Der stechende Geruch von Nagellack reizte ihre glänzenden Augen. Das wenige Licht, dass durch die zugezogenen Vorhänge durchkam, war kalt. Sie saß auf dem steinernen Fußboden und versuchte ihre langen Fingernägel zu lackieren, doch es gelang ihr nicht. Ihre zitternden Finger konnten nicht ruhig liegen, es sah aus, als hätte sie Blut an den Händen – Schuld. Sie biss sich auf die Lippe, wurde immer nervöser und wusste, sie muss sich zusammen nehmen. Als sie zum Nagellackentferner griff, schmiss sie die Flasche um, sie bekommt nichts mehr hin. Nichts.
Sie lies die Flasche liegen, einfach auslaufen, Ihr war schwindelig, sie erinnerte sich daran, dass sie heute mal wieder nichts getrunken hatte, sie hatte keinen Nerv dazu, sie konnte nicht daran denken. Sie wusste sie sollte nach zwei Tagen endlich wieder etwas trinken, doch sie wollte nicht. Sie atmete immer tiefer, weil sie wusste ihre Adern führen kaum noch Blut, doch dann hielt sie kurz still. Ihre Stimmen meldeten sich wieder.
„Hast du dich schon einmal angesehen? Was ist nur aus dir geworden? Schau mal, wie du dich verändert hast, bist du stolz drauf?“
Eine tiefere, beruhigende Stimme:
„Liebes, keine Sorge, jeder verändert sich. Du weißt wer du bist.“
Sie hörte ihre eigene Stimme, ungebunden von ihr, sie hat es nicht gesagt: „Weiß ich, wer ich bin? Will ich so sein?“
Sie schaute sich in ihrem Spiegel, der ihr gegenüber hing, an. Sie sah nichts, sie war irgendwer, irgendein Produkt, gemacht aus Menschen, denen sie vertraute. Nun sitzt sie hier. Allein.

Keine Falte regte sich in ihrem tauben Gesicht, sie roch noch immer diesen Gestank nach Nagellack und Alkohol. Langsam kullerte ihr die erste Träne aus ihren toten Augen.
Wieder meldete sich eine Stimme: „ Schau, wie oft du dich verändert hast, nichts ist aus dir geworden, für andere... Schätzchen, nein, Schatz. Tu uns beiden einen gefallen und mach es.“

Sie nickte, als hätte sie es verstanden. Sie nahm bestimmt diese Flasche Nagellackentferner, es war noch ein wenig Flüssigkeit drin. Ihre Augen brannten, als sie es zu ihrer Nase führte. Sie atmete tief ein, es fühlte sich an, als würde es ihre Lungen reinigen, dennoch brannte es ein wenig und lies sie husten. Ihr wurde immer schummriger, ihr Blick verschwand, dennoch dachte sie nach. Sie will nicht, dass jemand denkt, dass sie so schwach war, ja dass sie die schwäche besaß, sich umzubringen!
Nein, so soll es nicht sein...es soll nach einem Unfall aussehen.
Sie nahm die Flasche Nagellackentferner mit auf diesen kleinen dunklen Dachboden, gerade hoch genug zum Stehen und eine kleine Steinwand, an die man sich lehnen konnte.

Nun saß sie da, mit dem Rücken zu dieser kalten Steinmauer. Sie hörte Schritte, wusste, es waren wieder diese Stimmen, tausend Stimmen in ihrem Kopf, sie hielt es nicht mehr aus.
„Nein, ich hab dich lieb, bleib da.“ - „Komm du Fotze, kannst doch eh nichts.“ - „Du machst genau das, das von dir erwartet wurde.“ - „Du gibst dich ganz anders, als dass du es bist.“ - „Ich melde mich“ - „ Es wird so sein, ich verspreche es.“ - „ Ich denke nochmal darüber nach.“- „Klein, dumm und naiv, bist du“ - „Schatz“ - „Verzieh dich wieder in deine Ecke!“ - „Lass keinen an dich ran.“

Sie zog ihre Knie eng an ihren Körper, umschlang sie mit ihren Armen, legte ihren Kopf darauf und wippte, während sie vor sich hin säuselte: „Bitte, ein Moment leise, ich fühl mich so allein.
Will es nicht sein. Doch jede Berührung, jeder Blick, tut so weh.“

Wieder diese Stimmen: „Siehst du, beende es.“ - „DU bist Schuld, es ist dein Versagen.“
Sie begann sich zu verkrampfen und schlug um sich.
Sie griff an die Glasfaserdämmung, beruhigte sich, fing sich im freien Fall ihrer Gefühle wieder auf und legte sich diese Glasfaser sanft auf die Zunge, ekelhaft dieser Geschmack. Einfach schlucken, das müsste sie doch noch hinbekommen, nur schlucken. Sie hob den Nagellackentferner und spülte die Glasfasern mit diesem ätzenden Zeug hinab.

