Am Freitag ging es meiner Mutter schlechter, so dass mein Vater sie übers Wochenende in die Psychiatrie einweisen musste. Gestern Morgen wurde sie wieder entlassen. Es ging schneller als gewöhnlich. In den letzten Jahren war sie mindestens drei Wochen weg. Der gestrige Tag war auch mehr als ungewöhnlich. Mein Vater kam früh nach Hause. Meine Mutter hat gekocht. Die Stimmung war wirklich schön. Ich hoffe, sie bleibt uns noch ein paar Tage erhalten.
Das Wochenende habe ich bei meinen Freunden verbracht. Ich musste zwar auf der Couch schlafen, aber es ist immer lustig. Und es lenkt mich ab. Keith, Jeremys Bruder, war am Samstag für ein paar Stunden unterwegs, also haben sich Jeremy und Sam in das andere Schlafzimmer zurückgezogen. Caleb war in der Zeit ziemlich angespannt, was sich erst legte, als die beiden wieder zurück waren. Er hat weiterhin mit mir geflirtet, wie sollte es auch anders sein. Zwischen ihm und Sam hat sich die Stimmung im Allgemeinen wieder beruhigt. Ich weiß immer noch nicht genau, was zwischen den beiden vorgefallen ist. Wahrscheinlich will ich es auch gar nicht wissen.
Ich mache mich gerade für die Schule fertig, als ich ein Räuspern von der Tür höre. Ich sehe nach oben. Meine Mum steht im Türrahmen und lächelt mich an. Das Lächeln, das mich schon mein Leben lang begleitet. Das Lächeln, dass ihre blauen Augen zum Strahlen bringen. Aber ich bleibe skeptisch. Aus Erfahrung weiß ich, dass es auf jeden Fall wieder passieren wird. Sie wird wieder vergessen, dass Max tot ist. Sie wird mich wieder anschreien. Sie wird wieder einen Nervenzusammenbruch bekommen. Es ist nur eine Frage der Zeit.
„Guten Morgen, Schatz.“
„Guten Morgen, Mum.“ Sie kommt herein und ich beobachte sie, wie sie sich auf mein Bett setzt. Sie hat etwas auf dem Herzen.
„Ich weiß, letzte Woche war alles viel für dich und ich kann dir gar nicht oft genug sagen, wie leid es mir tut.“ Ihr Blick senkt sich.
„Es ist passiert. Ändern können wir es nicht mehr.“
„Ich wollte dich nicht schlagen. Kannst du mir verzeihen?“ Ich sehe sie regungslos an.
„Meine Freunde waren da! Du hast mich wie den letzten Dreck behandelt! Und zum krönenden Abschluss, hast du mich geohrfeigt.“ Mein Blick wandert genervt durch den Raum und dann wieder auf sie zurück.
„Morgan“, fleht sie mich an.
„Nein, Mum“, ich schüttle den Kopf und schnappe mir meine Tasche. „Verzeihen kann ich dir nicht. Ich muss gehen.“
„Morgan, warte“, ruft sie mir hinterher als ich das Treppenende bereits erreicht habe. Ich bleibe an der Haustür stehen und warte bis sie mich eingeholt hat. „Hast du Lust die Schule zu schwänzen?“ Meine Kinnlade klappt nach unten.
„Wie bitte?“, frage ich nach. Ich muss mich verhört haben.
„Mir geht es heute gut, lass es uns ausnutzen. Vielleicht verbringen wir den Tag zusammen. Wir geben ein bisschen das Geld deines Vaters aus.“
„Ähm, bist du sicher? Es könnte Schwierigkeiten mit der Schule geben.“ Das Theater von letzter Woche ist mir gut in Erinnerung geblieben.
„Ich würde gleich anrufen und Bescheid geben, dass du dir den Magen verdorben hast. Dann wundert sich niemand, wenn du morgen wieder in den Unterricht gehst.“
„Ich weiß nicht“, mir gefällt das nicht.
„Wie wäre es, wenn ich dir auch gleich eine Entschuldigung schreibe?“, gebe aber dann doch nach.
„OK“, sage ich. „Und an was hast du so gedacht?“ Meine Tasche landet in der Ecke und wir gehen zusammen in die Küche.
„Wir stellen etwas total Verrücktes an. Nicht zu verrückt. Ich will nicht gleich wieder in der Klapsmühle landen.“ Wir müssen beide lachen. Lustig ist es ja eigentlich nicht. „Gibt es etwas, was du unbedingt machen willst? Einen Wunsch, den ich dir erfüllen kann?“ Allerdings. Da fällt mir etwas ein. Ich habe meinen Vater schon danach gefragt, konnte mir dann aber erst einen Vortrag über gesundheitliche Risiken anhören, bevor er es mir schließlich verboten hat. Ich nicke.

