Endlich Wochenende! Ralph ist zwar nur Künstler, „nur“ im Sinne von „er hat immer frei“, aber auch er hat viel gearbeitet – wenn ich dieses Wort einmal dafür missbrauchen darf. Prostituiert hat er sich jedenfalls nicht und einem oder zwei Herrn gedient hat er auch nicht. Nur küssen hat er sich lassen, von unzähligen Musen.

Als er erwacht liegt seine Frau Gabi neben ihm. Das ist nicht grundsätzlich so! Sie hat 2 Liebhaber und ist des Öfteren unterwegs. Jetzt ist er gespannt wie ihr Blick wohl aussehen mag, wenn sie die Augen öffnet. Davon wird viel abhängen! Er kennt sie recht genau und oft kann er schon auf Anhieb sagen, wie der Tag werden wird. Manche Tage schwankt sie aber auch in ihren Gefühlen.

Ihre Augen sind blau – und scheinbar friedlich. Zufrieden blickt sie ihn an. „Guten Morgen, mein Schatz“ sagt sie. Aber das hat nicht viel zu bedeuten. Denn jetzt gilt es das Frühstück zuzubereiten! „Ein Frühstück zubereiten – was kann daran schon schwierig sein?“ würde jetzt vielleicht mancher sagen. Doch das wäre voreilig, denn erstens geht es in diesem Fall um die Wünsche einer Frau, zweitens um eine sehr penible Frau, was männliche Gesten (oder Pflichten) angeht und drittens darf es ja nicht ans Bett gebracht werden! Auf dem Wohnzimmertisch ist es sorgsam zu arrangieren!

Ralph macht sich ans Werk. Der Samstag ist ihm heilig, denn er ist lang! Es dauert eine Weile bis man wieder zu Bett gehen muss. Und der Kühlschrank ist prall gefüllt (zum Glück). Die Auswahl ist groß. Da ist es nicht ganz einfach das Richtige zu präsentieren.

Gabi hat, nach dem Aufstehen, ein ganz eigenes Programm. Zuerst braucht sie ein kleines Frühstück mit sich alleine. Da darf ihr keiner dazwischenfunken! Das kleine Frühstück, vor dem eigentlichen Frühstück besteht aus einem sorgsam kreierten Cappucino und einer Zigarette. Sie serviert es sich selbst auf dem verglasten Balkon, wo es im Winter sehr kühl und im Sommer recht heiß ist. Aber was sein muss, muss sein. Sie kann jetzt noch keine dummen Bemerkungen ertragen! Sie muss sich sammeln…

Ihr Partner ist inzwischen beschäftigt die Eier zu kochen, Teller aus dem Küchenschrank zu holen und sie auf dem Wohnzimmertisch zu drapieren – nach vorgegebenem Muster versteht sich. Links ein Teller für die Speisen, daneben eine dreieckig gefaltete Serviette, mit dem darauf liegenden Besteck. Rechts dann die kleine Teetasse mit Unterteller. Noch weiter rechts daneben der Eierbecher, nebst Inhalt, samt dem dazugehörigen Eierlöffel aus Plastik. Ein anderes Material geht hierbei gar nicht, denn das würde den Geschmack nur unnötig verfälschen. Auf Ralphs Seite ist die Anordnung spiegelverkehrt, denn er war als Kind Linkshänder und er führt die Tasse immer noch mit der linken Hand zum Mund. So weit, so gut. Oder nicht?

Schwierig wird es nun mit der Auswahl der Wurst- und Käsesorten! Keiner von beiden ist Vegetarier. Auch das Bereitstellen der Brotsorten hat seine Tücken. Wie viele Scheiben Mischbrot? Semmeln? Vollkornbrot? Alles befindet sich im Haus, doch was zu viel davon ist, wird, bei Nichtgenuss weggeworfen. Ein Zuwenig von einer Sorte könnte Proteste bedeuten.

Obwohl Ralph auch zu dieser frühen Stunde schon kreativen Ideen nachhängt, oder an seinen Philosophien feilt, bemüht er sich allen Anforderungen gerecht zu werden. Inzwischen steht die Hausherrin immer noch breitbeinig, rauchend auf dem verglasten Balkon, die linke Hand in die Hüfte gestützt wie ein halbnackter Bauarbeiter auf dem Gerüst. Den Bauch hat sie dominant vorgestreckt, so, als wolle sie eine ganz besondere Präsenz damit beweisen.

Doch nun ist Frühstück! Gabi nähert sich dem Tisch und prüft ihn erst einmal eingehend, bevor sie sich setzen will. Alles ist falsch aufgestellt! Das Besteck liegt nicht ordentlich auf der Serviette. Die Brotschale ist zu weit links angeordnet, der Käse steht nicht in der Mitte, das Ei gehört nicht vor den Teller, sondern rechts daneben, der Eierköpfer fehlt gänzlich, die Marmelade darf sich nicht am Tischrand befinden und der Tee ist bereits nicht mehr heiß genug!

