber ich eben nicht. Nun frage ich sie, warum wird das Radio so angestellt, dass ein zufälliger Zuhörer, wie ich einer bin, nichts mitbekommt? Da ist doch irgendwas faul!
Also nicht, dass ich meine, dass da irgendetwas im Busch ist, nur weil das Ausländer sind. Terroristen oder so. Auf diesen Gedanken würde ich nicht im Traum kommen. Warum auch? Terroristen sind ja viel eher im Keller anzutreffen. Beim Bomben bauen. Aber nicht am Küchentisch, wo sie jeder sehen könnte, wenn sie an dem Zeug herumschrauben. Außerdem gibt es dafür überhaupt keinen Grund, jedenfalls für mich nicht. Aber was weiß ich schon, was in solchen Köpfen herumspukt!

So ein Radio eignet sich auch überhaupt nicht dazu, Bomben zu bauen. Propaganda verbreiten, vielleicht. Terroristen brauchen ja auch Freunde. Welche, die sie verstecken und falsche Pässe besorgen. Das ist ganz wichtig! Manchmal sehe ich einen der Jungs irgendetwas am Küchentisch schreiben. Das hat natürlich nichts zu bedeuten. Jeder kann am Tisch etwas schreiben und jeder kann sein Radio auch so leise drehen wie er will. Naja, und wenn er dann als Pizzabäcker arbeitet, hat er auch gar keine Gedanken für so etwas. Trotzdem kann man da nie sicher sein, das sieht man niemanden an. Kann man doch jeden Tag in der Zeitung lesen, falls man vom Kiosk eine Zeitung geliefert bekommt, heißt das natürlich.

Jedenfalls saßen die drei da herum und ich schlürfte meinen Kaffee. Da sah plötzlich der Vater zu mir herüber. Das hatte er noch nie gemacht und ich kann ihnen sagen, der starrte mich an, als hätte ich Krebs. Ich tat so als würde ich mein Kaffee genießen und nahm seinen Blick ganz gelangweilt auf. Sollte er ruhig sehen, dass ihre Handlungen nicht unbemerkt blieben. Es gibt nun einmal viele ehrliche Bürger, denen das Wohl der Gemeinschaft am Herzen lag. Ich habe ihm auch nicht zugenickt. Nachher glaubt er noch, ich möchte mich Lieb Kind bei ihm machen. Solange sie sich anständig aufführen habe ich kein Problem.

Aber was er dann tat, schlug dem Fass doch den Boden aus! Er streckte den Arm aus und zog die Gardine vom Küchenfenster zu. Können sie sich das vorstellen? Warum macht einer so etwas, wenn er nichts zu verbergen hat? Ich war ehrlich schockiert darüber, dass mir sogar der Kaffee nicht mehr schmeckte. Der glaubte wohl, dass er damit durchkommt! Hat bestimmt nicht damit gerechnet, auf einen Augenzeugen zu treffen, dessen Gehirn noch nicht völlig ausgetrocknet ist. Erst das leise Radio, dann das Sitzen in der Küche und wo ist überhaupt die Frau? Nicht, dass es mich etwas angeht. Aber wenn eines Tages die Grundschule in unserer Schule explodiert, wird mir niemand vorwerfen können, ich hätte nichts gesagt. Ganz bestimmt nicht! So nahm ich mein Telefon, welches die ganze Zeit neben mir auf dem Küchentisch lag und rief die Polizei an.

Wahrscheinlich tun die nichts. Das kennt man ja, aber ich habe sie gewarnt und danach war mir ein wenig wohler. So schlurfte ich zurück ins Wohnzimmer und sah nach, ob die Sonne sich immer noch über den Dächern der Stadt hielt.


© Mark Gosdek


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Kommentare zu "Man ist ja irgendwie verantwortlich"

Re: Man ist ja irgendwie verantwortlich

Autor: axel c. englert   Datum: 24.05.2014 17:24 Uhr

Kommentar: Lieber Mark!
Das ist eine richtig schöne Milieu – Charakterstudie.
Ich fürchte nur, dass eben dieser Charakter auch wirklich existiert…

LG Axel

Re: Man ist ja irgendwie verantwortlich

Autor: Mark Gosdek   Datum: 24.05.2014 19:52 Uhr

Kommentar: Lieber Axel, das glaube ich leider auch. LG Mark

Re: Man ist ja irgendwie verantwortlich

Autor: noé   Datum: 24.05.2014 20:44 Uhr

Kommentar: Was für eine Pestbeule, der Typ. Aber wirklich sehr gut be- und ge-schrieben!
noé

Re: Man ist ja irgendwie verantwortlich

Autor: Mark Gosdek   Datum: 25.05.2014 5:21 Uhr

Kommentar: Danke, Noé. Zum Glück habe ich nicht solch einen Nachbarn. Mark

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