Ich sah sie zum ersten Mal auf dieser Party. Ein schlankes, schwarzhaariges Mädchen. Sie saß in der Ecke und hörte Musik. Sie war wie in einer anderen Welt. Als ich zu ihr ging und sie fragte, ob sie etwas trinken möchte, lehnte sie ab. Ich lies nicht locker. Also setzte ich mich einfach zu ihr und sagte nichts. Wir saßen dort eine Stunde lang ohne auch nur ein Wort zu wechseln, bis sie aufstand und sagt:“ Ich gehe mal kurz auf die Toilette.“ Ich sah ihr hinterher. Irgendetwas war anders an ihr, aber ich wusste nicht was. Sie war so still und gleichzeitig laut. Ich hörte ihre Musik. Sie hörte sie ziemlich laut und während sie ging dachte ich darüber nach, warum so ein Mädchen wie sie nur Klaviermusik hörte. Sie war dünn und hübsch. Ein wirklich ausgesprochen hübsches Mädchen. Als sie zurück kam und sich wieder setzte fragte ich sie:“ Warum hörst du nur Klaviermusik?“ Sie schaute mich etwas verwirrt an. Sie lehnte sich zurück und lächelte. Dann nahm sie langsam die Kopfhörer ab. „Weist du? Es befreit mich irgendwie. Mit dieser Musik bin ich in einer anderen Welt und diese Welt schenkt mir Kraft. Sie gibt mir das Gefühl etwas besonderes zu sein. Ich stelle mir immer vor, dass ich auf einer endlosen Wiese sitze. Inmitten dieser Wiese steht ein schwarzer Flügel. Ich sitze unter einem Baum und genieße den Moment. Der Flügel fängt an zu spielen, ohne einen Spieler und meine Gedanken, nur meine Gedanken, lenken ihn. Sagen ihm, was er spielen soll und zeigen ihm zu was er fähig ist.“ Sie hielt einen Moment inne. „Aber das ist natürlich reiner Schwachsinn“, sagte sie schnell hinterher. Ich sah sie die ganze Zeit über an. Sie hatte wunderschöne Augen. Mir kam es fast so vor, als würde sie nicht merken, dass sie mit mir redete als sie von dem Flügel erzählte. „Das ist... Das ist wunderschön.“ Ich hatte Gänsehaut bekommen, als sie davon erzählte. Ich konnte es genau vor mir sehen. Die Wiese, Blumen, der Flügel. Einfach alles. Sie sah mich an, als würde sie mir nicht glauben. „So ein Typ wie du würde so etwas nie im Leben schön finden.“ Ich streckte ihr meine Hand hin. „Mein Name ist Jason. Ich bin nicht irgend so ein Typ. Ich bin Jason.“ Zum ersten Mal sah sie mir in die Augen. „Lucia.“ Sie gab mir ihre Hand. Sie hatte weiche Hände. Die Berührung war magisch. Fast als hätten wir Kräfte ausgetauscht. Doch dann war der Moment schon wieder vorbei. Sie trank immer noch nichts und ich musste langsam gehen. Ich stand auf und sah zu ihr herab. „Sehen wir uns wieder?“ Ihr Augen glänzten in dem Licht des Mondes, das zum Fenster herein schien. Sie antwortete nicht, also ging ich einfach. An der Tür drehte ich mich noch einmal zu ihr. Wie konnte ein Mensch auf eine Party gehen, ohne auch nur irgend etwas zu trinken, geschweige denn zu tanzen? Sie hatte ihre Kopfhörer wieder aufgesetzt.
Am nächsten Tag schien die Sonne. Es war ein warmer Sommertag. Ich hatte mir noch bevor ich schlafen gegangen bin ein paar Lieder herunter geladen. Ich musste wirklich sagen, dass das Klavier ein wunderschönes Instrument ist. Ich zog mir eine Leichte Jacke an und ging nach draußen. Die Kopfhörer waren aufgesetzt und so schlenderte ich die Straßen entlang. Plötzlich kam mir eine Gestalt entgegen. Der Kopf war auf den Boden gerichtet und erst als die Gestalt fast bei mir angekommen war, erkannte ich sie. Es war das Mädchen von der Party. Wie hieß sie noch gleich? Erst nach starkem überlegen fiel mir ihr Name wieder ein. Lucia. Ich ging auf sie zu und sie ist total gegen mich gerempelt. Sie erschrak ziemlich. „Oh tut mir leid. Ich hatte Sie nicht gesehen“, sagte sie leise. „Lucia? Ich bin es, Jason.“ Sie schaute nach oben. „Jason.“ Sie flüsterte. Wir hatten ein kurzes Gespräch und beschlossen noch etwas zu unternehmen. Wir waren im Kino und haben viel gelacht, bevor der Film begann. Sie hatte den Film ausgesucht. Er war ziemlich traurig. Sie weinte. Ich nahm ihre Hand und ich weiß nicht wie es geschah, aber es geschah. Wir küssten uns.