Sie hörte wieder diese Schritte, immer lauter, immer betäubender, alles um sie herum erschien so nah, die Stimmen wurden immer lauter. Sie kaute immer fester und stopfte sich immer mehr von diesen Glasfasern in ihren Mund, wie eine Furie stand sie auf, schlug gegen das Dach, riss an den Balken und an der Dämmung, sie riss sich ihre Finger auf und bekam nur noch schwer Luft.

„Nicht mal umbringen kannst du dich, lächerlich.“

Die Panik stieg in ihr an und sie brach zusammen, jämmerlich lag sie auf dem Boden, nach Luft schnappend, bis das letzte Glasfaserstück in ihr verschwand. Sie wusste nicht, ob es sie umbringen wird, sie wusste nur, das Warten darauf, bringt sie innerlich um. Die Schritte nun hörbar, so hörbar, als seien sie direkt an dieser Leiter zum Dachboden. Angst erfüllt drückt sie sich gegen diese kalte Steinmauer, ihre langen Nägel versanken tief in ihren Schenkeln. Sie schloss die Augen und hörte nur noch ein tiefes Brüllen.

„Steh auf du Fotze!“

Sie saß da und schrie, erbärmlich wie klein und wehrlos sie war. Jämmerlich, wie sehr sie sich selbst bemitleidete...fast schon süß.
Sie spürte es an ihren Haaren ziehen, fest, so fest, dass sie von dem Schmerz gezwungen war, aufzustehen. Sie schaute immer noch weg, obwohl er versuchte ihr direkt in die Augen zu sehen.

„Hör zu, es tut mir leid.“ raunte eine tiefe Stimme und sie spürte seine warme Hand an ihrer Wange, langsam lies er sie wieder los. Sie schaute ihn Schuld bewusst an, fasste sich an ihren Bauch, hustete, das Blut tropfte über ihre Lippen.
Er schaute sie an und packte sie am Hals, drückte sie fest gegen die Wand. Er schaute sich um, das zerrupfte Glasfaserzeug und die Nagellackflasche...
„Wage es nicht zu behaupten du hast..?“
Sie nickte: „Es tut mir so leid! Ich wollte es nicht.“ Sie hustete und holte erneut Luft. „Ich hätte alles anders machen müssen ich weiß. Ich hab getanzt zu deinen Worten.“

Er drückte sie gegen die Wand, ein wenig fester: „ Zu meinen Worten genau, zu meinen Worten. Und was stehst du noch hier? Liebst du dieses Spiel nicht genau so wie ich?“

Sie keuchte: „Welches Spiel?“

- „ Dieses Spiel, das uns verbindet. Das Leiden und das tragen des anderen, der Hass, die Perversion. So stirb mit Stolz du unwertes Weib!“

Sein Griff löste sich von ihrem Hals, seine Lippen legten sich auf ihre und es schien als sei alles zurück geholt. Alles wieder da und das Jetzt vergessen. Die eigentliche Zukunft verschwunden und der Tod ignoriert.

Er lies von ihren Lippen ab „Ich hab dich lieb.“ Er wurde wieder zornig und seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
„Stirb mit Stolz“, Schrie er erneut. „Stirb mit dem Wissen, ja ich habe gespielt, du warst DUMM! Nun tanz zu meinen Worten, bedank dich für das Leid und für all das ich dir gegeben hab.“

Sie schrie auf: „ Was hast du mir gegeben als Verzweiflung, Hass und Angst? Nachdem ich endlich vertraute.“

Er antworte ruhig, als er mit einer Hand durch ihr Haar fuhr: „Ich gab dir die Aufmerksamkeit, ja, ich gab dir dich zurück, ich zeigte dir, wie schwach du eigentlich bist. Sei dankbar, dass ich es war.“

Ihr wurde klar, er hatte recht. Sie war erbärmlich und hatte keinen Stolz mehr, die Ehre in ihrer Hoffnung verloren.
Sie nuschelte: „ Bitte tu es für mich.“

„ Aber nur weil du es bist.“

Er packte ihren Kopf und schmetterte ihn gegen die steinerne Mauer, man hörte es krachen. Sie Schrie vor Schmerz auf, erneut schlug er ihren Kopf mit voller Wucht gegen die Wand, der Schädel brach, er lies sie fallen.

Setzte sich zu ihr hinunter, hielt ihre Hand, küsste sie auf ihre Wange, blieb sitzen mit den Worten:
„ Ich war es dir schuldig.“


© Profan


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Kommentare zu "Wenn Hass und Liebe sich verbinden..."

Re: Wenn Hass und Liebe sich verbinden...

Autor: fran_z_iska   Datum: 17.07.2014 17:06 Uhr

Kommentar: Wow!
Also der Text an sich war teilweise verwirrend aber sehr spannend. Etwas verstörend aber das find ich gut ;)
Ist dir sehr gelungen!
Lg Franzi :D

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