Es war einmal, vor kurzer Zeit, im Lande Nirgendwo. Da lebte ein verzauberter Frosch, der in Wirklichkeit so eine Art Mann - war. Aber der Mann verhielt sich in den wichtigsten Belangen des Lebens wie ein Frosch. Neben dem Frosch, der ein Mann, aber ein Frosch war, wohnte ein gutmütiger Riese, der Frösche nicht leiden konnte. Und als der gutmütige Riese sah, was für ein Frosch der Mann war, da trug er ihn beherzt über alle Berge der Welt, zu einer Burg in der eine wunderschöne Prinzessin hauste. Dort setzte er den Frosch, um ihn los zu werden, auf das Fensterbrett ihrer Kemenate, damit er durch die Butzenscheiben glotzte.

Als aber der Frosch das Unvermeidliche sah, die wunderschöne Prinzessin nämlich, die in ihrer Kemenate, bereits seit Stunden, vor dem Spiegel saß und sich vorstellte, wie herrlich es sein müsse, sie verehren zu dürfen, da erschrak er jämmerlich. Fieberhaft überlegte er, was er nun tun solle. Allein: Ihm fiel nichts ein, das gut genug für ihr berauschendes Äußeres und für ihr vermutlich ebenso berauschendes Inneres gewesen wäre.

Doch wieder kam ihm der gutmütige Riese verschmitzt zu Hilfe. „Haalooo, Haalooo, wunderschöne Prinzessin“, sagte er mit unglaublich tiefer Stimme, „sieh her, ich bin ein gutmütiger Riese und kann dir dienen wie du es nur brauchst“.
Als die Prinzessin das hörte, riss sie sich von ihrem Spiegelbild los und überlegte ein wenig. Eigentlich, dachte sie, sie wolle auf einen attraktiven und wohlsituierten Prinzen warten, der ihr zu Füßen liegt, so daß sich ihre Silhouette für ihn gegen den Himmel abzeichnet, aber die Dienste eines gutmütigen Riesen könnte sie ja auch durchaus einmal in Anspruch nehmen.

Endlich, nach einer der Welt endlos erscheinenden Viertelstunde, öffnete sie, mit dem zweitbezauberndsten Lächeln der Welt, ihr Fensterlein und blickte um sich. Aber, da der Riese sich versteckt hielt, sah sie nur einen Frosch auf ihrer Fensterbank sitzen. Daß der Frosch in Wirklichkeit ein Mann war bemerkte sie natürlich nicht.

„I-ich bin wirklich ein Mann“, stotterte der Frosch verlegen, und wenn du mich küsst, werde ich mich vielleicht in einen attraktiven und wohlsituierten Prinzen verwandeln“. Da musste die Prinzessin so laut lachen, daß sich sogar ihr Spiegel, vor dem sie so lange quasi philosophierend gesessen hatte, beherrschen musste, um nicht auf der Stelle vor Narretei zu zerspringen.

Das laute Lachen hatte inzwischen alle Frösche in der Umgebung geweckt. Quakend kamen sie nun herbei und hüpften munter auf das Fensterbrett der Kemenate. Obwohl die Prinzessin völlig unmusikalisch war, versuchten sie ihr stolzes Herz mit den typischen Froschgesängen zu erweichen. Und siehe da: sie hatten Erfolg! Die Prinzessin nahm sich einen nach dem anderen vor. Jeden küsste sie pseudo-innigst, aber keiner verwandelte sich in einen attraktiven und wohlsituierten Prinzen. Nicht einmal der Ochsenfrosch, der sich verstohlen unter die anderen, Einheimischen gemischt hatte. Und als sie schließlich beim letzten Tier angekommen war und es sich ebenfalls in keinen attraktiven und wohlsituierten Prinzen verwandelt hatte, der ihr zu Füßen lag, so daß sich ihre Silhouette für ihn gegen den Himmel abzeichnete, da nahm sie es und schleuderte es, voller Abscheu, mitten in ihren Spiegel hinein.

Der Spiegel indessen zerbrach nicht! Als jedoch der Froschkadaver darauf eingetrocknet und, im Laufe der Jahre, als Staub herunter gefallen war, da zeigte er ein anderes Bild. Vor ihm saß jetzt nicht mehr eine wunderschöne Prinzessin, die sich vorstellte, wie herrlich es sein müsste sie verehren zu dürfen, sondern eine reife, verständnisvolle Frau.
Den Frosch, der ein Mann, aber ein Frosch war, hatte die Frau längst nicht vergessen. Aber er war kleinlaut zurück nach Hause gehüpft, über alle Berge der Welt.

Von der schmerzlichen Erkenntnis befangen, den einzigen Frosch, der wirklich ein Mann war, nicht beachtet zu haben, schickte die ehemaligs wunderschöne Prinzessin nun sofort die schlosseigene Friedenstaube mit einem Eilbrief nach Nirgendwo.

„Lieber Frosch“, schrieb sie darin. Die Frösche, die auf mich stehen sind hier leider ausgestorben, bitte lass dich von deinem gutmütigen Riesen über alle Berge der Welt zu mir tragen, denn ich habe nichts mehr, das ich in meinen Spiegel werfen könnte“.
Doch der Brief kam nicht an. Die Friedenstaube bemühte sich wochenlang darum, den besagten Frosch zu finden. Alles was nur im entferntesten grün aussah und große Augen hatte, wurde von ihr interviewt. Darunter auch viele Frösche, aber es war einfach kein Mann dabei.

Der einzige Frosch, der in Wahrheit ein Mann, auf den ersten Blick aber ein Frosch war, hatte aus seiner Not inzwischen eine Tugend gemacht – und eine Froschfarm gegründet, damit er das Leben unter seinesgleichen verbringen konnte. Er wusste, es würde immer genug wunderschöne Prinzessinnen geben, die sich - während sie auf attraktive und wohlsituierte Prinzen warteten - die Zeit mit den Gesängen einfacher Frösche vertreiben. Sein Froschverleih ging nicht schlecht.

Als die reife, verständnisvolle Frau, die früher einmal eine wunderschöne Prinzessin gewesen war, nach einem Jahr immer noch nichts von ihrer ausgesandten Friedenstaube hörte, entschloss sie sich kurzerhand glücklich zu werden.
Ebenso, wie der verantwortliche Leiter seiner Froschfarm im Lande Nirgendwo übrigens, der einsah, daß selbst ein Mann mit dem Herzen eines Ochsenfrosches nicht immer als solcher erkannt wird, wenn er sich in den meisten wichtigen Dingen des Lebens wie ein einfaches Fröschchen verhält.

Er lachte viel. Fast so viel, wie er es von der Prinzessin in Erinnerung hatte und beinahe mit einem ebensolchen Bass, wie ihn der gutmütige – aber inzwischen ausgewanderte – Riese besaß. Und wenn er einmal weniger zu lachen hatte, dann betrank er sich in der Froschbar von Nirgendwo, den seltsamen Geschichten einer heruntergekommenen Friedenstaube lauschend, die einst auf einem Schloss gewohnt und dort Botendienste für eine wunderschöne Prinzessin erledigt hatte.

Somit waren sie also für immer in Gedanken vereint, der Frosch und die Prinzessin, und sie lebten glücklich unzufrieden und wenn sie nicht gestorben sind, dann ignorieren sie sich noch heute.


© Alf Glocker


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Kommentare zu "Es war einmal"

Re: Es war einmal

Autor: noé   Datum: 07.05.2014 2:26 Uhr

Kommentar: "...dann ignorieren sie sich noch heute."
Für manche Beziehungen wäre das sicher auch "in echt" die beste Lösung.
noé ;o))

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