Wir waren schon einige Wochen zusammen. Es war Herbst geworden. Die Blätter färbten sich in allen möglichen Farben. Ich machte mir langsam Sorgen um Lucia. Ich hatte eine Narbe an ihrem Handgelenk entdeckt und sie hatte mir erzählt, wie sie sich einmal umbringen wollte. Ich konnte nicht glauben was ich hörte, aber ich verstand sie. Ich umarmte sie und gab ihr halt. Aber nun hatte sie sich seit einigen Tagen nicht mehr bei mir gemeldet. Ich schrieb ihr noch ein paar Nachrichten, bis ich es aufgab. Vielleicht war sie verreist und hatte ihr Handy vergessen. Nun saß ich auf meinem Bett und langweilte mich, dachte nach und hörte Musik. Sie war das tollste Mädchen, dass ich je getroffen hatte. Plötzlich kam eine SMS herein. Ich nahm mein Handy in die Hand und öffnete sie. Sie war von ihr. Ich freute mich wieder von ihr zu hören, aber was ich dort las war alles andere als schön. Es war ein Abschiedsbrief. Eine sehr lange SMS. Meine Augen füllten sich mit Wasser und eine kleine Träne floss über meine Wange.
Sie hatte mir einmal von einer Brücke erzählt. Nicht in diesem Zusammenhang, aber sie hatte von ihr erzählt. Ich rannte sofort los. Ich wollte sie nicht verlieren. Nicht jetzt. Kurz vor der Brücke sah ich sie schon hoch oben stehen. „Lucia!“, schrie ich. „HEY!“ Ich sah wie sie zu mir herüber guckte. Ich rannte immer schneller. Völlig außer Atem kam ich oben an. „Bitte.“ Sie schüttelte nur den Kopf, sagte jedoch nichts. Ihr lief eine Träne über die Wange und ihre Schminke verschmierte. Ich streckte meinen Arm nach ihr aus und sagte leise, dass sie es nicht tun sollte. „Wieso?“, fragte sie mich. Unter ihr war grenzenlose leere und ich schaute nach unten. „Naja. Du wirst fallen. Ich glaube sogar ziemlich lange wenn ich mir das hier so angucke. Und du wirst denken, dass es eine Falsche Entscheidung war zu gehen.“ Ich grinste sie an. „Nein jetzt mal ehrlich. Lucia, ich liebe dich. Du bist die wundervollste Person, die ich je kennengelernt habe. Ich habe niemanden außer dir. In einer Woche ist dein Geburtstag.“ Ich hielt einen Moment inne und musste weinen. „Lucia. Ich wollte dich fragen, ob du mich heiraten möchtest. Ich wollte mit dir eine Familie gründen. Ich wollte mit dir gemeinsam Alt werden. Denk doch mal daran, wie süß unsere Kinder geworden währen und wie du sie im Arm gehalten hättest. Doch all dies kannst du nicht erleben wenn du jetzt gehst. Du bist mein ein und alles. Wenn du jetzt springst, springe ich hinterher. Bitte komm von dort oben weg. Komm wieder zurück auf die sichere Seite.“
Sie schaute mich noch einen kurzen Moment an und sagte:“Ich liebe dich Jason.“ Dann ging sie.

Noch heute gehe ich zu ihrem Grab. Ich rede oft mit ihr. Jedes Mal bringe ich ihr Blumen mit. Orchideen. Das waren ihre Lieblinge. Ihr Grabstein ist ein Engel, denn sie war ein Engel für mich und jetzt ist sie der Engel, der über mich wacht. Irgendwann werden wir wieder zusammen sein, vereint im Paradies.


© Freewrite


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Kommentare zu "Bitte bleib bei mir"

Re: Bitte bleib bei mir

Autor: Olivia   Datum: 15.02.2014 16:57 Uhr

Kommentar: Ebenfalls Daumen hoch ;) :)

Re: Bitte bleib bei mir

Autor: Freewrite   Datum: 15.02.2014 17:02 Uhr

Kommentar: Danke :)

Re: Bitte bleib bei mir

Autor: Linaa   Datum: 20.07.2014 13:01 Uhr

Kommentar: Wunderschön :)

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