Ich stand mit höllischen Kopfschmerzen auf und ging mit geschlossenen Augen zum Kühlschrank. Ich ließ meinen Arm so lange durch die Fächer schwenken, bis ich eine Flasche ertastete. Zu meinem Unglück erwischte ich eine halb volle Flasche Tonic water, was ich allerdings erst bemerkte, nachdem ich meinen Durst gestillt und damit die Flasche geleert hatte. Wenigstens waren nun meine Augen offen - muss der Schreck gewesen sein. Mit offenen Augen drehte ich das Wasser unter der Dusche komplett auf, und während sich das Badezimmer mit warmem Nebel füllte, nahm ich meinen Schmuck und einen Zettel, der an meiner Wange klebte, ab. Nun fiel mir auch auf, dass ich am Vorabend ziemlich „gefüllt“ ins Bett gestolpert sein musste, oder wie kam es sonst, dass ich noch meine walking home shoes anhatte? Ich entschied mich, erst einmal duschen zu gehen und den Erlebnissen der letzten Nacht später auf die Spur zu gehen.
Nach der Dusche gab es erst einmal ein nahrhaftes Frühstück: Aspirin, Zigarette und Cola. Nicht jedermanns Geschmack, zumal sich zu der Cola noch ein Espresso gesellte. Mein Magen knurrte. Oder er streikte. Ich war nicht in der Verfassung, seine Sprache zu decodieren. Später würde er dann Essen bekommen, vielleicht. Wenn mein Kopf es zuließ.

Im Bademantel und mit meinem enormen Turban auf dem Kopf wählte ich leise Lauries Nummer:

„H-Hallo? Wer ist da?“
„Laurie, ich bin es. Bist du zu Hause?“
„Moment.. Ja, ich denke schon. Doch, das ist mein Zimmer.“
„Oh Süße, was haben wir gestern bloß gemacht? Ich fühle mich hundeelend!“
„Selber Süße, sei mir nicht böse, aber lass mich weiter schlafen sonst muss ich dir leider die Freundschaft kündigen.. Jetzt!“
„Bis später, meld dich, ja!? Kuss!“

Ihre Antwort überließ sie dem tutenden Telefon. Ich hatte verstanden. Es gab Menschen, denen es schlechter ging als mir. Also konnte ich getrost mein Frühstück mit einer zweiten Zigarette fortsetzen und versuchen, Stef zu erreichen:

„Hey! Was `n geiler Abend gestern, ne!?“, hob sie euphorisch ab.
„Wow, du bist ja überwach! Wie hast du das denn gemacht?“
„Ach, ich war einfach noch nicht im Bett. Hast du mal das Wetter draußen gesehen? Sonnenschein pur! Wenn du willst, komme ich gleich zur Meile. Lust auf einen Kaffee?“
„Ach, was soll`s. Sterben kann ich später! Gib mir 30 Minuten, weil Sonnenschein hin oder her, mit nassen Haaren erkälte ich mich eh sofort. Bis gleich! Ah, und sammle schon mal Geschichten von gestern Nacht, es gibt da einige Lücken die gefüllt werden möchten..“
„Haha, ja, mache ich! Bis später dann!“

Ich robbte erneut Richtung Badezimmer und schmiss dabei die halbe Zigarette in das Spülbecken der Küche. Meine Mutter würde mich umbringen, wenn sie das sehen könnte. Ihre erwachsene Tochter führte sich Sonntagmorgens wie eine männliche Alkoholleiche auf, sexy! Zum haaretrocknen kam ich noch, Zähne putzen auch, anziehen ging auch noch gut, eine Jeans und ein T-Shirt mit der Aufschrift Made with love in Cologne, aber schminken war einfach zu viel verlangt. Wieso hatte ich sonst diese teure Brille in meiner Tasche? Richtig, um sie auf die Nase zu setzen wenn schminken einfach nicht ging.

Mit dem gleichen Elan, mit dem ich vorher gen Badezimmer robbte, verließ ich auch das Haus. Im Schneckentempo, wenn man so möchte. Wie ich meine Füße auf der Straße hinter mir her schleifte, hörte ich wieder die Stimme meiner Mutter im Kopf: „Kind, du verbrauchst gerade deine Sohlen, dann musst du morgen wieder neue Schuhe kaufen!“. Jaja, brabbelte ich vor mich her. Dann kaufe ich morgen eben neue Schuhe, überredet.

