Bruno hat jetzt in einem kleinen Kreis erklärt, dass er, Bruno, nicht zu jenen gehöre, die bei jeder Gelegenheit, die sich böte, darüber jammerten, dass zu früheren Zeiten vieles, ja alles, besser gewesen sei als heute, beileibe nicht.

Auch wenn er an Jahren zunehme, was er durchaus hoffe, würde er der heutigen Zeit und ihren Problemen und Anfälligkeiten offen gegenüber stehen und sich nicht zurücksehnen. Allerdings, so gab Bruno zu verstehen, allerdings gäbe es eine Kleinigkeit, eine winzige nur, aber immerhin, die früher förderlicher geregelt war. Daraufhin habe Bruno sich in der Runde umgeschaut und darauf gewartet, dass man ihn frage, welche winzige Kleinigkeit denn zu früheren Zeiten besser gewesen sei als heute.

Als offensichtlich niemand wissen wollte, welcher Umstand zur heutigen Zeit schlechter bewertet werde als früher, ließ Bruno so unabsichtlich wie möglich das Wort »Schornsteinfeger« fallen. Und auf die Frage eines Umsitzenden, was Bruno mit »Schornsteinfeger« gemeint habe, ließ Bruno sich herab, eine Geschichte aus seiner Kindheit zu erzählen.

Früher, so Bruno, als er fünf oder sechs Jahre gezählt habe, sei der Schornsteinfeger, schwarz und rußig, mit allerlei schwerem Gerät ins Haus eingedrungen, habe sich an verschiedenen Brennstellen zu schaffen gemacht, habe mit seinen schwarzen Schuhen auf Teppichen, Dielenböden und Treppenstufen kleine schwarze Krümel hinterlassen, sei schließlich aufs Dach geklettert, habe dort eine mit Drahtstiften versehene schwere Kugel an einem langen Seil in den Schornstein fallen lassen und auf diese Weise Kratzgeräusche im ganzen Haus verursacht, sei schließlich in den Kellerraum gegangen und habe aus einer Tür in der Wand schwarzen Staub in einen Eimer gefüllt.

Das aber, so Bruno, sei noch nicht alles gewesen. Kurz bevor sich der Schornsteigfeger laut verabschiedet habe, sei er, Bruno, von seiner Mutter aufgefordert worden, den Schornsteinfeger einmal anzufassen, weil das, so Brunos Mutter, Glück und Segen bringe. Dieses habe der Schornsteinfeger freundlich zugelassen, habe noch einen guten Tag gewünscht und ein Haus hinterlassen, in dem es nun nach kaltem Metall und Ruß stank und daher über Stunden gelüftet werden musste.

Ob denn nun der Schornsteinfeger Glück gebracht habe, wollte einer der Umsitzenden lächelnd wissen. Und ob, gab Bruno zu verstehen. Am gleichen Tage noch seien alle Familienmitglieder, Nachbarn und auch fremde Menschen, die Bruno auf der Straße traf, sehr freundlich zu ihm gewesen. Unbekannte sogar hätten ihm auf die Schulter geklopft und alles Gute gewünscht. Und alle Menschen hätten gute Laune gehabt, so dass auch er, Bruno, schließlich eine eigene blendende Laune habe nicht mehr verhindern können. Diesen Umstand habe er zunächst nicht auf den Schornsteinfeger zurückgeführt. Am Nachmittag jedoch, als die Freundlichkeit der Menschen nicht nachließ, kamen ihm, Bruno, erste Zweifel und am Abend Gewissheit.

Von seiner Mutter gezwungen, sich wie immer vor dem Zubettgehen die Zähne zu putzen, habe er, wie sonst auch, in den Spiegel geschaut, um den riesigen Zahnpastaschaumberg vor seinem Mund zu bestaunen, als er habe feststellen müssen, dass sich auf seiner Nasenspitze ein schwarzer Punkt befand, den der Schornsteinfeger im Rahmen seiner Verabschiedung, so erinnerte sich Bruno, mit seinem rußigen Zeigefinger dort angebracht habe. Bruno erzählte weiterhin, dass er damals das Gesicht um diesen Punkt herum gewaschen habe, um, wie er seine Mutter informierte, auch am nächsten Tag noch vom geschenkten Glück zehren zu wollen.

Heutzutage, sagte Bruno zu den Umsitzenden, heutzutage käme der Schornsteinfeger in einem gepflegten Grau, rieche nach Rasierwasser, habe einen Aluminiumkoffer mit allerlei feinen Geräten dabei, ließe sich den Weg zur Gasheizung zeigen, messe dort verschiedene Dinge durch und verabschiede sich, ohne auch nur einen einzigen Glückspunkt auf der Nase oder sonstwo anzubringen, wozu er ja auch gar nicht mehr in der Lage sei.

Dieses, so gab Bruno zu verstehen, diese winzige Kleinigkeit sei früher sehr viel besser gewesen als heute. Heutzutage müsse man sich die gute Laune mit Mühe und Anstrengung selber machen.


© Rolf Kirsch


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Auf den Punkt kommt es an.




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