An einem offiziellen Wettkampftag überfällt mich jedes Mal eine Anspannung, die mir den Atem zu nehmen droht. Bereits zwei Stunden vor Abfahrt zur Halle liege ich wach und auch wenn mein Körper sich noch schlaff fühlt, gelingt es mir doch nicht mehr, einzuschlafen.
Ruhelos treibt es mich in die Küche zu einem Kaffe, in dem ich die Gelassenheit anderer Sonntage zu finden hoffe.
Stelle ich mir vor, in kaum zwei Stunden auf dem hölzernen, polierten Anlauf zu stehen und mit dem Bowlingball kleine, weiße Holzkegel in achtzehn Meter Entfernung umwerfen zu müssen, zweifele ich doch stark daran, es jemals wenigstens einigermaßen gekonnt zu haben.
Meine Frau schläft noch oben im Zimmer und ich beneide sie um ihren ruhigen, fast todesähnlichen Zustand.
Immer wieder versuchte ich im Laufe der Jahre bestimmte Rituale einzuführen, meine so genannten Wettkampfmuster. Gymnastische Übungen, bestimmte Musikstücke. Alles, was mich auf ein gutes Spiel einstimmen sollte. Doch nichts kann mir wirklich die Atemlosigkeit nehmen, die mich befällt.
Ich stehe neben mir, zwanghaft bemüht in bewusster Verlangsamung der Dinge einen Zustand der Normalität herzustellen. Das Heben der Kaffeetasse erlangt eine Bedeutung, wie sie es sich niemals hätte vorstellen können und ich muss gestehen, dass auch ich nur in diesem Augenblick dazu im Stande bin.
Irgendwann, meist wenn die Dunkelheit sich in ein letztes, zartes Grau hüllt, ist meine Anspannung so gewachsen, dass ich es nicht mehr aushalte. Meine Finger sind inzwischen eisig kalt geworden und mindestens dreimal denke ich ernsthaft daran, einen Teamkollegen anzurufen, diesen Moment der Unsicherheit mit ihm zu teilen. Doch führe ich diesen Gedanken niemals aus.
Es sind Augenblicke, die den normalen Bürger in das Mitglied einer elitären Gruppe verwandeln. Wenn der Stoff den Körper berührt, wird alles andere der Zugriff auf den Geist verwehrt. Der Mensch mutiert zum Spieler. Spielen und Gewinnen, einfache Weltregeln sind es, die von nun an den Kosmos beherrschen.
Und Stolz. Zwanzig Jahre Vereinsspieler, zwanzig Jahre Wettkampf. Eine Zeitspanne, die in kaum einem anderen Sport zu erreichen ist. Spieler, die mir bereits vertraut waren, als sie aus der Jugend kamen, damals junge, aufstrebende Talente, denen der Himmel offen stand und die nun mit einem leichten Bauchansatz herumlaufen, während sie ihre Familien für einen Sonntag verlassen.
An ihnen merke ich, dass auch ich älter geworden bin. Ein Spieler im Zenit, vielleicht schon ein wenig darüber hinaus, jedenfalls sicher, niemals besser zu werden.
Doch darum geht es nicht. Nicht in einem so langwierigen. Sportler ist man im Herzen und im Kopf. Das Ergebnis stellt nur das Zeugnis über einen Wettkampf aus. Es hat keine Gültigkeit auf Zeit. Der Kampf endet nie.
Und auch wenn ich schon so lange spiele, so leide ich unter Lampenfieber, der Angst des Versagens.
Doch an diesen Morgen, in all der Einsamkeit treffen sich die Furcht und die Ewigkeit. Ein süßer Trank, von dem ich mir nicht vorstellen kann, ihn jemals zu missen.
Dann ist es Zeit. Ich ziehe mir die Schuhe an und verlasse das Haus. Oben schläft meine Frau, doch ich denke nicht an sie. Ich denke an das Team. Und es ist gut.


© Mark Gosdek


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Beschreibung des Autors zu "Vor dem Team"

Dieser Text besteht aus drei Teilen. Vor dem Team, Beim Team und nach dem Team. Fast dreißig Jahre habe ich im Bowlingverein in Ligawettkämpfen gespielt. Die drei Texte zusammengenommen beschreiben die Empfindungen eines typischen Sonntagspieltages.

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Kommentare zu "Vor dem Team"

Re: Vor dem Team

Autor: noé   Datum: 14.04.2014 15:33 Uhr

Kommentar: Da wäre ich gerädert vor dem Anfangen, glaube ich...
noé

Re: Vor dem Team

Autor: axel c. englert   Datum: 14.04.2014 16:43 Uhr

Kommentar: Hallo Mark,
gerade weil ich so gar keine Ahnung von dieser Sportart habe,
finde ich es sehr interessant, einmal einen Einblick zu bekommen.
(Ich weiß lediglich, dass es mit Kneipenkegeln so wenig zu tun hat
wie Pingpong mit Tischtennis, bzw. Federball mit Badminton).
Du hast diese gesteigerte Anspannung anschaulich beschrieben.

LG Axel

Re: Vor dem Team

Autor: Mark Gosdek   Datum: 15.04.2014 5:07 Uhr

Kommentar: Die Vorfreude überwog, Noé. Immerhin haben wir unter der Woche ja trainiert.

Re: Vor dem Team

Autor: Mark Gosdek   Datum: 15.04.2014 5:14 Uhr

Kommentar: Hallo Axel, es ist wie bei allen Sportarten. Man trifft auf Gegner, die mehr oder minder gleich stark sind und will gewinnen. Der größte Gegner ist der eigene Kopf. Ein Bowlingspieltag dauert rund 6 bis 7 Stunden und die ganze Zeit spielen die Gedanken mit, entweder spielt man selber oder einer der Teamkollegen. Und das fatale beim Bowling: du siehst direkt den derzeitigen Spielstand auf dem Monitor. Er kann sich jederzeit ändern und damit gibt es kein Geplänkel. Nach jeder Saison sagte ich: Nie wieder! Und jeden August fing ich mit der Vorbereitung auf die neue Saison wieder an. Erst Ausdauertraining, dann Krafttraining, dann Technik und Meditation und Tai Chi für die mentale Stärke und das Gleichgewicht. (Hab trotzdem nur knapp über die Hälfte meiner Spiele gewonnen :-)) Mark

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