17. Juli 2021

Es ist ruhig. Die Sonne fällt durch die großen Kellerfenster auf die dunkelgrauen Steinfliesen. Dicke Natursteine bilden hohe Steinstufen, die aus einem Terrarium, genau genommen mehr eine tiefer liegende Veranda, führen. Der Boden voller kleiner Steine. Oberhalb Gäste auf der breiten Hotelterrasse, ein Rasen, ein Park. Es ist zu warm draußen, das mir die Ohren brennen davon.
Sobald ich diesen Raum verlasse, betrete ich das Gemisch von Geräuschen, Leuten und Eindrücken, Wärme, und teures Mobiliar. Da darf kein Haar landen. Maske anziehen. Nicht die zahlenden Gäste stören. Eine Art Öffentlichkeit, die, obwohl es gemäßigt ist, das Durcheinander in meinem Kopf als Realität reflektiert.
Verworren wie verknotete Kabel laufen meine Gedanken. Ich will alles regeln. Alle Probleme lösen. Aber die Tiere und Nachbarn gackern wie eine aufgeregte Meute durcheinander.
Scharfkantig und zugleich rund und weich ist die Sehnsucht in meinem Herz. Ich will in meine Welt, die der Fantasien und Träume, zu ihr, meiner Herrin.
Die Wirklichkeit schlägt heftig zu. Aber sie erschafft kein schönen Schmerz, wie der um meinem Hals, sondern Ungewissheit und Bedrängnis. Sie führt vor, und verlangt normale Verhaltensweisen, gesellschaftliche Parameter die mit Selbstverständlichkeit zu befolgen sind. Obendrauf noch, befinden wir uns in einer Notlage und sind quasi geflohen. Weg von Wasser und Zerstörung, riesigen Müllbergen, umgeworfenen Autos und verschlammten Straßen. Über die Grenze.

Sich so weit im Abseits, davon weg in einer Idylle zu befinden, ist seltsam neblig. Ich… bin mir unsicher, womöglich eben weil es wie ein Trugbild scheint. Ist es Glück? Wie lange wird es halten? Ich komme nicht umhin mich zu fragen, welchen Preis ich dafür zahlen muss. In erster Linie scheint es, etwas von Realität und Gewimmel erdrückt zu werden. Und dann ist es auch noch die Art Realität, welche Normalos für entspannt und Urlaub halten würden.
Der Rasen macht Flecken auf meine Hose. Ist es kleinlich daran zu denken, nur weil ich gerade kaum Kleidung habe? Wähne ich mich im „Luxus“, wo andere alles verloren haben? Ihr Haus, vielleicht sogar ihr Leben.
Aber ich habe Angst, das es noch mehr ist, das ich verliere. Ich will nichts aufgeben. Bin nicht mehr dort, wo gelbbraune Bagger drehen und graue Menschen mit Schippen herumlaufen. Manch einer mit hartem Zug um den Mund. Die Häuser sind unbewohnbar. Die Stimmung ist so tief und so sehr im Ausnahmezustand, das viele Regeln außer Kraft scheinen. Polizei am zerstörten Supermarkt. Arbeiter und Feuerwehr unermüdlich im Einsatz. Niemanden kümmert es, wo man sein heil gebliebenes Auto parkt.
Jetzt sehe ich nicht mehr, was noch passiert. Ich hoffe das alles wie zuvor sein kann… wenn etwas Zeit vergangen ist.

Schmerz und Fantasie, Nähe die unvorstellbar und unerklärlich ist. Ich vermisse sie so sehr. Meine rätselhafte und einzigartige Herrin, die so nahe sein kann, obgleich sie weit weg ist. Sie ist ein immens stolzes Wesen, die eine Frau, welche mir auch dann den Atem raubt, wenn ich schweige. Weil ich keine Worte mehr finde ihr zu sagen, wie ich sie wahrnehme und was ich dabei empfinde, ihr Hund sein zu dürfen.
Auch wenn das alles übertrieben klingen mag, so ist es doch das Gefühlvollste und Schönste was ich habe.

Zunehmend ist es schwerer, nicht wirres Zeug zu schreiben. Ich muss zurück in jene Welt, versuche noch, mich zu kontrollieren. Dennoch macht es mich auf Dauer kaputt unter vielen Menschen zu sein, ohne Ruhe und ohne Plan. Womöglich zählt es in ein paar Tagen nicht mehr, dass ich ein Kurzschluss kriege, weil etwas gegen meine Bedürfnisse geht.

Was ich gesehen habe, war wohl noch harmlos gegen das, was andere erlebt haben. Vergessen werde ich es dennoch nicht. Niemand wird sich darum kümmern, wie es einem Großteil der Leute auf die Psyche schlägt.
Sich ein Kopf zu machen, über das Leid und die Sorgen anderer, wenn ich nichts für sie tun kann, erscheint mir nicht sinnvoll. (Die Hilfe eines eigenartig bis verwirrt wirkenden Gruftis, ist bei manch engstirnigen oder systemtreuen Hilfskräften wohl auch nicht erwünscht.)
Noch mehr als vorher steht die Leere vor mir. Wie soll ich alles schaffen, wenn ich schon im Normalfall kaum oder nicht konnte, was die Realität verlangt? Und wie kann ich über längere Zeit in der brodelnden Menge leben, ohne das es Abzüge und Konsequenzen hat. Auch im geistigen Bereich. Sich nicht wohlzufühlen klingt sehr harmlos. Für manche Menschen aber, ist schon das Grund für Hilflosigkeit, Grund sich gegen andere zu richten.

Keine Sonderbehandlung. Schlussendlich ist vieles egal, wenn es um Grundsätzliches und Lebenswichtiges geht.
Dennoch frage ich, vor allem im Blick auf jene, welche sich nicht adäquat äußern können, wo die Relativität bleiben wird. Selbst wenn es um Existenzen geht, darf nicht vergessen werden, das manche Zustände nicht von Dauer sein können, ohne psychologischen und körperlichen Schaden zu hinterlassen. Und das dieser Zeitraum kürzer ist, als man annimmt. Die Behörden arbeiten zu langsam. Bürokratie erschwert und sollte jetzt keine Rolle spielen. Wenn ich zurückkehre über die Grenze, wird sie das jedoch.


© D.M.


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Kommentare zu "Über die Grenze"

Re: Über die Grenze

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 20.07.2021 20:30 Uhr

Kommentar: Hallo D.M.,
ich hing an deinen Zeilen ... konnte nicht loslassen, eine gewisse Sucht, beklemmend und doch befreiend, zustimmend und doch kopfschüttelnd, wie ein Impftermin, aber dann dieses gute Gefühl ...
Sehr gern gelesen.
Liebe Grüße Wolfgang

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