Ich kam in Gregs Café an, ging geradewegs durch in den Innenhof und nahm an einem Tisch im Schatten Platz. Böse Sonne, dachte ich still in mich hinein, böse Sonne!
Als der Kellner kam bestellte ich einen doppelten Espresso, eine Flasche Acqua Panna und ein Croissant. Zu der Frage: „Mit Butter und Marmelade?“, hätte ich mich fast übergeben. Ich winkte ab und vermutete, dass der Kellner verstanden hatte und mich von nun an mit „Speck-Eier-Senf“-Gesprächen verschonen würde. Mein Magen spielte Karussell und ich war nicht eingeladen. Also bestrafte ich ihn, so leer wie er war, direkt mit dem nächsten bitteren Kaffee und mit einer weiteren Zigarette obendrauf. Dass sich meine Stimme ein wenig verabschiedet hatte hielt mich nicht davon ab, eigentlich ganz sexy dieses raue „Halloooo“, womit ich Greg begrüßte, der gerade zur Tür rein kam.

„Na, heute keine Sonne?“, und beugte sich zu mir runter um mir Küsschen zu geben.
„Nein danke, kannst du behalten. Sowohl die Sonne als auch die Sonnenplätze.“, böse Sonne, fügte ich gedanklich dazu.
„Hey, nimm mal kurz die Brille ab..“, sagte er und grinste dabei übers ganze Gesicht.
„Zieh du doch kurz deine Hose runter..“, antwortete ich schnippig zurück.
„Ha! Wusste ich es doch! Erzähl, wo wart ihr gestern und wieso hast du es übertrieben? So habe ich dich bestimmt seit einem Jahr nicht mehr gesehen“, und lachte dabei weiter.
„Greg, für Witze ist es noch zu früh. Und für Geschichten auch, dafür musst du auf Stef warten, ich hab da noch einige, wenige Lücken was den Abend angeht. Das Problem war: Wir waren zu einem Geburtstag eingeladen und die Gastgeberin schrieb uns, wir sollten Appetit mitbringen da es um 22h noch Essen gäbe. Wir also ein wenig gehungert und zum Geburtstag. Später, als unsere Mägen schon knurrten wie wild, hieß es, die Küche sei nicht bereit für uns zu kochen da die sich gezofft hatten und Feierabend machen wollten. Also tranken wir stattdessen Wein und aßen.. Käsewürfel und Salzstangen. Kein echte Basis für Alkohol, ne!?“
„Ach, ihr wart unten am Rhein im Le Fort? Hat sie den Laden nun gekauft?“
„Nee, nur gepachtet. Aber es läuft richtig gut! Außer mit dem Personal vielleicht, naja, das fanden wir hungrigen Gäste nicht so witzig, aber passiert.“
„Süße, wenn du magst lasse ich dir was bringen. Aspirin und O-Saft, wie wär`s? Ich muss zurück in die Küche, wir haben später noch eine geschlossene Gesellschaft und müssen noch Käseplatten vorbereiten.. Du und deine Mädels könnt natürlich hier bleiben. Wie viele Gläser soll ich bringen lassen?“.
„Nur zwei, Laurie ist noch im Delirium. Später vielleicht..“, und ich zwinkerte ihm zu da ich es richtig niedlich fand, wie er wissen wollte, ob L noch käme, er aber nicht direkt fragen wollte. Männer…

Greg war schon länger in der Küche und von Stef noch nichts zu sehen. Also rief ich sie an. Nichts. Ich versuchte es auf dem Handy und zu Hause. Nichts. Vielleicht war sie ja doch unverhofft eingeschlafen, ich konnte es ihr nicht verübeln. Also zündete ich eine letzte Zigarette an und verstarrte mich an den schönen Blumen, die im Garten blühten. Ich stellte mir vor, wie die Mauer aussehen würde, sobald der Weinefeu richtig gewachsen wäre und die gesamte Wand einnehmen und schmücken würde. Ich freute mich auf den Herbst. Böse Sonne.

Eine Stimme riss mich aus meinen Tagträumen mit der Frage: „Ist hier noch frei?“.
Ich blickte nach oben und die Sonne nahm mir die Sicht, anhand der Konturen konnte ich nichts erkennen und hielt ich mir die Hand über die Augen. Nein: „Herr Mark?“.