Unmut kommt auf! Zuerst ordnet sie alles in der gewünschten Reihenfolge um (es ist jedes Wochenende das Gleiche, obwohl Ralph wahrscheinlich auch noch denkt er hätte es vorigen Samstag so arrangiert wie sie es heute haben möchte), dann eilt sie zur Mikrowelle in der Küche um den Tee wieder zum Glühen zu bringen.

Als die erforderlichen Maßnahmen erfolgt sind, sitzt sie endlich auf ihrem Stuhl. Ihre Mundwinkel hängen schon deutlich und ihre Haut ist auch ein wenig großporiger geworden. Wird sie gleich blass werden? Nein, sie fängt sich wieder. Ein Anflug von Zufriedenheit leuchtet in ihren Gesichtszügen auf, doch jetzt muss sie husten. Das kommt aber nicht vom Rauchen, denn sie ist, ihrer allein maßgeblichen Meinung nach, seit ein paar Jahren immer leicht erkältet. Sie hustet, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, quer über den Tisch!

Ralph versucht die Situation mit einem unverfänglichen Tischgespräch aufzulockern. „Hast du heute Morgen schon den Lokalkabarettisten im Radio gehört?“ Gabi ist jedoch gerade auf ihr Essen konzentriert. Ihr Mund steht offen, ihre leicht vorstehende Zungenspitze zeugt von höchster Konzentration! Das Brot muss gleichmäßig mit Butter beschmiert werden! Das Radio läuft auch grade. Auf ganz leise gestellt, ist nichts zu verstehen. Wahrscheinlich sind momentan Nachrichten. Laut darf das Radio nur beim Putzen gestellt werden und zwar so laut, daß auch die Nachbarn davon gestört werden, denn da muss Musik die schlechte Laune übertönen, die jedesmal beim Reinemachen aufkommt.

Gabi reagiert zunächst überhaupt nicht, dann schaut sie verärgert auf. „Ich kann mich zu so früher Stunde nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren und nachdenken will ich jetzt schon gar nicht! Frag mich das später, ich habe jetzt keine Lust mich mit spitzfindigen Gedanken zu befassen. Ich muss mich erholen. Ich habe die ganze Woche gearbeitet!“ Das ist ein dezenter Hinweis darauf, daß Ralph mit Faulenzen beschäftigt war und dafür auch noch bewundert wurde. Das Leben war und ist ungerecht! Aber sie liebt ihn ja auch noch. Selber schuld!

Ihr Unmut überträgt sich auf den Teelöffel, der nun so vehement in seiner duftenden Flüssigkeit rührt, daß man meinen könnte eine glockenbewehrte Kuhherde würde auf die Weide getrieben, es scheppert und klingelt, daß es eine wahre Freude ist. Auch ihr Kauen ist nicht zu überhören, ebenso wenig, wie der heftige Schluckvorgang, den nun das Teetrinken erfordert. Schalurg, schalurg, schalurg! Danach erfolgt das Übliche „Ump“, oder auch ein „Zischsch“, je nach Laune und Gemütsverfassung. Dabei schaut sie allerdings betreten, denn sie erinnert sich natürlich an Ralphs Vorschläge, eine weniger geräuschvolle Frühstücksverköstigung zu üben. Zweimal hatte sie es auch versucht. Zweimal war sie sehr schnell wieder in ihre alten Gewohnheiten zurückgefallen. Es ging also nicht! Dafür spreizte sie jetzt jedoch elegant den kleinen Finger, beim Führen der Tasse an den Mund ab um zu demonstrieren, daß sie eben doch eine Dame sei!

Die erste Morgenkorrespondenz mit einem ihrer Liebhaber steht nun an. „Möchtest du zuerst ins Bad gehen“, sagt sie betont freundlich zu Ralph, meint aber, im Klartext: „Geh du zuerst ins Bad, ich habe noch etwas zu erledigen!“ Das „Bitte“ lässt sie, wie gewöhnlich, weg. Wer so lange mit jemandem zusammen ist, der hat es nicht mehr nötig überflüssige Floskeln anzuwenden, meint sie. Das hat sie schon öfter ausdrücklich betont. Man könne verlangen, daß der Partner auch so weiß, was gemeint ist! Damit verabschiedet sie sich ins Arbeitszimmer um sich an den Internet-Computer zu begeben, denn es gilt Verabredungen zu treffen!

Ein Samstag im Paradies

© Alf Glocker


© Alf Glocker


2 Lesern gefällt dieser Text.


Unregistrierter Besucher

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Ein Samstag im Paradies"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Ein Samstag im Paradies"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.