Ich stieg aus dem Bus und blinzelte in die Sonne. Es war ein lauer Frühlingstag und der leichte Wind spielte mit meinem schulterlangen Haar Wie jeden Tag ging ich durch den kleinen Park zur Arbeit. Seit sieben Jahren, seit meiner Ausbildung, folgte ich meinem morgendlichen Ritual: Am Teich verfütterte ich die letzten Reste meines Brötchens an die Enten und beobachtete die Tiere einen Moment, bevor ich zur Bank ging. Mein Arbeitsplatz lag in einer hübschen Jugendstil-Villa mit großen Bogenfenstern und einem ganz eigenen Charme. Seit Generationen war die Bank in Familienbesitz. Der alte Direktor hatte immer darauf bestanden, das Gebäude zu behalten, sich von den Großen abzuheben. Niemals wollte er in einem grauen Betonklotz sitzen.
Ich spürte einen kleinen Stich im Herzen, als meine Gedanken zu Jakob König wanderten. Der Seniordirektor war ein liebevoller, väterlicher Mann gewesen. Als er vor etwa einem Monat mit 85 Jahren verstarb, war es für uns alle ein großer Schock.
Trotz seines hohen Alters, war er jeden Tag in der Bank. Hatte seinen Angestellten und seinem Sohn Mario, dem Juniorchef, immer beiseite gestanden. Wie ein Familienvater hatte er uns alle und das Unternehmen geführt und geschützt. Ganz nach dem alten Motto der Bank: „Hier ist das Geld immer sicher!“
Als ich durch die große Eingangstür ging spürte ich, die vertrauensvolle Atmosphäre, die auch die Kunden so schätzten. Mit den großen, dunklen Möbeln wurde die alte Tradition der Bank unterstrichen. Gleichzeitig verliehen sie dem Raum Gemütlichkeit.
Die Bürotür, hinter den großen Schreibtischen, stand offen. Mario König saß vor dem PC. Er sah kurz auf, als er mich bemerkte, lächelte vorsichtig und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.
Ich konnte mir gut vorstellen, wie er sich fühlte. Seit dem Tod seines Vaters hatte Mario sich etwas zurückgezogen. Zwar führte er die Bank schon seit Jahren und auch sehr gut, doch sein Vater war immer sein Mentor gewesen. Außerdem sorgte er sich um seine Angestellten. Für uns alle war der Verlust schwer, auch für die Kunden.

