Als Kim nach diesem ziemlich anstrengenden Arbeitstag und dem anschließenden nervigen Einkaufen nach Hause kam, hörte er den Fernseher schon, als er die Wohnungstür aufschloß.

Bastian war also noch da. Oder er hatte vergessen, den Fernseher auszumachen. Kim vermutete aber eher Ersteres und war deswegen nicht überrascht, als er mit einem ,Hallo' begrüßt wurde, als er in den Wohnungsflur trat und die Tür hinter sich in Schloß zog.

Nachdem er seine Jacke ausgezogen und aufgehängt hatte, ging er ins Wohnzimmer und da saß Bastian immer noch auf der Couch in die Decke gewickelt und sah genau so fertig aus, wie gestern. Nur der Wodka fehlte. Er lächelte Kim ein wenig schuldbewußt an. "Ist doch okay, dass ich hiergeblieben bin?"

"Na klar," antwortete Kim, ohne nachzudenken. Wäre er in der gleichen Situation gewesen wie Bastian, dann wäre er auch geblieben.

"Ich konnt einfach nicht nach Hause gehen", redete Bastian leise weiter. "Ich muss auch so schon die ganze Zeit drüber nachdenken und zuhause wäre es auf jeden Fall doppelt so schlimm."
Kim lächelte ihn an. "Bleib, so lange zu willst", sagte er und ging dann in die Küche, um die Einkäufe einzuräumen. Und darauf zu verzichten, die eine Tiefkühlpizza, die er sich gekauft hatte, in den Ofen zu schieben, sondern ein richtiges Abendessen für ihn und Bastian zu kochen.

Sie hatten sich beide nie ganz aus den Augen verloren, aber die Zeit, die sie zusammen verbrachten, hatte sich deutlich reduziert. Sie sahen sich zwar fast jedes Wochenende, aber früher, als sie noch zusammen zur Schule gegangen waren, hatten sie jeden Tag zusammen rumgehangen. Was sich dann natürlich geändert hatte, als Bastian fürs Studium weggezogen war. Als er nach vier Jahren wiedergekommen war, hatte Kim seine Ausbildung beendet und war von seinen Eltern, die immer noch im zweiten Haus nach Bastians Hof wohnten, ins Dorf gezogen und da sie jetzt beide ihre Arbeit hatten, hatte sich das mit dem täglichen Sehen endgültig erledigt.

Bis jetzt. Denn da die Trennung Bastian so mitgenommen hatte und er an nichts anderes denken konnte, wollte er damit absolut nicht alleine sein. Und Kim dem er unglaublich Leid tat, konnte das natürlich mehr als gut verstehen. Schließlich haderte er ja auch oft genug mit seinen Gedanken. Weswegen er auch kein Problem hatte, nach der Arbeit zwei Haltestellen weiter mit dem Bus zu fahren, mit Bastian vor dem Fernseher zu sitzen und am nächsten Morgen zwei Haltestellen mehr zur Arbeit zu fahren.

Oder Bastian blieb die Nacht über bei ihm und Kim bemühte seine mickrigen Kochkünste und seine wenigen Zutaten, um für sie beide ein halbwegs schmackhaftes Abendessen zu kochen.

Aber es blieb nicht nur dabei, dass der eine bei dem anderen auf dem Sofa schlief. Um sich abzulenken, entwickelte Bastian einige neue Interessen. Wie zum Beispiel Joggen. Kim war zwar nicht begeistert, nach der Arbeit noch Sportklamotten anzuziehen und für eine Stunde durch den Wald zu keuchen, aber wieder tat er es Bastian zuliebe. Und das Ganze hatte auch Vorteile für ihn, denn nach zwei Wochen merkte er, dass er, nachdem er die Treppen zum Büro im dritten Stock hochgestiegen war, nicht mehr ganz so außer Atem war, wie vorher.