„Wie bezaubernd, Sie erinnern sich noch an mich.“, gab er zurück und nahm meine Frage wohl als Aufforderung, sich setzen zu dürfen.
Er nahm die leere Aspirinverpackung und schwenkte sie hin und her: „Na, einen schönen Abend gehabt?“, fragte er grinsend.
„Ja, vermutlich. Aber heute habe ich leider nicht mehr so viel davon.“, dass ich kleine Lücken im Gedächnissystem hatte, musste ja nicht gleich jeder wissen.
„Wo waren Sie denn, wenn ich fragen darf?“.
„Kennen Sie Le Fort? Unten am Rhein? Da war ich.“, gab ich knapp zurück.
„Natürlich kenne ich das, ein süßer Laden. Ehrlich gesagt hatte ich mich selber vor einigen Monaten dafür interessiert, aber da war ein Anderer wohl schneller als ich.“
„Eine Andere..“, verbesserte ich ihn, „Eine Andere war schneller als Sie.“
„Sagen sie bloß, Sie kennen den Pächter?“
„Nein, aber ich kenne die Pächterin. Eine ehemalige Schulkameradin von mir hat den Laden übernommen. Und Sie? Haben Sie schon was Passendes gefunden? Oder wollten Sie unbedingt am Rhein bleiben?“.
Ich war zwar nicht so ganz auf der Höhe, doch erkannte ich sofort die Chance, ihn auf die Wunderbar anzusprechen ohne es auszusprechen.
„Nein, Rhein muss nicht sein, obwohl es sehr schön gewesen wäre. Können Sie ein Geheimnis für sich behalten?“
Geheimnis? Also wenn er mir jetzt sagte, er interessiere sich für die Wunderbar, so hatte ich das Geheimnis bereits ausgeplaudert ohne es wirklich zu wissen. Aber der Sherlock Holmes, der in mir wohnt, hatte ihn schon längst überführt.
„Ich interessiere mich für diesen Laden hier..“
„Was?“, gab ich viel zu laut von mir, „Diesen hier?“
„Ja. Es heißt, der Besitzer steht mit dem Geschäftsführer der Wunderbar in Verhandlung, und da der Laden eine Menge Arbeit bedeutet, würde mich dieser Laden hier mehr interessieren.“
Er hatte ja keine Ahnung.. Das würde ich Greg sofort weiter erzählen, von wegen Geheimnis, dieser Mark wollte Greg seinen Laden unterm Hintern weg ziehen!
„Haben Sie denn schon mit dem Besitzer gesprochen? Denn ich denke kaum, dass dieser Laden hier zum Verkauf steht..“
„Noch nicht, aber man munkelt, dass er verkaufen möchte. Sie haben das aber nicht von mir, bitte. Wenn heraus kommt, dass ich den Gastronomencodex verletzt habe.. Das wäre nicht gut. Sie müssen wissen, die Läden hier auf der Meile werden unter der Hand weiter gegeben, das erfährt man nicht in den Tageszeitungen. Alles Mundpropaganda, Sie verstehen?“
Oh ja, ich verstand. Aber das musste er ja nicht wissen. Wollte er mir wirklich erklären, wie es auf meiner Meile zuging? Frechheit.
„Ja, so in Etwa. Sie müssen wissen, ich habe keine Ahnung von Gastronomie und überhaupt habe ich nicht so viel Ahnung von irgendetwas, erst recht nicht im Moment..“
„Ha! Das denke ich mir. Entschuldigen Sie, dass ich Sie so zugequatscht habe. Haben Sie überhaupt schon etwas gegessen? Zigaretten und Cola auf Aspirin ist nämlich keine Lösung.“
„Ja, ich weiß. Ich sagte doch, ich habe keine Ahnung. Aber ich habe schon ein Croissant gegessen.“
„Meinen Sie das Croissant, das fast unangerührt auf ihrem Teller liegt?“
„Oh, genau das meine ich. Dann habe ich es ja doch nicht gegessen..“, und dabei musste ich selber lachen, einfach, weil ich so verplant und so neben der Spur war wie selten.
„Kommen Sie, ich lade Sie zum Essen ein. Aber nicht hier.“
„Also, eigentlich warte ich noch auf eine Freundin..“
„Dann rufen Sie ihre Freundin an und sagen ab. Wo ist das Problem?“
Sie sind das Problem! Hätte ich am liebsten geantwortet. Ich mag es nicht, wenn unbekannte Männer mir sagen wollen, wann ich was zu tun habe.
„Das Problem liegt darin, dass ich sie nicht erreichen kann..“
„Wunderbar!“, und bei dem Wortwitz mussten wir beide schmunzeln, „Also los! Ich gehe schon mal nach vorne und hole das Auto, dann können Sie noch in Ruhe Ihren Saft austrinken.“ Zwinkerte er, stand auf und ging.

Als ich ihm so hinter schaute fiel mir auf, dass er einen schönen Gang hatte. Hört sich komisch an, aber der Gang eines Mannes verrät so unglaublich viel über seinen Charakter. Und bei Herr Mark ließ sich sein Selbstbewusstsein ganz stark am Gang festmachen. Doch, irgendwie hatte er was. Und ich, ich war nun in geheimer Mission unterwegs und würde versuchen, ihm in den nächsten Stunden mehr Geheimnisse zu entlocken.
Aber vorher musste ich ganz dringend Mascara und ein wenig Rouge auftreiben, denn je nach dem wo es gleich hingehen würde, könnte ich meine Brille nicht anlassen. Shit, Shit, böse Sonne, Shit!


© SofiaPierrot


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Beschreibung des Autors zu "Efeurot an Sonnengelb"

Teil 6 meiner Königsblau-Reihe

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