Ich schließe mit einem Lächeln die Tür auf. Das ist immer mein Lieblingsmoment am Tag. Nach Hause kommen, zu ihm. Mein Zuhause. Als ich den Flur betrete und auf mein übliches „Ich bin’s“ keine Reaktion kommt, bleibe ich kurz stehen. Das Licht aus dem Wohnzimmer strahlt einen großen, hellen Kegel auf den Parkett Boden. Er ist also da. Ich ziehe die Tür hinter mir zu, Schuhe und Jacke aus und komme mit einem Strahlen ins Wohnzimmer.
Erneut bleibe ich stehen, halte mich am Türrahmen fest. Er sitzt am Wohnzimmertisch, eine halb leere Weinflasche vor ihm und ein leeres Glas in der Hand. Seine Korrekturhefte liegen nicht wie üblich verstreut vor ihm, sondern verstaut in seiner Tasche neben dem Schreibtisch. Mein Lächeln stirbt. „Hey..“, sage ich vorsichtig und gehe langsam auf ihn zu. Sein Blick bleibt starr an einen unsichtbaren Fleck auf der Tischplatte hängen. Nur ein leises, steifes „Hallo“ ist zu hören, während sich seine Lippen kaum bewegen. „Dan..“, sage ich leise. Keine Reaktion. Er nippt an seinem Glas, stellt jedoch fest, dass keine Flüssigkeit mehr drin ist, die seine Lippen berühren könnte und greift mit einer schnellen Bewegung zur Flasche, um sich nachzufüllen. Das Rauschen des süßen Saftes ist das einzige Geräusch in dieser erdrückenden Stille. Ich stehe jetzt neben ihm, streiche vorsichtig über seine Schulter, noch immer würdigt er mich keines Blickes. „Dan..“,sage ich erneut, kaum mehr ein Flüstern. „Ich habe nachgedacht.“, sagt er, etwas zu laut nach dieser zu lauten Stille. „Tu das nicht..“, versuche ich leise, während ich meine Augen schließe, jedoch ohne Nachdruck. Ich weiß bereits, was gleich passiert. Ich gehe rüber zum Sofa und lasse mich darauf fallen, mein Gesicht in den Händen. Ich höre, wie er sein Glas abstellt, der Stuhl rückt über den Holzboden. Die alten Dielen machen leise Geräusche als er auf die Wand gegenüber von mir zugeht. „Schau mich an, Lana.“ Nun bin ich es, die keine Reaktion zeigt. „Bitte, Dan, ich bitte dich..“, bringe ich gepresst zwischen meinen Händen hervor. „Sieh mich an, bitte.“, sagt er erneut, etwas lauter und bestimmt. Ich seufze und löse langsam meine Hände, um in sein Gesicht zu blicken. Dieses sonst immer strahlende Gesicht ist nun geprägt von tiefen Furchen und einem gequälten Ausdruck. „Ich habe nachgedacht.“, sagt er erneut, kontrolliert. Seine Hände sind zu Fäusten geballt. „Ich denke, es wäre besser, wenn wir das zwischen uns beenden.“ Sein Adamsapfel bewegt sich sichtbar, während er schluckt und dann seine Kieferknochen bewegen lässt. „Dan, wir hatten diese Diskussion oft genug. Und meine Antwort wird auch immer die gleiche sein. Wann siehst du das endlich ein?“ Meine Stimme klingt heiser. Für einen kurzen Augenblick entspannen sich seine Hände, seine Kiefergelenke mahlen wie verrückt und die feine Ader an seiner Schlefe pocht aufgeregt. Für einen kurzen Augenblick scheint er wieder zur Vernunft gekommen zu sein, dann blinzelt er und seine Hände ballen sich erneut zu Fäusten. „Du bist zu jung, um zu wissen, was gut für dich ist und was nicht.“ „Du weißt genau, dass das nicht stimmt.“, sage ich nun mit fester Stimme und richte mich auf. Er weiß genau, dass er einen wunden Punkt getroffen hat und für einen Moment ist Sorge in seinen Augen zu sehen, während er unmerklich einen kleinen Schritt auf mich zugeht. „Ich..“, setzt er kurz an. Dann schüttelt er den Kopf, wie als wolle er sich wieder fassen, und steckt seine Hände in die Hosentasche. Ich relaxe wieder ein bisschen, während er auf einen Fleck vor meinen Füßen starrt. „Ich glaube, ich bin kein guter Umgang für dich. Du solltest dich mit Männern in deinem Alter verabreden und das Studentenleben wie eben eine Studentin verbringen.