Manchmal schocken mich Stellen in Büchern. Wie in „Erebos“, mitten im Buch, als der Protagonist eine Webside öffnet und … „Keine gute Idee, Sarius.“. Also bei Schock- oder Gruselmomenten, meist. Aber auch wenn mir eine Situation nahe geht – oder ein Gedanke, oder eine Vorstellung. Wer kennt „Sophies Welt“? Darin findet Sophie gegen Ende ein Buch, das den Namen „Sophies Welt“ trägt – und ihre Geschichte erzählt, ihr Leben. An der Stelle unterbrach ich damals meine Lektüre, lehnte mich zurück und schloss kurz die Augen, um mir das Ganze vorzustellen. Dabei war es nicht die Tatsache, dass es in diesem Buch um Sophies eigenes Leben ging – oder, als ich den Gedankenfaden weiterspann, um meines – sondern die, dass diese Geschichte wahr wäre – und ohne Ende. Denn unsere eigenen Geschichten schreiben wir – jetzt. In jedem Jetzt der Welt.
Dann kam mir der Gedanke, was für ein Erfolg ein Autor hätte, der die Geschichte einer Person erzählt – die lebt. Also z.B. jede Woche eine Geschichte veröffentlichen, was die betreffende Person dieser getan hat.
Aber ich denke nicht, dass so etwas funktionieren würde. Zumindest nicht so, wie ich es schilderte, mit einem Autor und einem Text. Aber... was ist mit dem Fernsehen? Wenn man sich die Programme dieser Zeit so durchsieht, findet man einige „Soaps“, die anmuten, real zu sein. Dort werden Geschichten erzählt, in Folgen, und zwar Geschichten, die wahr scheinen sollen. Und dann gibt es noch solche Fernsehsendungen, in denen „echte Menschen“ in inszinierten Situationen reagieren – und die „Welt“ sieht zu – Zuhause vor dem Ferseher. Sendungen wie „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“ oder „Die strengsten Eltern der Welt“ sind deshalb so reizvoll und erfreuen sich deshalb so großer Beliebtheit, weil sie nicht geskriptet sind. Das scheinen wir sehen zu wollen – das echte Leben, ungeschnitten. Oder doch nicht? Wenn wir nämlich dies sehen wollten, sähen wir nicht fern – wir gingen hinaus in unser Leben. Was wir wollen, ist das Leben anderer – möglichst spannend, aber nicht gestellt! Und natürlich mit allem, woran sich Menschen erfreuen – inklusive menschlicher Verzweiflung, Lästerei vor der Kamera und der Möglichkeit, den Leuten das Leben schwerer zu machen oder unliebsame Komponente in Form von Spielern (nicht SCHAUspielern) hinauszuvoten – um mal auf das „Dschungelcamp“ anzusprechen. All das zeigt die unbequemsten Seiten der menschlichen Seele und wirft dabei ein nicht gerade gutes Licht auf diese meine Spezies – aber ist noch nicht bedenklich und auch nicht der Grund dieser Zeilen. Was mir aber so gar nicht recht gefallen will, sind die Abgründe, in die dieses Verlangen nach Unterhaltung d i e s e r Art führt. Vielleicht erinnert sich jemand an den kleinen Skandal, als eine Familie, die bei der „Supernanny“ mitmachte, sich an die (mehr oder weniger) Öffentlichkeit wandte mit dem Vorwurf, der Regisseur der Sendung habe ihren Hund auf dem Gewissen. Und zwar in der Weise, dass er meinte, es wäre das Richtige für die Geschichte, wenn der Hund stürbe – und weg war er. Der Hund. Meiner Meinung nach beunruhigend. Sehr. Denn -
Gedankenspiel:
Spannen wir doch diesen Gedanken weiter. Wenn es für die Einschaltquoten gut ist, darf also ein Hundeleben geopfert werden. Was ist das Nächste? Ich bin nicht so kühn, hier den Sprung auf ein Menschenleben zu machen, denn dort besteht doch schon ein gewisser Unterschied. Doch wie weit hergeholt wäre das eigentlich? Die Familie hat sicher um den Hund getrauert, auch wenn dessen Leben „nicht viel wert“ war. Um ein Menschenleben wäre auch getauert worden? Es würde nie zugelassen werden, dass ein Regisseur ein Menschenleben opfert?
