6. Dezember in einer kleinen Stadt an der Adria. Schon am Vormittag treffen sich die Nachbarinnen des Hauses im Keller. Es wird geredet, gescherzt und gelacht und… zwischen den ganzen alten Pappkartons, in der hintersten Ecke, finden Sie dann auch das Teil ihrer Begierde. Schlank steht er da, eingepackt in einer schon etwas ramponierten Plastikhülle, aber immer noch schön grün: der Tannenbaum. Rasch unter den Arm geklemmt und dann nach oben ins Wohnzimmer. Hülle ab und klapp, klapp, die Zweige nach unten gebogen – fertig. Der italienische Weihnachtsbaum. Da steht er nun in seiner ganzen Plastikpracht und wartet noch auf die bunt umlaufenden Lichterketten und weiteres Gedöns. So geschmückt leuchtet er nun bis zum 6. Januar. Hässlich – für mich.
„Komm, lass uns dieses Jahr mal einen echten Tannenbaum kaufen. Dann duftet auch die Wohnung so schön weihnachtlich“, rege ich an.
Aber meine Freundin winkt ab. „Der Tannenbaum ist doch echt. Echt für Weihnachten. Oder meinst du etwa eine Tanne aus dem Wald?“
„Ja, genau die meine ich.“
„Aber hier geht niemand in den Wald und holt sich einen Baum. Die sind ja auch viel zu groß“, kontert meine Freundin.
„Na ja, wir müssen ja nicht in den Wald. Es gibt doch bestimmt Weihnachtsbaumverkäufer.“
Ich werde irritiert angeschaut. „Weihnachtsbaumverkäufer? Nie gehört. Wir haben unseren vor Jahren im Baumarkt gekauft. Wo gibt es denn Leute, die nur Weihnachtsbäume verkaufen?“
„Also“, versuche ich zu erklären, „ das sind so eingezäunte Flächen, die vor Weihnachten hergerichtet werden und da werden dann echte Natur-Tannenbäume verkauft. Das muss es doch hier auch geben.“
„Nein. So was habe ich noch nie gesehen. Die Bäume würde aber auch keiner kaufen. Da hast du ja zu Weihnachten gar keine Nadeln mehr dran. Ha ha ha.“ Sehr witzig.

Am nächsten Morgen fahre ich los und begebe mich auf die Suche nach einem Tannenbaum. In der ganzen Stadt – kein einziger Weihnachtsbaumstand. Also ab in die großen Gärtnereien. Auch hier nur Kopfschütteln. Alpenveilchen kann ich kaufen. Tausende und Abertausende, aber keinen Baum. Das kann doch gar nicht sein.
„Dann nehme ich ein großes Bund Tanne“, sage ich schließlich zu einer Verkäuferin, „aber echte Tanne, nicht aus Plastik.“
„Echte Tanne haben wir nicht, aber warten sie mal…“ sie rennt an mit vorbei nach draußen und ruft einem Gärtner, der gerade mit einer Kettensäge hantiert, zu: „He, Pepe, die Signora möchte echte Tanne. Schneid‘ mal was ab!“
Der Mann lässt seine Säge ein paarmal durch eine Riesentanne gleiten und schon habe ich einen großen Strauß Tanne. Bezahlung? Fehlanzeige. „Ist doch ohnehin nur Müll“, klärt er mich auf. Aha.
Entschlossen setze ich meine Suche fort und werde in der nächst größeren Stadt in einem Obi-Markt fündig. Hier gibt es – nun ja – sagen wir mal lieber: kleine Tannenbäumchen. So circa einen Meter hoch, für sechs Euro fünfzig. Die sind zwar eigentlich eher unschön, ich kaufe aber trotzdem, weil sie gut duften.
Voller Stolz präsentiere ich meinen Natur-Tannenbaum, ernte jedoch nur Naserümpfen und Gelächter. „Und der soll bis Weihnachten grün bleiben? Wie willst du das anstellen?“

Ach, sollen doch alle reden. Für die nächsten Tage kommt der Baum noch auf den Balkon. In der Zwischenzeit backe ich voller Hingabe Lebkuchenfiguren. Endlich, am 23. Dezember, hole ich den Baum ins Wohnzimmer. Sieht doch noch ganz gut aus. Aufgestellt und dann die handwerklich wertvollen Teile drangehängt. Super. Gefällt mir gut. Das Zimmer duftet nach Tanne und Lebkuchen. Aber nur bis zum nächsten Morgen. Mit erschrecken stellte ich am 24. Dezember fest, dass der Baum bereits fünfzig Prozent seiner Nadeln eingebüßt hat. Die Heizungsluft hat dem Bäumlein arg zugesetzt. Ich verbiete nun dem Rest der Familie auch nur in die Nähe des Baumes zu gehen, weil schon der Lufthauch des Vorbeigehens wieder Nadeln rieseln ließ. Heiligabend ist der Baum eine Krücke. Einsam, ohne Grün, hängen meine schönen Lebkuchenteilchen an den trockenen, kahlen Ästen.
„Super Baum“, sagt meine Freundin schmunzelnd, „und so natürlich. Sehen die in Deutschland alle so aus?“
Ich sage nichts und verschwinde in die Küche.


© castagnabella


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