Einst stand ich wirklich voll auf Frauen,
sie fühlten sich so herrlich an,
sie waren so schön anzuschauen –
genau das Rechte für den Mann!

Dann kümmerte ich mich um die Männer,
mit ihnen konnte ich gut reden,
als Philosoph und Welten-Kenner…
Natürlich meinte ich nicht jeden!

Ich wurde quasi geistig schwul,
ich wandte mich von Liebe ab!
Das fand ich ausgesprochen cool,
doch das war’s nicht, was ich mir gab…

Denn mir gab ich zuletzt die ganze,
die volle Liebe – ungehemmt!
Vom Scheitel bis hinab zum Schw…,
im Anzug und ganz ohne Hemd!

Und was ist dann passiert?

Ganz einfach: zuerst war ich andauernd verletzt. Nein, nein, nicht weil ich mich etwa enttäuscht hätte – es waren die Spiegel! Immer wenn ich einen erblickte, rannte ich auf ihn zu, um mich zu küssen! Man kann sich vorstellen wie das ausging… Alle zerbrachen! Die Scherben sausten nur so an mir vorbei.

Meistens zerschnitt ich mir dabei die Lippen, oder ein Stück von seinem Glas steckte in meinem Gesicht. Das konnte mich jedoch nicht beirren: ich fand mich einfach unwiderstehlich!

An einem Badesee oder in einer Badeanstalt durfte ich mich schon gar nicht mehr sehen lassen. Denn kaum hatte ich mein Konterfei, meine Gestalt, im glänzenden Nass entdeckt, fing ich auch schon an, mich hemmungslos zu streicheln.

Einmal landete ich, nach einem solchen Auftritt, sogar im Gefängnis – für eine Nacht, versteht sich. Am nächsten Morgen entließ man mich, einerseits schmunzelnd, andererseits misstrauisch, musste sich jedoch eingestehen, so einen komischen Vogel noch niemals vorher gesehen zu haben.

Manche wünschten sich unverschämter weise sogar, auch niemals nachher etwas Vergleichbares erblicken zu müssen, denn im Grunde war ich den meisten unheimlich!

Warum?

Nun, natürlich liebte sich jeder mindestens so sehr wie seinen Nächsten. Manche geben sogar zu, sich noch ein bisschen mehr zu lieben. Aber meine Eigenliebe stellte sie alle komplett in den Schatten! Kein Wunder also, daß sie neidisch waren.

Und dabei bin ich gar kein instinktgetriebenes Individuum. Ich bin eher feinsinnig, rücksichtsvoll und mitfühlend. Doch, bei der Eigenliebe hört der Spaß eben für mich auf, da gibt es nur ein Idol: mich selbst!

Ich bin Schlauer, als eine Frau schön sein kann, zartgliedriger als der stärkste Adonis der Welt und intuitiver als alle versauten Hexen, diesseits und jenseits von Gut und Böse. Was will ich mehr?! Mit mir kann ich zufrieden sein, wie mit niemandem sonst!

Seit längerer Zeit habe ich daher keine Spiegel mehr im Haus. Dazu achte ich auf eine geichmäßige Ausleuchtung der Wohnräume. Das Licht setzt, von allen Seiten, bei aufkommender Dämmerung automatisch ein, um nicht etwa die Andeutung eines Schattens entstehen zu lassen.

Denn, würde ich einen entdecken, ich würde mit dem Kopf durch die Wand rennen, nur um mich selbst zu erreichen, damit ich mich endlich gebührend verwöhnen kann.

So find‘ ich mich berauschend gut!
Ich kann nicht aufhör’n mich zu loben.
In meinen Adern: gold’nes Blut!
Ich steh‘ als Wesen ganz weit oben!

Und kommt mir einmal wer zu nah,
dann rümpf‘ ich meine edle Nase –
ob Bauernlümmel, Padischah,
für mich sind alle Luft, wie Blase!

Mein Körper ist der Hochaltar,
vor dem ich Leben zelebriere –
und trotzdem nur mein Avatar:
er steht für mich auf Erden Schmiere!

Damit mein Geist, entrückt und wirr,
sich hier ergehen kann und lieben.
Wir sind das Traumpaar, reichlich irr –
der Wahrheit sind wir fern geblieben!


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Nüchterne Selbstbetrachtung"

Re: Nüchterne Selbstbetrachtung

Autor: Alf Glocker   Datum: 28.10.2014 7:52 Uhr

Kommentar: Danke für den Tipp mit dem Weglassen der Sonderzeichen, lb Noé

LG Alf

Re: Nüchterne Selbstbetrachtung

Autor: noé   Datum: 28.10.2014 8:03 Uhr

Kommentar: Ich ziehe mich auf heftigstes Schmunzeln zurück, weil ich mir nicht anmaßen möchte zu beurteilen, wieviel des obigen Textes nun wirklich pure Fiktion ist ...
(Oder war das schon wieder zu nah?)
Schwerenöter ...
Der Tipp mit dem Weglassen der Sonderzeichen in der Überschrift war hart erkämpft vor einigen Monaten - an einem meiner "lebenden Objekte".
Von daher: Ich gebe gerne Wissen weiter. (wenn's schee mocht!)
noé

Re: Nüchterne Selbstbetrachtung

Autor: Uwe   Datum: 28.10.2014 8:34 Uhr

Kommentar: Vor allem
duftet leicht
Narzisse,
später dann,
nach eigner Pisse.

Alf, ich schüttle mich vor Lachen! Der Prosa-Einschub inmitten des Gedichtes, wo du so tust, als ginge es auch heute noch mit dir durch,
ist dramaturgisch hervorragend!
u.

Re: Nüchterne Selbstbetrachtung

Autor: possum   Datum: 28.10.2014 10:44 Uhr

Kommentar: Da hauts das possum glatt vom Baum ... sprachlos ... hat es mich umgehaun! LG!

Re: Nüchterne Selbstbetrachtung

Autor: Alf Glocker   Datum: 28.10.2014 15:40 Uhr

Kommentar: Haha, Ihr seid wieder mal erfrischend!
Danke!
LG Alf

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