Es ist Montag. Ein Herbstmontag. Ein Herbstmontag der Kalt und Rau mit dem Wind über die Haut streift. Es ist ein sehr kalter, aber auch windiger Herbstmontag. Die Blätter pflastern die Straßen mit ihren starken Farben. Gelb so wie die Sonne. Orange so wie ein Kürbis. Braun so wie die Erde. Rot so wie die Liebe.
Ein Mann, allein in seinen jungen Jahren, geht an diesen Herbstmontag durch den Park spazieren. In seinen Herbstmantel ist er eingehüllt als wäre er in einer Decke eingerollt.
Sein Hut wirft einen Schatten über sein Gesicht, nur den Mund kann man sehen. Seine Hände sind beide in seinen Manteltaschen, wo er sie wärmt und schützt. Ein Ehepaar kommt entgegengelaufen. Aug an Aug einander vorbei. Der Mann macht nur einen raschen und kurzen Blick als die beiden an ihm vorbei laufen. Er verzieht seinen Mund zu einem Halbmond. Einem Halbmond, der die Traurigkeit und Eifersucht in seinem Gesicht widerspiegelt.
Er war allein. Ganz allein. Sein Herz pochte nur für ihn. Der Wind wird stärker und der Mann versteckt sein Gesicht im Mantelkragen. Sein Gesicht war komplett verschwunden und der Halbmond auch. Der Wind ist so stark, dass er seinen Hut festhalten muss. Plötzlich stolpert der Mann und fällt auf die Knie. Er hat schmerzen, da er auf einen harten Boden mit seinen Knien fiel. Der Mann muss allein aufstehen. Ganz allein. Ihm wird bewusst, dass sein Leben nur aus seiner Arbeit und seinem eintönigem Alltag besteht. Nur im Herbst geht der Mann raus. Die Farben geben ihm Kraft und Beruhigung in sein eintöniges Leben. Der Mann steht wieder und klopft sich den Dreck von der Hose. Der Mann geht weiter allein. Ganz allein.
Es fängt an zu Regnen. Erst ganz leicht und dann ganz stark. Der Mann hat keinen Regenschirm und sucht nach einer trockenen Stelle. Bei der Suche sieht der Mann viele Paare, die sich einen Regenschirm teilen oder zum Auto gemeinsam rennen. Nur der Mann ist ganz allein auf der Suche. Der Mann stellt sich unter dem Baum, der noch die meisten Blätter hat. Auf der anderen Seite, gegenüber seinem Baum, steht ein Paar angekuschelt, um sich zu wärmen. Der Mann umklammert sich selbst, um sich wärme allein zu schenken. Ganz allein. Der Mann fängt an zu Weinen wie der Himmel aus den Wolken. Erst ganz leicht und dann ganz stark. Der Mann verbuddelt sich in seinen Mantel und lehnt sich gegen dem Baum, nur um sich zu schützen.
Der Wind wird stärker und braust um seine Ohren herum. Der Wind pfeift und bringt die starken Farben zum tanzen. Der Baum, den der Mann sich ausgesucht hat, verliert mehr und mehr Blätter. Es regnet rein. Der Mann wird nass. Der Mann verkroch sich weiter in seinem Mantel.
Plötzlich merkt der Mann, dass es nicht mehr auf seinem Mantel regnet. Der Mann guckt aus einen spalt nach draußen. Es regnet. Der Mann ist verwirrt und kommt langsam mit seinem Kopf nach oben schauend heraus. Etwas bedeckte Ihn. Das etwas ist ein Regenschirm. Ein Herbstregenschirm mit all seinen Farben. Der Halbmond drehte sich um 180 Grad. Vor ihm steht jemand. Der jemand, der den Regenschirm hält und ihm ein Tuch vor die Nase anbietet. Er nimmt das Tuch, um sich damit die Tränen weg zu wischen. Eine Hand vor ihm. Diese Hand will ihm hoch helfen. Der Mann packt zu. Er steht wieder. Der Jemand, der ihm hilft, ist eine Frau. Eine Frau, die allein zum ihm gekommen ist. Ganz allein. Ohne dass die beiden es wissen, haben sie etwas gemeinsam. Die Frau ist selbst in einem Mantel eingehüllt. Ihr blondes Haar strahlt wie eine goldene Sonne. Ihre Lippen sind Rot wie die Herbstblätter. Rot so wie die Liebe.
Der Mann bedankt sich aufrichtig. Die Frau ist von ihm entzückt. Es hört auf zu regnen.
Die Sonne strahlt an den vorbeiziehenden Wolken vorbei. Es wird langsam Hell.
Die Sonne steht hinter der Frau und der Mann ist von ihrem Gesicht geblendet, geblendet vor Schönheit. Er lädt sie zum Kaffe trinken ein. Sie nickt und kichert dabei.
Die beiden gehen Hand in Hand und gucken sich beide tief in die Augen. Sie reden im Kaffe, sie lachen im Kaffe und sie fühlen im Kaffe ihre nähe zu einander. Es wird spät. Die beiden gehen an dem klaren Herbstmontagabend spazieren. Ein gehakt sind die Arme der beiden verbunden. Der Vollmond gibt von oben das Licht, das sie zum sehen brauchen. Sie gehen einen Hügel hoch. Einen sehr hohen Hügel. Auf diesen hohen Hügel ist eine Bank, auf der sie sich verpflanzen. Die beiden Kuscheln. Sie schauen sich tief in die Augen. Ihre beiden Herzen pochten laut und stark. Die Frau schließt ihre Augen und spitzt die Lippen und beugt sich langsam zu ihm. Das Herz des Mannes pochte und pochte lauter. Er macht dasselbe. Sanft nimmt er ihr Gesicht in seinen beiden liebenden Händen. Ihre Lippen treffen sich wie ein Feuerwerk den Himmel in einer Silvesternacht trifft. Es entfacht ein Feuer der Leidenschaft. Es brennt die Liebe in beide Herzen. Die beiden sind im Feuer der Liebe gefangen. Die beiden Köpfe sind sehr heiß geworden. Nur seine Füße sind kalt. Eiskalt. Er spürte sie nicht mehr. Dem Mann ist es aber egal. Plötzlich werden sie Nass und Feucht. Der Mann bemerkt, dass auch seine Hose unten an seinen Füßen nass wird. Er hörte mit den Küssen auf. Die Frau guckt verstutzt. Der Mann ignoriert es, schließt seine Augen und beugt sich vor ihr wieder hin. Sie tut dasselbe.
Doch als der Mann sie ahnt zu treffen, fällt er nach vorne in eine Pfütze. Er stemmt sich mit dem Armen auf. Der Mann guckt sich um. Es regnet. Es ist bewölkt. Der Mann guckt nach oben. Dort sind Blätter. Farbige Blätter. Der Mann bemerkt, dass er am Baum eingeschlafen ist. Seine Füße wurden Nass und kalt, weil vor ihm eine Pfütze ist. Der Mann ist allein. Ganz allein.
Nur in seinen Träumen ist der Mann nicht allein. In seinen Träumen wird der innigste Wunsch frei. In seinen Träumen ist der Mann frei.
Ein Traum ist ein Einblick in sich selbst.


© Mirco Köhler


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Kommentare zu "Liebestraum"

Re: Liebestraum

Autor: Olivia   Datum: 14.09.2014 19:24 Uhr

Kommentar: Wow! Wirklich schöne Geschichte mit vielen schönen Einzelheiten. Daumen hoch;)

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