Der Vormittag verlief wie immer. Einzahlungen, Abhebungen, Beratungen zu Krediten … Ich sprach mit einer älteren Dame über ihr Konto, als ich von der Tür her einen unterdrückten Schrei hörte. Einige Kunden stoben panisch auseinander, da sah ich den maskierten Mann.
Für einen Moment stockte mir der Atem. Wie versteinert starrte ich den Mann an. Mein Herz allerdings raste umso mehr. Der Kerl stand direkt vor der Tür und hielt eine Waffe in der Hand. ER war komplett in schwarz gekleidet und trug eine Skimaske über dem Kopf. Er kam langsam auf die Schreibtische zu, geradeaus weiter, immer, näher, genau auf mich!
Ich zuckte zusammen als er knapp einen Meter vor meinem Tisch stehen blieb. Für einen Augenblick sah er mir direkt ins Gesicht. Diese dunklen Augen, so entschlossen und verbissen. Ich hatte Angst, panische Angst!
Der Mann drehte sich im Kreis und fuchtelte mit der Waffe. „Alle auf den Boden“, schrie er. Niemand gab Wiederworte. „Und zwar so, dass ich euch sehen kann!“ ergänzte er und bedeutete uns Angestellten, hinter den Schreibtischen hervor zu kommen.
Ich löste mich nur schwer aus meiner Starre, stand auf und ging langsam um meinen Tisch herum. Ohne den Kerl aus den Augen zu lassen legte ich mich zu den anderen. Es war albern, doch solange ich ihn im Auge behielt, hatte ich das Gefühl die Kontrolle zu behalten.
Der Bankräuber richtete die Waffe weiter nach hinten in Richtung Büro. „Du auch, nach vorne, los!“ Mario trat zu uns nach vorne und legte sich mir gegenüber. Er war leichenblass und zitterte. Doch ein kurzes angedeutetes Lächeln sollte mir wohl Mut machen. Hatte er es noch geschafft, den stummen Alarm auszulösen?
Einige Kunden weinten, auch ich zitterte und meine Hände waren feucht. Ich wurde noch nervöser als der Kerl näher kam. Er zielte mit der Pistole direkt auf meinen Kopf. Ich versuchte die Panik zu unterdrücken, während er mich zwang aufzustehen, doch ganz gelang es mir nicht. Meine Knie wurden weich, unsanft wurde ich zu meinem Tisch zurück geschubst.
Im Augenwinkel sah ich, wie Mario versuchte an sein Handy zu kommen. Vorsichtig tastete er nach seiner Hosentasche. Doch da knallte auch schon ein Schuss. Erschrocken schrie ich auf, mein Herz schien auszusetzen. Die Kugel schlug knapp neben dem Direktor in den Boden. „Hey, keine Dummheiten!“ fauchte der Maskierte. Mario zuckte zusammen, machte aber keinen laut, er zitterte noch stärker. Wo blieb nur die Polizei? Gab es überhaupt Alarm?
„Was soll das? Seid ruhig!“, schrie der Kerl plötzlich durch den Raum. Er richtete die Waffe auf die Leute, alle schauten ihn verwirrt an. Auch ich fragte mich, was in ihn gefahren war. Es hatte doch niemand etwas gesagt. Doch dann hörte ich auch Geräusche. Erst hielt ich es für ein Rauschen, dann erkannte ich eine flüsternde Stimme.
„Nein“, flüsterte sie, „Nein, du bekommst hier nichts.“ Erstaunt sah ich mich um, ängstlich und hoffnungsvoll zugleich. Nichts zu sehen. Woher kam diese Stimme. Den Gesichtern nach zu urteilen, hörten die anderen es auch. „Hier ist das Geld immer sicher“, raunte es von den Wänden. Die Bilder aller alten Direktoren erzitterten.
Der Bankräuber sah sich verwirrt um. Er fing sich allerdings schnell, schüttelte den Kopf und wandte sich wieder mir zu. Abrupt wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als die Pistole wieder auf mein Gesicht zeigte. „Los jetzt, das Geld her“, schnauzte der Typ mich an. Ich gehorchte. Meine schweißnassen Hände zitterten, während ich meine Geldschublade öffnete und ihm den Inhalt reichte. Im selben Momentflog eine schwere Vase auf den Mann zu und zerschellte kurz vor seinen Füßen. Er zuckte sichtbar zusammen, schnappte aber noch schnell nach dem Geld, bevor er sich hektisch umsah.
Er beruhigte sich zwar schnell, doch in seinen Augen erkannte ich eine beginnende Panik. Auch mir war allerdings leicht mulmig zu Mute. Was ging hier vor? Es schien als hätten wir einen unsichtbaren Beschützer, doch wie war das möglich?
Der Kerl schubste mich Richtung Tresorraum. Brutal spürte ich seine Hand im Rücken. Ich roch seinen Schweiß, so nah kam er mir, ich schauderte. Doch ich spürte, dass er unsicher wurde, denn auch seine Hand zitterte leicht. Aber er führte seinen Weg fort.
Gerade als wir den Tresorraum erreichten, schlugen sämtliche Türen mit einem lauten Knall zu. Wieder hörten wir die flüsternde Stimme, sie schien durch den Raum zu wandern. „Niemand raubt meine Bank aus“. Die Stimme schien näher zu kommen. „Verschwinde!“, rief sie.
Jetzt geriet der Typ wirklich in Panik. Er zitterte am ganzen Körper und schaute suchen herum. Alle lagen wie zuvor auf dem Boden, keiner rührte sich. Kunden, wie Angestellte, waren verängstigt, doch hier und da zeigte sich ein Hauch von Hoffnung auf den Gesichtern ab.
Mit fahrigen Bewegungen versuchte der Bankräuber noch einmal die Tresortür zu erreichen. Die Deckenlampen flackerten, als er die Türklinke berührte. Die Portraits neben der Tür fielen knapp an ihm vorbei zu Boden. Der Kerl schrie auf, hektisch stolperte er rückwärts. Er drehte sich im Kreis und fuchtelte wild mit der Waffe. Ein ängstliches Murmeln ging durch die Reihen.
Plötzlich schien der Räuber die Kontrolle über seine Hände zu verlieren. Die Pistole löste sich aus seinen Fingern. Sie schwebte in der Luft und richtete sich gegen ihren Besitzer. Das war zu viel für den zuvor so ruppigen Mann. Er blickte in den Lauf seiner eigenen Waffe und begann zu wimmern. Zitternd und schluchzend sank er zu Boden. Mit angezogenen Beinen, die Arme um die Knie geschlungen saß er dort. Seine Pistole schwebte über ihm.

Nach einer kleinen Ewigkeit wie es mir schien, stürmten sechs Polizisten durch die Haupttür. Der Alarm hatte also funktioniert. Die schwebende Waffe fiel im selben Moment auf das Parkett. Der zitternde Bankräuber löste sich langsam aus seiner Starre. Mit voran gestreckten Händen ging er auf die Polizisten zu. „Nehmen sie mich mit. Verhaften sie mich. Bitte, nehmen sie mich mit“, flehte er.
Die Polizisten sahen sich erstaunt an. Einer von ihnen legte dem Mann Handschellen an. Die Anderen halfen den Kunden und Angestellten auf die Beine. Ich beobachtete das Geschehen benommen, noch immer war ich unsicher, was eigentlich passiert war.
Da erschien eine helle, durchscheinende Gestalt in der Mitte des Raumes. Jakob König blickte lächelnd in die Runde. „ In dieser Bank ist das Geld immer sicher, seit Generationen. Daran wird kein Räuber etwas ändern“, lächelnd schaute er uns an. Langsam blickte er jedem Kunden in die Augen. Er ging auf jeden einzelnen Mitarbeiter zu und blieb vor seinem Sohn stehen. Beruhigend legte er Mario die Hand auf die Schulter. „Ich bin stolz auf dich. Du bist nicht allein!“.
Mit diesen Worten verschwand der schützende Geist der Bank. Ich begriff noch immer nicht ganz, was ich erlebt hatte. Doch eines wusste ich ganz genau: In dieser Bank würde weder dem Geld, noch Kunden oder Angestellten, jemals etwas passieren!


© Carina Blitz


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Kommentare zu "Bankraub mit Hindernissen"

Re: Bankraub mit Hindernissen

Autor: noé   Datum: 06.05.2014 0:58 Uhr

Kommentar: Eine wirklich schöne Schauergeschichte!
noé

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