Denken wir einmal nach. Es gibt Menschen in unserer Gesellschaft, um die nicht getrauert werden würde. Dies ist eine Tatsache, auch wenn es gegen jede Menschlichkeit und gegen jede „Nächstenliebe“ widerspricht. Aber auch dieses nicht umtrauerte Menschenleben könnte man nicht töten? Weil es ja noch Gesetz und Ordnung gibt hier bei uns, die das verbieten, die einschreiten, wo die Menschen der Gesellschaft zu sich zu bequem sind? Stimmt. Man könnte diese Menschen nicht töten. Nicht an diesem Punkt meines Gedankenspiels, zumindest.
An diesem Punkt gibt es allerdings andere Dinge, die geopfert werden würden. Haustiere natürlich – hey, das ist ja unsere Zeit – aber auch Besitztümer. „Für die Einschaltquoten wäre es sicher gut, wenn Sie, meine Liebe, im Zuge der Sendung ihre Halskette verlieren.“ Wie mag das weitergehen?
Oder, meine Liebe, ein Erdbeben zerstört ihr Haus! Vielleicht rettet sich Ihr Kind dann noch knapp aus den Trümmern, was ein Bild! – was sagen Sie? Gefährlich? Aber meine Liebe, Sie haben doch einen Vertrag unterschrieben! So läuft das Showbusiness. Alles für die Quoten!
Und dann ist es nur noch ein kleiner Sprung, davon, Leben „für die Quoten“ ernsthaft zu gefährden, dahin, diese Leben zu nehmen.
Es gibt da so einige Menschen, um sie es (in den Augen anderer Menschen) nicht Schade wäre. Nehmen wir doch einmal, nun, sagen wir, verurteilte Mörder. In den USA sind einige dieser Menschen „sowieso“ zum Tode verurteilt – im wahrsten Sinne des Wortes. Ob sie nun in einer sterilen Hinterkammer sterben oder vor der Kamera, was macht das schon für einen Unterschied? Dabei leisten sie im letzteren Falle sogar noch einen Beitrag zur Unterhaltung ihrer Mitmenschen. Ich weiß, das klingt radikal, brutal und dystopisch, aber nur zu dieser Zeit. Nur heute. Vielleicht ist es morgen schon gang und gäbe, so zu denken? Danach zu handeln?
Dann kommt natürlich das Gesetz wieder ins Spiel. Wenn man nämlich einem Menschen das Recht auf Leben – oder einen würdigen Tod – nimmt, fühlen sich die anderen gerne einmal angegriffen. Das würde man niemals durchbringen.
Wirklich?
Ich wünschte, es wäre anders, aber wie ich die Menschen so kenne, und wie ich daraus schließe, was mir die Weltgeschichte über den Gerechtigkeitssinn erzählt, fürchte ich, die Gesellschaft wäre sich einfach zu bequem.
Und das wissen auch politische Systeme. Sogar die Römer wussten das – Panem et circenses! Brot und Spiele!
Was heißt das heute? Gib dem sprechenden Teil der Gesellschaft Wohlstand und Unterhaltung, und er wird bereit sein, alle anderen Rechte dem unterzuordnen.

Nehmen wir dann noch den Faktor, den „Die strengsten Eltern der Welt“ so beliebt macht – dass diese „Delinquenten“ nicht wissen, was auf sie zukommt. Sie werden ausgesucht und müssen spielen, ohne zu wollen. Nimmt man all dies zusammen, kommt man auf ein Neues TV-Event, das in Zukunft DER Renner sein wird – und dieses Event erinnert mich dann stark an Suzanne Collins´ doch nicht so weit hergeholte Hungerspiele.

Also, ich für meinen Teil kann nur hoffen, dass es stimmt, was man immer zu mir sagt – dass ich eine unverbesserliche Schwarzseherin mit zu viel Fantasie bin. Wenn nicht – Happy Hungergames! And may the odds be ever in your favor!


© Stafanie T.


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