“ „Du weißt genau, dass mich das nicht glücklich machen würde.“ Er schaut mich an und öffnet den Mund, als wolle er mir widersprechen, schließt ihn dann jedoch wieder. Frustriert fängt er an, kleine Schritte vor mir auf und ab zu gehen. Ein, zwei Mal bleibt er stehen und dreht sich Luft holend zu mir, entscheidet sich dann jedoch wieder um und beginnt wieder mit dem Laufen. Nach kurzer Zeit, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt, stehe ich auf. Er bleibt sofort stehen und dreht sich zu mir. „Dan, ich sag es dir gerne nochmal, wann fängst du endlich an, mir zu glauben?“ Ich gehe auf ihn zu, er dreht sich weg. Langsam werde ich selber frustriert. „Nicht“, sagt er leise, als ich nach seiner Hand greife. Erneut sehe ich seine Kiefer mahlen. Seine Augen nehmen einen merkwürdigen Ausdruck als er mir ins Gesicht schaut. „Ich habe keine Gefühle mehr für dich“ Ich lasse meine Hand sinken, spüre einen dumpfen Stich in meiner Brust. Ich öffne den Mund um etwas zu sagen, doch nur ein ersticktes Geräusch kommt aus meiner Kehle, die sich plötzlich abgeschnürt anfühlt. So ist unsere Diskussion noch nie verlaufen. „Das meinst du nicht ernst“, bringe ich leise, erstickt hervor. Er öffnet den Mund als wolle er widersprechen, nickt dann aber nur kühl und wendet sich ab. Warme Tränen laufen über meine Wangen, während ich noch immer wie im Schock im Zimmer stehe. Er steht wieder am Tisch, sein Rücken zu mir gedreht, während er einen Schluck Wein trinkt. „Jemand in deinem Alter wird dich glücklicher machen können, als ich es jemals kann.“, höre ich ihn leise sagen. Heiße, kochende Wut brodelt in meiner Brust hoch. „Wage es ja nicht“, bringe ich leise hervor. Er dreht sich erschrocken zu mir um, ein Ausdruck der ehrlichen Verwunderung steht in seinen Augen, während ich ihn finster anfunkle. „Du hast keine Ahnung..“, sage ich leise, versuche mich zu kontrollieren. Genau dies versucht auch er wieder und setzt seinen kühlen Blick auf, während er meinem ausweicht. „Glaube mir, du bist besser ohne mich“- diesen Satz bringt er nicht zu Ende, denn meine Wut platzt endgültig. „DU HAST KEINE AHNUNG WAS GUT FÜR MICH IST UND WAS NICHT“, schreie ich ihn an, während mehr Tränen meine Wangen runterlaufen. Wenn ich nicht so wütend wäre, würde ich über seinen erschrockenen Ausdruck lachen. Sein ganzer Körper wirkt zurückgeschreckt, selbst seine Fäuste zu ballen hat er komplett vergessen. Einzig und allein Sorge und Überraschung ist in seinem Gesicht zu sehen. „Lana, ich“ versucht er sanft, aber ich bin noch nicht fertig. „DU WEIßT NICHT, WAS MICH GLÜCKLICH MACHT UND WAS NICHT.“ Ich schluchze auf, bevor ich weiter rufe. „ICH HAB DIR OFT GENUG GESAGT, DU BIST DAS EINZIGE WAS ICH BRAUCHE, UM GLÜCKLICH ZU SEIN.“ „Das sagst du jetzt“, er kommt einen Schritt auf mich zu, „aber in zwanzig Jahren wirst du zurückblicken und bereuen, dass du nicht mit einem jüngeren Mann zusammen warst und drei glückliche Kinder aufgezogen hast-“ „IN ZWANZIG JAHREN WERDE ICH AUF DIE SCHÖNSTEN ZWANZIG JAHRE MEINES LEBENS ZURÜCK BLICKEN, WEIL ICH SIE MIT DIR VERBRACHT HABE“ Ich verfalle in lautes Schluchzen, meine Knie werden immer schwächer und ich merke kaum, wie sie längst den Holzboden erreicht haben. Mit schnellen Schritten ist er bei mir, kniet sich neben mich. „Lana..“, sagt er leise, „ich..“ „Nein, Dan.