Und Kim hatte auch niemals erwartet, mit Anfang dreißig nochmal das Innere einer Disco zu sehen, aber auch das gehörte zu Bastians neuen oder in diesem Fall wiedergefundenen Interessen. Die winzige Disco ein Dorf weiter, in die sie früher schon immer gegangen waren, existierte sogar noch und genau wie früher war es nach zwölf eine Katastrophe, dort wieder wegzukommen, wenn man kein Geld für ein Taxi hatte oder selbst mit dem Auto gekommen war. Bastian hatte jetzt zwar das Auto, aber da sie beide etwas trinken wollten, ließen sie es stehen und nutzten lieber etwas von dem Geld, das sie jetzt verdienten, um das Taxi zu bezahlen.

Vorallem Bastian, der jetzt acht Jahre vergeben gewesen war, brauchte mindestens ein Bier, um wieder etwas lockerer zu werden, um dann Frauen anzusprechen, die ihm gefielen. Was genau der Grund war, wieso sie überhaupt herkamen und Kim vermutete, dass Bastian so sein angeschlagenes Ego wieder aufbauen wollte.

Er selbst hielt sich, was das anging, natürlich zurück, denn er hatte schon genug Zusammenstöße mit dem konservativen Dorfleben gehabt. Außer, er wurde mal angesprochen, von Frauen natürlich, was sogar häufiger vorkam. Dann sagte er gleich, dass er schwul war, aber so, dass es außer der Adressatin sonst keiner hören konnte und meistens wurde er dann trotzdem auf die Tanzfläche gezogen. Denn weil er schwul war musste er gleichzeitig auch ein großartiger Tänzer sein – da waren die meisten sich ganz sicher. Kim musste dann jedes Mal in sich hineinlachen, aber weil sie darauf bestanden, dass er mitkam, führte er ihnen dann ohne Hemmungen seine unbeholfenen und absolut unkoordinierten Tanzverrenkungen vor.

Kim war auch anwesend, als Greta nach zwei Wochen mit einem gemieteten Transporter auf den Hof gefahren kam, um ihre Sachen zu holen. Sie sah aus wie immer, sogar den Pullover hatte sie in Kims Anwesenheit schon mal getragen, aber trotzdem war sie ab jetzt für ihn ein völlig anderer Mensch. Er reagierte auf ihren Gruß auch nur mit einem kühlen Kopfnicken und verzichtete darauf, ihr beim Tragen zu helfen.

Bastian tat es, in erster Linie, um aufzupassen, dass sie auch wirklich nur ihre Sachen mitnahm. Sie stritten sich fast bei jedem Gegenstand, den Greta für sich beanspruchte und das zu beobachten fühlte sich für Kim einfach nur grausam an. Anscheinend hatte er, genau wie Bastian, es bis jetzt noch nicht wirklich geschafft, von ihm und Greta als perfektes Paar abzulassen und da er sie schon länger nicht mehr zusammen gesehen hatte, war es ihm irgendwie einfacher gefallen daran festzuhalten. Aber jetzt zuzusehen, wie sie sich gegenseitig mit wutverzerrten Gesichtern anschrien, als hätten sie niemals diese wundervolle achtjährige Beziehung gehabt und mit dem Wissen, dass es Bastian dabei gar nicht unbedingt um die ganzen Gegenstände ging, sondern hauptsächlich darum, ihr zu zeigen, wie sehr ihn ihr Verhalten verletzt hatte, zerriss Kims inneres Bild mit einem Ruck.
Als Greta nach zweieinhalb Stunden endlich weg war, war Bastian so wütend, dass sie danach erst einmal joggen gingen, damit er sich wieder abregen konnte. Und auch Kim konnte Bewegung und frische Luft sehr gut gebrauchen.

