„Junger Mann zum Mitfahren gesucht!“ stand auf einem Pappschild an der Kasse des Fahrgeschäfts. Es handelte sich um einen Schaustellerbetrieb mit bunten Autoscootern, die elektronisch zu dröhnender Popmusik auf einer spiegelnden Fläche bewegt wurden, nachdem man einen kleinen Plastik-Chip in einen Schlitz vorne am Boxauto gesteckt hatte.

Das Autodrom war in jedem Vergnügungspark ein Hauptanziehungspunkt. Dort lungerten die ganzen pubertierenden kleinen Mädchen herum und warteten darauf, zu einer Fahrt eingeladen zu werden. Sie himmelten die Halbwüchsigen an, die in rosa Hemden mit der Aufschrift „Chips“ auf der spiegelnden Fläche herumrannten und übriggebliebene Boxautos am Rand einparkten.

„Was für ein verdammter Kindergarten!“ murrte ein glatzköpfiger Mann mit einem gewaltigen Schnauzbart. In der Hand trug er ein kleines Passbild, das er jedem der halbwüchsigen Mitarbeiter unter die Nase hielt. „Habt ihr den schon mal gesehen?“ Allgemeines Kopfschütteln. Auch die Frau an der Kasse schüttelte ihr graues Haupt, nachdem sie einen kurzen Blick auf das Bild geworfen hatte. „Detektei?“ fragte sie zwischen zwei Musiktiteln. Der Glatzkopf nickte resigniert. Dann schlurfte er zu einem in der Nähe stehenden Wohnwagen und klopfte. Dort hauste der Besitzer des Fahrgeschäfts. Der Detektiv quetschte sich auf einen Klappstuhl.

„Marco Wie?“ fragte der Schausteller. „Marco Hagmüller,“ raunzte der Schnauzbart.

„Nie gehört. Die Jungs schwirren hier rein und raus wie die Fliegen im Clo. Keiner bleibt länger als zwei Stationen. Die meisten haben nicht mal einen Personalausweis. Ich zahl ihnen Lohn für Auf- und Abbau bar auf die Hand, und schon sind sie mit dem Geld wieder weg.“ „Lohnsteuerkarte?“ „Fordere ich immer sofort. Wird mir aber mal selten eine gebracht.“

Der Detektiv schlenderte mit hängenden Schultern über den Rummelplatz. Am anderen Ende gab es noch einen Betrieb mit Autoscootern.

Was wohl tatsächlich mit Marco geschehen war? Die Anzahl der vermissten Jungs in der Gegend erhöhte sich jedes Jahr beträchtlich. Noch nie hatte jemand die Gesichter auf den Fotos erkannt, die der Detektiv herumzeigte. Und die Umfrage auf den Festgeländen war auch nur so eine vage Idee von ihm gewesen. Wäre doch die ideale Erstkontaktstelle bei Organhandel oder ähnlichen dunklen Geschäften. Die Grausamkeit profitgieriger Mitmenschen kannte in der Zwischenzeit wohl keine Grenzen mehr.

Jetzt ging er einfach dem Krach nach, der durch die dröhnende Popmusik verursacht wurde. Ja, genau, da fuhren sie auch schon durch die Gegend, die bunten Boxautos mit den kreischenden kleinen Mädchen. Und an der Kasse hing natürlich das obligatorsche Schild „Junger Mann zum Mitfahren gesucht!“


© bruddlsupp


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Wo setzt man bei der Suche nach Vermissten an?

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