“, bringe ich schluchzend hervor. Ich atme tief durch, zärtlich greift er nach meinen Händen. Ich entreiße sie ihm und schaue ihn durch einen verschwommenen Schleier meiner Tränen in die blauen Augen, um dann sanft beide Hände an seine Wangen zu legen. „Du bist das beste, was mir je passieren konnte. Du kannst mich rausschmeißen, mich verlassen“, verlegen versucht er meinem Blick auszuweichen, doch mit einem sanften Druck schiebe ich sein Kinn hoch, sodass er mich wieder anschaut. „All das wird nichts bringen. Du weißt, ich kann auch ohne dich glücklich sein. Ich habe gelernt, mit nur mir selbst zufrieden zu sein. Und das bin ich auch.“ Er öffnet seinen Mund, mit einem trotzigen Blick, doch ich lasse ihn nicht zu Wort kommen. „Ja“, sage ich schnell, „ich bin glücklich ohne dich. Aber du..“ ,stottere ich, „.. d..du machst mich zu einer besseren Version von mir selbst.“ Unsere Augen treffen sich. Ich bringe kaum mehr als ein Flüstern raus, als weitere Tränen aus meine Augen laufen. „Und auch wenn ich ein Leben ohne dich führen könnte, würde ich mich immer für eines mit dir entscheiden, wenn ich die Wahl hätte.“ Ich schlucke. „Ich liebe dich, Dan..“ Eine einzelne Träne läuft über seine Wange. Er greift nach meinen Händen, presst Küsse auf meine Handrücken, während er mit seiner anderen Hand sanft nach meinem Kopf greift um mich an sich zu ziehen. Er küsst meine Stirn, vergräbt sein Gesicht in meinen Haaren. Dies alles passiert in so kurzer Zeit, ich schließe meine Augen. Seine Lippen berühren sanft mein Ohr als er flüstert „Ich liebe dich doch auch, Lana..“ „Warum sagst du dann so etwas?“, bringe ich hervor, verletzter klingend als ich es wollte, während ich ihm in die Augen schaue. „Ich möchte nicht, dass du wegen mir unglücklich wirst.“ „Aber versteh doch endlich, was ich versuche dir zu sagen.“ Ich mache eine kurze Pause. „DU bist das, was mich glücklich macht.“ Er schaut mir noch immer etwas besorgt in die Augen. „Glaub mir..“, flüstere ich sanft und berühre mit meinem Daumen sanft seine Unterlippe. Sein Blick wird sanfter, endlich. Unter meinem Finger verzieht sich sein Mund zu einem Lächeln. Auch meine Mundwinkel, wie ich spüre, ziehen leicht Richtung Decke. Seine Hand streicht einige Strähnen aus meinem Gesicht, dann spüre ich sanft seinen Daumen auf meiner Wange, der die letzten Tränen wegwischt. Mit leicht geöffnetem Mund lehnt er sich zu mir. Ich schließe meine Augen, als unsere Lippen aufeinander treffen. Sein Geruch, seine starken Arme um mich, sein Herzschlag unter meiner Hand. Mehr brauche ich nicht, um glücklich zu sein.


© LanaGoldTFP


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Beschreibung des Autors zu "Prologue - Das leere Weinglas"

Eine Studentin und ein Lehrer. 25 Jahre dazwischen. Kann so eine Liebe stark genug sein?
Lana studiert Lehramt. Als sie für ihr Referendariat in ihre alte Heimat und an ihre alte Schule zurück kehrt, trifft sie auf Dan. Dan ist 25 Jahre älter und ihr alter Geschichtslehrer. Während alle Kollegen jegliche Begegnungen mit dem oft zynischen und strengen Einzelgänger meiden, zieht es Lana immer wieder in die Schulbibliothek, die Dan leitet. Die beiden lernen sich auf eine neue Weise kennen.. kann so eine Beziehung funktionieren?




Kommentare zu "Prologue - Das leere Weinglas"

Re: Prologue - Das leere Weinglas

Autor: Maline   Datum: 06.05.2019 10:59 Uhr

Kommentar: lebe die liebe, - sie ist doch so schön!
wer sie lebt, kann dies versteh`n.
liebe leben und geben, - das grösste glück,
du wirst es erleben, sie kommt tausendfach zurück.
es ist nicht schwer zu erraten, -
wer liebe schenkt, kann liebe erwarten!

Maline

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