Über das Schöne zu schreiben ist wie eine glitschige Eidechse zu jagen. Immer wenn man glaubt, dass man jetzt zugreifen kann, flüchtet sie wieder und ist entschwunden. Man ist auf der Suche, wird geprägt von seiner Erziehung und den Medien, doch wenn es soweit ist, und wir glauben wahrer Schönheit gegenüber zu stehen, entpuppt sie sich als eine billige Maske oder eine verführerische Illusion. So versuchen wir genauer hinzusehen und was wir ausmachen, sind doch nur wieder die gewohnten Bilder, voller Makel und Enttäuschungen. Der heutige Mensch ist schon so voll von vorgegebenen Eindrücken aus Werbung, Filmen und Büchern, dass er nicht mehr zu erkennen vermag, wenn das Schöne, die Sehnsucht all seiner Träume, die Erfüllung seiner unausgesprochenen Gedanken, schon direkt sich um ihn herum hernieder schwebend auf seine Schultern setzt. Welch Tragödie ist es, das wir nicht mehr das denken, was wir vor unserer Geburt dachten. Wenn wir erblicken würden was wir sahen, als unseren Augen zum ersten Mal klar wurde, als wir mit geheimnisvollen Schatten sprachen als kleine Kinder wenn niemand da war, dann müssten wir heute nicht über wahre Schönheit nach denken. Wir wüssten von ihr und endlose Regen leuchtender Sterne könnten unsere Lider umspielen. Aber unsere Pupillen sind von der Flut verschmutzt, so müssen wir suchen.
Betrachten wir also das Schöne wie es ist. Um zu beschreiben was diese Schönheit ausmacht und in uns erzeugt, brauchen wie Worte und Sätze, die noch nicht geschaffen wurden. Daher ist hier alles nur Stückwerk. Aber sicher ist: alles ist schön. Wer das erblickt, verschließt seine Augen nicht vor dem Hässlichen und Schrecklichen, das zu jeder Schönheit gehört. Dem erweckt sich beim Schauen ein großes Ganzes. Erstaunlicherweise sieht man dieses Alles am besten im ganz Kleinen. Je länger unsere Augen fixieren, je tiefer wir dringen, je unscheinbarer und verschwindend gering das Betrachtende ist, desto schöner wird es. Nehmt die Elektronenmikroskope und schaut wohin ihr wollt. Fotografiert irgendetwas, ohne durch den Fokus zu schauen. Das Bild wird überlaufen vor Schönheit. Die Details in den Steinen, auf der Wasseroberfläche, im braunen Matsch, am Himmel werden euch den Atem rauben. Wenn euch das kalt lässt, schaut ihr nicht tief genug. Dann seid ihr schon zu verwöhnt und abgestumpft vom schnell geschnittenen Hollywood.
So gesehen entdecken wir im hässlichen das Zauberhafte. Dann wird selbst die offene Wunde oder der platt gefahrene Frosch zu einem Renaissancegemälde. Die oberflächliche Langeweile krönt das Bild noch. Der Makel, den wir umrunden mit unseren Augen, macht das scheinbar Perfekte erst vollkommen. Die Natur in ihrer Anmaßung, ihrem Hochmut und ihrer Eitelkeit bildet auf den Gräbern der gestorbenen Pflanzen und Lebewesen aus fantastischen Strukturen, aus dem kleinsten Kern, das Größte, sich selbst übertreffende Schöne nach. Türmt es unermüdlich auf, dabei den göttlichen Vorbildern folgend. So wird ein Ganzes voller Wunder bebildert, das selbst exakt genauso schön ist, wie die Summe seiner glänzenden Minischönheiten.
Wir wissen es genau. Unsere Seele weiß wohin sie das Auge lenken muss. Der Mensch wirft seinen Betrachtungen entsprechende Zutaten in den Farbtopf der begreiflichen Wirklichkeit. So gefällt ihm manches besser als anderes. Er entwickelt Vorlieben und Neigungen. Dieses Bevorzugen wird natürlich von außen gesteuert. So gibt es Charts, Versteigerungen und Bewertungssysteme. PR, Spots, Trailer und Pressemitteilungen haben an sich auch etwas Schönes, mit Schönheit haben sie rein gar nichts zu tun. Dennoch versucht auch der Mensch wie die Natur seine Ahnungen von der Unendlichkeit nachzubilden und erfindet die Kunst. Schon seit den Anfängen dichtet, malt, meißelt und komponiert er seine Empfindungen und Ängste. Verdichtet so geistliches zu fassbarem.
Da wo wir her kommen, gibt es keine Schönheit, oder vielmehr ist es die Schönheit an sich aus der wir immer wieder entsteigen. Das Schöne hier auf Erden ist nur eine Herabstufung im Vergleich zu diesem Ursprung. Nur eine Nachbildung, ein Spiegel unserer Sehnsüchte. Machen wir die Augen auf, werden wir in Vollkommenheit getaucht. Unsere Sinne saugen und sind süchtig nach all diesen Schönheiten. So schnell, wie sie dann aber auch genossen wurden, haben sie sich auch schon verflüchtigt. Der Moment verfliegt fast ungefühlt. Flüchtig verflüssigt sich die Erinnerung unseres Lebens. Schließlich schauen wir dann, ob wir sehen wollen oder nicht, dass Nichts hinter dem Vielen. Die Erscheinungen lösen sich auf in der Schönheit. Dann muss nicht mehr genossen werden. Dann hört die Jagd auf nach dem ultimativen Gefühl und nach dem Thrill des unbedingten Erfolgs. Dann sind wir einfach die Schönheit selber und kein Bild mehr von ihr. Versunken in den endlosen Weiten der Liebe.


© mobla - André Ritter


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