Wieder eine dieser ewig langen Nächte voller Träume im gedämpftem Wachzustand.
Schlaflos, scharf und einsam in einem Bett, das viel zu groß ist, für eine zierliche Person wie mich. Und dennoch zu klein für das Ausmaß meiner Fantasie und die Flut meiner Gedanken, der ich nicht entkommen kann. 
Ich liege wie benommen im Bett, während mir der Mond rücksichtslos auf mein Gesicht knallt. Das Licht des Mondes ist stärker, als der Stoff der Vorhänge es zulässt. 
Eigentlich bin ich völlig übermüdet und fertig vom Abend, der hinter mir liegt. Ein Abend, der nie stattgefunden hat, aber unvergesslich ist.
Dieser Abend ist der Blockbuster in meinem Kopf. Ein Film, der sich jede Nacht wiederholt, so lange mich niemand wachrüttelt und der kranken Illusion ein Ende bereitet.

Unsere Affäre ist spannend, da unser Kontakt nur auf die wenigen Abende beschränkt ist, an denen wir uns sehen. Tagsüber sind wir uns fremd und kennen uns nicht. 
Wir schütten uns nicht mit niedlichen Nachrichten zu, die uns verkitschen und uns den Respekt nehmen. 
Unser Verhältnis ist deshalb distanziert, denn zu viel Nähe würde den Reiz unserer Treffen zerstören. Und uns. 
Wir dürfen nicht als wehrlose Opfer gegenseitiger Gefühls-Abhängigkeit enden. Aber ich würde lügen, wenn ich mit Stolz behaupten würde, ich hätte keine Gefühle für dich. 

Ich sitze dir gegenüber, in einem Restaurant deiner Wahl, da du am besten weißt, wo man stilvoll Essen gehen kann und dazu noch ein gutes Glas Rotwein bekommt.
Auch heute bist du zu spät zu unserer Verabredung gekommen.
Du meintest, dir wäre ein wichtiger Termin dazwischen gekommen, ganz spontan. Aber ich mache kein Drama draus, denn wir sind kein Paar, sondern zwei freie Menschen.
Gefühlsfrei und flexibel, ohne die vielen Regeln, die in einer normalen Beziehung vorherrschen.

Ich erzähle dir auch nicht, dass ich vorhin fies von einem Typen angemacht wurde, als ich draußen auf dich wartete. Wahrscheinlich sah er in mir ein leicht bekleidetes Mädchen, das einfach zu haben war, während er völlig betrunken an mir vorbeilief und versuchte, mich anzufassen. Es gelang ihm nicht, da ich schnell einen Schritt zurückwich und er ins Leere griff. Er verschwand ohne ein weiteres Wort an der nächsten Straßenecke. Wo immer sein Weg ihn auch hinführen würde, in seinem reduzierten Geisteszustand.

Warum soll ich dir also von dem Erlebnis erzählen. Schließlich ist mir nichts passiert. Meine Kleiderwahl trägt mit dazu bei, dass es überhaupt zu solchen Vorfällen kommt. Zwar bin ich kein überstrapaziertes Fashion-Victim, aber ich lege schon Wert auf ein betont weibliches Erscheinungsbild, zumal es mir mein Körper erlaubt.
Heute trage ich einen langen dunkelblauen Parka und eine feine schwarze Strumpfhose. Was sich unter dem Parka befindet, lässt sich erahnen. Ein kurzes Kleid, ziemlich verspielt, aber auch ziemlich sexy und mutig. Meine High Heels vervollständigen das Klischee einer Frau, die auf Provokation setzt und ein Engel der Verführung ist. Ein Klischee, welches auch dich äußerlich gut ergänzt. 