Sie hat Wort gehalten. Sie rief in der Schule an und meldete mich für den Tag krank. Eine Entschuldigung hatte ich auch schon in meiner Schultasche. Zuerst haben wir gemütlich einen Kaffee zusammen getrunken. Sie wollte alles wissen, was sich in meinem Leben abspielt. Ob es einen Jungen gibt den ich süß fand. Wie ich in der Schule zurechtkomme und wie ich meine Zukunft sehe. Trotz aller Probleme, die ich mit meinen Eltern habe, würde ich gerne, wie die beiden, Jura studieren. Als ich davon erzählte, haben ihre Augen vor Freude geleuchtet. Das ich momentan in der Schule mit dem Stoff nicht mitkomme, habe ich natürlich nicht erwähnt.
Nach dem Kaffee gab es eine ausgedehnte Shoppingtour durch alle möglichen Klamottenläden. Gott sei dank hatten wir in der Nähe geparkt und konnten unsere Ausbeute gleich im Auto verstauen. Irgendwann fragte mich meine Mutter, warum die Kleider, die ich mir ausgesucht habe, alle schwarz wären. Aber ich konnte es nicht, weil ich bisher nicht sonderlich darauf geachtet hatte. Ich fand, es passt einfach zu meinen schwarzen Haaren. Sie gab sich mit meiner Antwort zufrieden. Dann war es Zeit fürs Mittagessen, ich hatte einen riesen Hunger.
„Das Buch, das wir vorhin gekauft haben?“, fragt mich meine Mutter nach dem Essen. „Ist das für Sam?“ Ich sehe sie irritiert an.
„Warum? Was hast du denn mit Sam? Dad hat ihn letzte Woche auch schon angefahren“, sage ich verwundert.
„Du hast mir heute Morgen auf meine Fragen bezüglich deines Liebeslebens keine Antworten gegeben. Und eine kleine Stimme sagt mir, dass du für Sam mehr empfindest als nur Freundschaft.“ Mein Blick verharrt am Wasserglas und ich schüttle den Kopf.
„Nein. Das Buch ist für Jeremy. Er hat in zwei Wochen Geburtstag.“ Jetzt sehe ich sie an. Der Hauch eines Lächelns umspielt ihre Mundwinkel.
„Jeremy?“, sie zieht fragend die Braue nach oben. „Also nicht Sam?“
„Er hat Geburtstag! Hör auf, da etwas hinein zu interpretieren, was nicht da ist!“, verlange ich von ihr.
„OK. Du möchtest nicht über Sam reden. Ich werde es akzeptieren.“
„Wir können über ihn reden. Aber er ist nicht das, was du denkst.“ Auch wenn ich es mir wünschen würde, würde ich es ihr nicht erzählen. Wer weiß, was morgen ist, sie könnte es gegen mich verwenden.
„Dann lassen wir das Thema.“ Ich verdrehe die Augen. Zu gerne würde ich ihr erzählen, dass Sam schwul ist. Und, dass er mit Jeremy zusammen ist. Aber es ist einfach zu gefährlich, also hüte ich dieses Geheimnis weiterhin wie den kostbarsten Schatz auf der Welt. Wenn ich mir vorstelle, es würden meinetwegen alle von ihrer Beziehung erfahren, ohne ihre Zustimmung, unvorstellbar. Meine Mutter erhebt sich um bezahlen zu gehen, ich warte vor dem Restaurant auf sie.
„Und jetzt?“, frage ich, als sie wieder mir ist.
„Jetzt, mein Schatz.“ Sie legt den Arm um meine Schultern während wir loslaufen. „Gehen wir dir, deinen Wunsch erfüllen.“ Innerlich mache ich einen Salto vor Freude. Ich sehe das Gesicht meines Vaters vor mir, unbezahlbar.

Eine Stunde später sehe ich in den Spiegel und begutachte meine Errungenschaft. Es fühlt sich schon ein bisschen an wie ein Sieg. Meine Mutter steht hinter mir und sieht mich fragend an.
„Tut es sehr weh?“, erkundigt sie sich.
„Nein. So ähnlich wie bei den Ohrlöchern“, teile ich ihr mit. „Nur dass es die Augenbraue ist.“ Ich muss mich so beherrschen, dass ich vor Freude in die Hände klatsche. Sie hätte mir einen ganzen Kleiderladen kaufen können, nichts wäre an ein Augenbrauenpiercing herangekommen.
„Gut, das beruhigt mich.“ Sie atmet erleichtert aus.


© Emilia Hunter


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