Draußen wird es langsam dunkel. Ich bin gerade auf dem Heimweg nach der Arbeit. Es ist Freitag und das Wochenende wartet auf mich. Um es mir heute Abend zuhause bequem machen zu können, mache ich Halt bei einem Kiosk. In meiner Einkaufstüte stapeln sich schon Bierdosen, Chipstüten und ein nettes Video. Ein leichter Wind bläst mir entgegen, als ich das Kiosk wieder verlasse. Gerade als ich auf den dunklen Bürgersteig treten will, hält mich die neuste Ausgabe des Playboys in einem Zeitungsständer zurück. Neugierig nehme ich sie zur Hand und beginne sie durchzublättern. Nichts weltbewegendes, fast sogar ermüdend. Jede Seite bietet so ziemlich das Gleiche. Noch dazu wird es vor dem kleinen Kiosk von Minute zu Minute dunkler. Das Licht der zirka 50 Meter entfernten Straßenlaterne schafft es nicht bis hierher und auch die spärliche Beleuchtung aus dem Inneren des Kiosk reicht nicht wirklich zum Lesen aus. Ich lege den Playboy kurz auf dem Zeitungsständer ab, gähne und strecke mich. Weil ich ohnehin schon ziemlich müde bin, gehe ich nicht in das Kiosk um mir die Zeitschrift besser ansehen zu können. Ich werde sowieso gleich nachhause gehen. Ich nehme die Plastiktüte mit meinen Einkäufen und schiebe sie aus dem Weg, dann nehme ich den Playboy wieder zur Hand. Ich überfliege die aufgeschlagene Seite. Auf der Doppelseite ist eine Bilderstrecke von einer hübschen Blondine abgedruckt, die sich nackt in einem Fischernetz verfangen hat. Kann sein, dass sie sich auch bloß darauf rekelt. Sie sieht aus wie alle Frauen im Playboy und ich schenke ihren Bildern nicht allzu viel Beachtung. Während meine Aufmerksamkeit nur noch eingeschränkt der Zeitschrift in meinen Händen gilt, schlage ich die nächste Seite auf. Es ist die Mitte der Zeitschrift, in der sich ein doppelseitiges Poster einer Frau befindet. Blinzelnd mustere ich es in der Dunkelheit der Straße und erwarte eigentlich ein Bild, das aussieht, wie all die anderen auch. Eine nackte Frau in einer interessanten Position, hübsch, aber mehr auch nicht. Stattdessen starre ich unverhohlen auf eine wunderschöne junge Frau im schwarzen Negligee, die mir bekannt vorkommt.
Ich glaube mir bleibt einen Augenblick lang die Luft weg, dann mache ich doch einen Satz in das hellere Kiosk, um das Bild besser sehen zu können. Mit großen Augen starre ich auf die Doppelseite. Nein, ich hätte wirklich kein Licht gebraucht, ich habe sie auch in der Dunkelheit erkannt. Ich würde sie unter 1000 Frauen wieder erkennen. Aber glauben kann ich es immer noch nicht richtig. Ihr Haar ist etwas länger als damals, ihre Kurven noch üppiger. Ich fühle mich, als ob mir das Blut in den Adern gefroren wäre. Da steht sie breitbeinig in wenig dünnen schwarzen Stoff gehüllt praktisch vor mir. Ich muss mit dem Kopf schütteln um damit klar zu kommen. Mit diesem gelungenen Aktfoto werden alle Erinnerungen an sie hinfällig, mein Engel ist im Playboy! Die Erinnerungen an dieses unschuldige Mädchen verwehen im Wind. Ich glaube ich muss mich setzen, bevor meine Beine unter meinem Gewicht noch nachgeben. Der Playboy klatscht auf den Boden unter mir, jene verhängnisvolle Doppelseite ist noch immer aufgeschlagen. Ich kann den Blick einfach nicht von ihr abwenden. Nein, nein, sie ist wirklich nicht mehr das unschuldige Mädchen aus der Schule.
In meinen Augen war sie reiner als ein Engel und nichts konnte diese Reinheit beflecken.Wenn ich ihre Kleider zu auffällig anstarrte, schob sie mir Briefchen unter dem Tisch zu. Ich war zu schüchtern und sah schnell weg. Die Briefchen bewahrte ich in einer Kiste zuhause auf. Bewahrte – bewahre. Ich dachte ja ich bin der einzige, dem sie diese Briefchen schreibt. Jetzt muss ich mich wohl fragen, wie vielen neben mir sie welche schrieb.
Ich sehe zu Boden und mustere ihre nackte braune Haut, auf der sich das zitternde Licht der Kioskbeleuchtung spiegelt und ziehe die Luft scharf ein. Der Ladenbesitzer mustert mich kritisch und überlegt sicher, ob er mich raus werfen soll. Ich ignoriere ihn demonstrativ. Ich kann auch gar nicht anders, der Playboy auf dem Boden nimmt meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Wenn man bedenkt, wie sie schon früher in ihren dünnen weichen Pullis auf mich wirkte, - sie jetzt nur in diesem Negligee zu sehen ist wirklich zu viel. Hah, mein Engel ist so gut wie nackt auf der Doppelseite im Playboy! Und ja, mit dieser Erkenntnis stirbt ein kleiner Teil in mir. Mein Engel, im Playboy. Meine Gedanken sind enthüllt. Jetzt bin ich der, der nackt da steht. Auch wenn sie mit ihrem Auftritt alle Erinnerungen, die ich an sie hatte, hinfällig werden lässt, hah, kann ich doch nicht leugnen, dass sie mir imponiert. Ich bücke mich und hebe den Playboy vom Boden auf, klappe ihn zu. Ich glaube ich werde die Ausgabe kaufen.


© GirlLulu


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