Ausnahmsweise mal wütend anstatt traurig zu sein schien Bastian gutgetan zu haben, denn danach fand er langsam zu seinem lässigen, meist über den Dingen stehenden Selbst zurück, sodass auch Kims ständige Anwesenheit und seine mentale Unterstützung bald nicht mehr ganz so nötig waren. Worüber der dann doch etwas erleichtert war. Einmal natürlich weil es ihm zeigte, dass es Bastian wirklich besser ging und dann, weil er doch auch mal ganz gerne alleine war und seine Ruhe hatte. Und dass, wenn er abgekämpft von der Arbeit nach Hause kam, niemand da war, den er trösten musste, oder zu dem er deswegen hinfahren musste und er sich einfach nur auf die Couch setzen konnte.

Allerdings hieß Zeit für sich haben auch automatisch Zeit für die eigenen Gedanken zu haben.
Und nun, wo er sich nicht mehr um Bastian kümmern musste, sah sich Kim sehr schnell wieder mit der Frage konfrontiert, was er jetzt mit seinem Liebesleben anfangen sollte. Das Häufchen Elend, das Bastian noch vor Kurzem gewesen war und seine heftigen Streitereien mit Greta hatten ihn eigentlich nur noch mehr desillusioniert als er überhaupt schon war

Warum sollte er sich überhaupt die Mühe machen, nach jemandem zu suchen, wenn auch nach acht Jahren nicht sicher war, dass es für immer war? Und was brachte es dann schon, sich vielleicht mit dem Gedanken zu trösten, dass es immerhin acht schöne Jahre gewesen waren, wenn man sich eigentlich am liebsten gegenseitig umbringen wollte?

Wenn man es überhaupt acht Jahre schaffte. Außer Bastian kannte Kim da niemanden. Sogar das einzige verheiratete Pärchen in seinem Freundeskreis waren bei ihrer Hochzeit, gemessen an Bastians und Gretas Beziehung, erst drei Jahre zusammen gewesen.

Und vorher musste man sich dann ja auch erst mal mit einigen Leuten treffen, um jemanden zu finden, mit des es klappen könnte und vielleicht versuchte man es dann ein paar Wochen oder Monate um anschließend festzustellen, dass es doch nicht passte. Und dann begann der ganze Krampf wieder von vorne.

Schon alleine bei dem Gedanken daran hatte Kim keine Lust mehr. Was im krassen Widerspruch zu seinem Bedürfnis stand, endlich eine funktionierende Beziehung zu führen.

Nach einigen Tagen merkte er, wie er es wieder mal geschafft hatte, sich in einer Abwärtspirale der negativen Gedanken zu verheddern, anstatt einfach den Kampf aufzunehmen und zu akzeptieren, dass es Rückschläge geben würde, sein großes Ziel aber nie aus den Augen zu verlieren. Aber dabei immer realitisch im Hinterkopf zu behalten, dass er es vielleicht nie erreichen würde. Aber von Realismus war Kim im Moment sowieso meilenweit entfernt.

Da kam Bastian mit der Frage, ob er ihn zu einer Hochzeit begleiten wollte, grade recht.
"Ich kenn sie vom Studium und hab sie schon ewig nicht mehr gesehen und deswegen will ich da unbedingt hin!", sagte Bastian bittend. "Die Einladung kam vor einem Jahr; anderes Bundesland, drei Stunden mit dem Auto und das Hotelzimmer ist auch schon gebucht und ich will da definitiv nicht alleine aufkreuzen!"

Man sah ihm deutlich an, dass er noch viel mehr dazu hätte sagen können, aber Kim war ja bereits überzeugt. "Ich komme sehr gerne mit!", sagte er lächelnd.

Bastian seufzte einmal erleichtert. "Danke Mann! Dafür hast du echt was gut bei mir!"

Natürlich hätte Kim es jetzt zynisch finden können, sich ausgerechnet auf einer Hochzeit von seinen düsteren Gedanken abzulenken. Aber ganz tot war der Romantiker in ihm, der Hochzeiten einfach toll fand, dann doch noch nicht. Und wer weiß, ganz vielleicht würde er ja dort auch dem Einen für sich selbst begegnen.


© Fenni


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