Ich liebe dich.
Obwohl ich es nicht will und es nicht zu unserer Abmachung passt, frei und unabhängig voneinander zu sein. 
Liebe macht abhängig, mit allen Sinnen, immer und überall. Die Liebe zu dir begleitet mich den ganzen Tag, in jeder Sache, die ich tue, steckst auch du. Du bist mein innerlicher Antrieb und die Motivation für mein Handeln.
Liebe treibt und du bist mein Herz.
Daran kann ich nichts mehr ändern, denn es ist zu spät. Sobald ich dich sehe, versuche ich krampfhaft, dir meine Gefühle nicht anmerken zu lassen. Bis jetzt habe ich es geschafft, nur irgendwann wird dieses Geheimnis aufbrechen und der Zauber unserer Anziehung ist vorbei, da sie nur auf Distanz funktioniert. 

Wenn ich dir in die Augen schaue, könnte ich in dieser Tiefe versinken. Jeder einzelne Blickkontakt weckt in mir die Sehnsucht, mich dir völlig hinzugeben. Bedingungslos.
In deinen Augen sehe ich deine Erfahrung, in der du mir weit voraus bist. Das macht dich attraktiv.

Uns trennen 20 Jahre Erfahrung und der Reiz dieses Unterschieds führt uns zusammen, da jeder das in dem anderen findet, was er für sich persönlich braucht.
Ich liebe deine Unnahbarkeit und den Kampf um Aufmerksamkeit, die du mir erst schenkst, wenn ich es verdient habe. Das erreiche ich durch die Art, in der ich dich verführe. Indirekt durch mein Alter und direkt durch mein Aussehen, sowie mit meinem Charakter, der dich mit seiner Vielseitigkeit überzeugt. Die Bandbreite zwischen naiv und erwachsen ist enorm.

Männer mögen oft Frauen, die jung, hübsch und unverbraucht sind.
Junge Frauen mit Frischesiegel und dennoch verdorben, als hätten sie bis auf Sex nie etwas anderes im Leben kennengelernt.
Außerdem muss die Frau clever sein, um zu wissen, wie sie einen richtigen Mann am besten um den Finger wickelt, damit sie ihre eigenen Wünsche auskosten kann und das bekommt, was sie will. Eigentlich auch zu Gunsten des Mannes, denn er wird von ihrem Glück und ihrer Zufriedenheit profitieren.

Ich habe keine Wünsche, außer völlige Hingabe in einer gemeinsamen Nacht. Die Entscheidung des Zeitpunkts überlasse ich dir. Dass es bald soweit sein wird, merke ich dir immer mehr an, indem du mir zeigst, wie viel Macht du über mich hast. Du redest ehrlicher mit mir und dein Blick wird eindringlicher. Manchmal redest du kaum, sondern sitzt nur schweigend da und beobachtest mich, mit einer Intensität, die mich verlegen macht. Nebenbei rauchst du gelassen deine Zigarette und genießt es, mich hinzuhalten, damit unsere Affäre weiter von der Sehnsucht leben kann und sich vertieft.
Ich denke, du weißt, dass du mit deiner Distanz und deiner Kälte dein Ziel erreichst, mich einzuschüchtern und gefügig zu machen. Nur willst du nicht zu schnell ans Ziel kommen, sondern dein Opfer lieber an die Spitze der Lust treiben, bevor du mich erlöst und wir uns beide im Bett verlieren.

Du löst in mir ein Wechselbad der Gefühle aus.
Wärme und Kälte laufen mir fast gleichzeitig über den Rücken. Wie ein Fieber im Liebesdelirium, die Folge einer Affäre zwischen Gut und Böse.
Eines steht inzwischen fest: Solltest du dich je entscheiden, mit mir zu schlafen, werde ich daran kaputt gehen. 

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© Frida Mai, alle Rechte vorbehalten.


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Kommentare zu "Der Stecher meiner Seele"

Re: Der Stecher meiner Seele

Autor: Olivia   Datum: 20.07.2014 22:12 Uhr

Kommentar: Wow also die Art wie du schreibst gefällt mir echt gut und diese Geschichte sowieso;)

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